02.01.2022

Ein Sturz wurde Marco Tanner zum Verhängnis

Bob-Anschieber Marco Tanner gewann an den Schweizer Meisterschaften mit Pilot Michael Kuonen die Goldmedaille im Zweierbob. An den Olympischen Spielen wird der Lüchinger aber wohl nicht starten.

Von Yves Solenthaler, St. Moritz
aktualisiert am 02.11.2022
Das Jahr 2021 hatte für Marco Tanner sehr gut angefangen: Als Anschieber gewann er mit Pi­lot Michael Kuonen im Euro­pacup die Gesamt- und die Zweierbob-Wertung und zum Saisonende gab’s die Goldmedaille an den Schweizer Meis­terschaften mit dem kleinen Schlitten.Das Jahr 2021 hat für Marco Tanner auch sehr gut geendet. Denn am letzten Tag des Jahres holten Kuonen/Tanner auf dem Olympia-Bobrun in St. Moritz erneut den Schweizer Meistertitel im Zweierbob. Ein geglücktes Jahr vom Anfang bis zum Ende im Sportlerleben des 27-jährigen Marco Tanner? Nein, denn sein Ziel, das er vier Jahre lang mit grosser Härte verfolgte, hat er vermutlich verfehlt. Das Aufgebot für die Olympischen Spiele in Peking wird zwar erst am 16. Ja­nuar benannt. Aber Swiss Sliding hat nach einem internen Quali-Wettkampf der Anschieber bereits die Teams im Weltcup entsprechend umgestellt. Zu den Weltcupteams von Michael Vogt und Simon Friedli stösst mit Tanners Teamkollege Fabio Badraun nur ein «fremder» Bremser. Marco Tanner sagt: «Wenn nicht noch zwei, drei Anschieber ausfallen, habe ich keine Chance mehr.»[caption_left: Im Horse Shoe holte Michael Kuonen Schwung, um im unteren Teil Cédric Follador noch abzufangen.  Bilder: ys]In der internen Quali wegen der Verletzung chancenlosMarco Tanners Scheitern kündigte sich am 27. November im sächsischen Altenberg an. Im Europacuprennen auf der fah­rerisch anspruchsvollen Bahn stürzte Michael Kuonen mit dem Viererbob schwer. Drei Teammitglieder wurden ins Spital gefahren, bei Marco Tanner bestand Verdacht auf einen Bruch des rechten Ellbogens. Dieser bestätigte sich zwar nicht, der Befund lautete starke Prellung. «Aber die Schmerzen blieben bis jetzt, fünf Wochen nach dem Unfall», sagt Marco Tanner.Wenig hilfreich war auch, dass Kuonens grosser Schlitten eine Woche später in Winterberg wieder umkippte. «Als Einzelsportler hätte ich pausieren und meine Verletzung kurieren müssen», sagt Marco Tanner, «aber Bob ist ein Mannschaftssport, da geht es in erster Linie um die Ziele des Teams.» Nicht im Vollbesitz seiner Kräfte, war Marco Tanner in der internen Quali in Oberhof chancenlos: «Wenn man auf diesem Niveau nur fünf Hundertstel verliert, fällt man weit zurück.» Er war eine Zehntelsekunde langsamer als noch im September – damals war er noch der viertbeste Anschieber von hinten und der Sechstbeste von der Seite. Bei sieben Startplätzen waren das gute Aussichten in Peking.«Es ist schade, dass ich wegen der Verletzung keine Chance hatte, mich für Peking zu qualifizieren», sagt Marco Tanner.Auch Pilot Kuonen – seine Quali hätte Tanners Aussich­ten schlagartig erhöht – hatte höchstens eine minime Chance. Trotz Europacup-Gesamtsieg, Top-10-Platz im Weltcup und Schweizer Meistertitel musste er ohne interne Quali gegen Vogt und Friedli im Europacup bleiben. «So war es nahezu unmöglich, die zwei Weltcuppiloten unter Druck zu setzen», sagt Kuonen, «und für den dritten Startplatz an Olympia hätten wir im Europacup jedes Rennen gewinnen müssen.»Marco Tanner hatte bereits die Quali für Olympia 2018 in Südkorea knapp verpasst. Nimmt er in vier Jahren erneut einen Anlauf? 