23.07.2019

Einahalb Gründe zum Streiten

Im Staablueme-OK gab plötzlich ein Wort zu reden: Einahalb. Diesen Titel hat das Kunstprojekt. Doch müsste es nicht anders heissen?

Von Gert Bruderer*
aktualisiert am 03.11.2022
Gert Bruderer*Die Frage kam auf, weil die Gründer der Altstätter Kulturwoche sich vor dreieinhalb Jahrzehnten am Altstätter Dialekt orientierten. Sie nannten die neue Veranstaltung Staablueme – ein Wort, das schon damals längst nicht alle verstanden.Zumindest wussten die schon etwas älteren Altstätterinnen und Altstätter, was Staablueme bedeutet, als diese im Jahr 1982 erstmals stattfand. Blueme ist heute noch klar, aber Staa? Das heisst Stein. Staablueme: Steinblume. Eine Blume, die zwischen den Steinen spriesst.Kultur in der Stadt eben.Staablueme-Skulptur ist nur ein «08/15-Werk»Von dieser Kultur zeugt in der Marktgasse ein Kunstwerk – ein grosser Stein und auf ihm drei Blumen. Geschaffen hat das Werk in der Anfangszeit der Kulturwoche der einheimische Gery Aigner, der einst selbst bei der Staablueme mitwirkte und der seine Staablueme-Skulptur als «08/15-Werk» bezeichnet. Für einen recht kurzfristig geplanten Morgenstreich habe er es «schnell schnell zusammengeschustert».Später veränderte er die Skulptur, nachdem Nachtbuben zwei Blumen verbogen hatten. Insofern passt sie heute bestens zum diesjährigen Staablueme-Kunstprojekt «Einahalb». Der Titel ist so gewählt, weil kultureller Mehrwert das Thema ist. Doch der Name gab bereits zu reden. Denn anders als «Staablueme» ist «Einahalb» nicht Altstätter Dialekt.In der Ebene ist das «aa» langgezogenDer im Ort aufgewachsene und 1991 eingebürgerte Altstätter Dialektexperte Ueli Bietenhader sagt, der Altstätter Dialekt sei «fascht da afachscht».Trotzdem wird er mehr und mehr verdrängt.Am ehesten werde im Berggebiet noch Staablueme (statt Steiblueme) gesagt, weiss Bietenhader. Ob jemand vom Gätziberg oder jemand vom Kornberg das Wort ausspreche, sei nur an einem kleinen Unterschied in der Färbung des Klangs zu erkennen.Im Riet draussen, ennet dem Altstätter Bahnhof, heisst’s zum Beispiel: «Mosch nöd maane.» (Musst nicht meinen.) Anders als im Städtli, wo der gleiche Ausdruck ein klein wenig edler klinge, werde draussen in der Ebene das «aa» richtig schön langgezogen, sagt Bietenhader, es «schnatteret vom Chehlchopf här».Der Geschichtenerzähler, der mehrere Mundartbändchen herausgegeben hat, weiss auch den Grund: Im grossen, dreizehneinhalb Kilometer breiten Gebiet zwischen Altstätten und Götzis herrsche ein «Gefühl von weiter Ebene», was in der Sprache eben mit diesem langgezogenen «aa» zum Ausdruck komme.Nicht nur die Sprache ändert sichDass das Staablueme-OK sein diesjähriges (ebenso innovatives wie aufwendiges) Kunstprojekt «Einahalb» nennt, könnten waschechte Altstätter unpassend finden. In Anlehnung an «Staablueme» müsste es – im Altstätter Dialekt – entweder «Anderhalb» oder «Anderthalb» heissen, wie Bietenhader bestätigt.Doch nicht nur die Sprache, auch eine Kulturwoche wandelt sich im Laufe der Jahrzehnte. Sie wahrt zwar ihre Stärken, probiert aber laufend auch Neues aus und hat sich vom kleinen, aber feinen Anlass mit experimentellem Charakter zu einer (nach wie vor ehrenamtlich organisierten) professionell aufgezogenen Kulturwoche entwickelt.Ein Staablueme-Kunstprojekt mit dem Titel «Einahalb» – statt «Ander(t)halb» – bringt perfekt diesen Wandel zum Ausdruck – und nicht nur diesen. Insofern konnte das Staablueme-OK die einahalb Gründe zum Streiten gleich wieder vergessen. Es blieb in den letzten Jahrzehnten auch sprachlich kein Staa auf dem andern.*Gert Bruderer ist Staablueme-OK-Mitglied.HinweisSprachvergleiche zwischen früher und heute beschreibt derzeit in dieser Zeitung in loser Folge Christoph Mattle. Der wie Bietenhader in Altstätten lebende Mundartspezialist, der bis zur Pensionierung das kantonale Amt für Mittelschulen führte, beschreibt in seiner Mundartreihe den sprachlichen Wandel in trefflicher Weise.

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