2026 finden die olympischen Bobrennen in Cortina d’Ampezzo statt – viereinhalb Autostunden von Altstätten entfernt. «Ich möchte nicht in der Enttäuschung einen Entscheid fällen, den ich später bereue», sagt Marco Tanner, «diese Frage werde ich Ende Saison klären.»[caption_left: Beim Start legte Marco Tanner den Grundstein zur Goldmedaille.  Bilder: ys]Zukunftspläne schmiedet Tanner nach der SaisonDass sie sich überhaupt stelle, sei absurd: «Ich bin konkurrenzfähig und habe weiterhin Freude am Sport. Mit 27 Jahren habe ich auch noch einige Jahre vor mir, in denen ich noch besser werden kann», sagt Marco Tanner. Aber, und das ist die Realität vieler Sportlerinnen und Sportler in der reichen Schweiz: «Ich betreibe einen Riesenaufwand, für den ich sozusagen nichts erhalte, im Gegenteil: Ich arbeite im Winter nicht, im Sommer 50 Prozent.» Er komme gerade so über die Runden, weil er bei den Eltern wohnen kann, «aber ich würde mit 27 Jahren gerne auf eigenen Beinen stehen.»Nicht nur Olympia 2026 ist ein Aspekt in Tanners Karriereplanung, auch die Heim-WM 2023 in St. Moritz hat er im Blick. Um dort eine realistische Startchance zu haben, müsste er die Saison wohl in einem Weltcupteam beginnen. «Nach einer Olympiasaison gibt es viele Änderungen», sagt Tanner, vielleicht werde irgendwo ein Platz frei. Bei Bob-Anschiebern sind auch temporäre Rückzüge möglich, wie es das Beispiel Bad­rauns zeigt, der nach drei Jahren zurückkehrte und bereits wieder zu den besten in der Schweiz gehört.Für Marco Tanner gibt es verschiedene Varianten, wenn er sich entschliesst, seine Karriere fortzusetzen. Den Traum von Olympia muss er nicht begraben.[caption_left: Erfolgserlebnis nach schwierigen Wochen: Michael Kuonen und Marco Tanner (von links) verteidigen den Schweizer Meistertitel im Zweierbob.  Bild: ys]Gold-Lust nach Olympia-FrustZum zweiten Mal innert zehn Monaten werden Michael Kuonen und Marco Tanner Schweizer Meister im Zweierbob. Der Walliser Pilot und sein Lüchinger Anschieber setzten sich nach ei­nem spannenden Duell mit Cédric Follador/Nicola Mariani mit 0,05 Sekunden Vorsprung durch. Die Bronzemedaille geht an Timo Rohner/Maruan Giumma mit einer halben Sekunde Rückstand. Die Weltcupteams von Michael Vogt und Simon Friedli samt Besetzung fehlten, weil sie in Sigulda (Lettland) beschäftigt waren.Zweiter Zweierbob-Titel im 2021 für Kuonen/TannerIm Zweierbob hat sich Michael Kuonen in den letzten zwei, drei Jahren in der Schweizer Spitze etabliert. Am letzten Tag des Jahres bewies er dies, indem er den aufstrebenden Follador trotz zwischenzeitlichen Rückstands knapp in Schach zu halten vermochte.Auch Anschieber Marco Tanner hatte seinen Anteil an der Titelverteidigung. Nach ei­ner passablen Startzeit im ersten Lauf (5,28 s) steigerte er sich im zweiten Durchgang trotz langsamerer Spur um fünf Hundertstelsekunden. «Der zweite Start war ausschlaggebend für den Sieg», freute sich Marco Tanner über das Erfolgserlebnis nach zuletzt sehr schwierigen Wochen.Am Sonntag reisten Tanner und seine Teamkollegen bereits nach Innsbruck, wo vom Donnerstag bis Samstag die nächsten Europacuprennen auf dem Programm stehen – eine Rennpause gibt’s nicht nach dem stressigen Dezember. Mit der Goldmedaille im Gepäck möchte er auch im Europacup an frühere Erfolge anknüpfen. «Aber ich spüre die Müdigkeit und werde in Innsbruck nach Möglichkeit nur zwei von drei Rennen bestreiten.»

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