Es sind fast auf den Tag genau 37 Jahre vergangen, seit Ro-nald Kasper als Jungpfarrer von Allschwil im Kanton Basel-Landschaft ins Rheintal kam. Der 28-Jährige zog im Herbst 1983 ins Eichberger Pfarrhaus ein. «Damals war es ein Thema, ob meine Verlobte im Pfarrhaus übernachten durfte», sagt er. Sie durfte. Im Jahr darauf heiratete das Paar.Dass eine Frau im gleichen Haushalt wie der Pfarrer lebt, sahen die Reformierten zu Beginn der 80er-Jahre also nicht als Problem an. Als Predigerinnen traten Frauen seinerzeit aber noch nicht auf. «Im ganzen Kirchenkreis wirkte keine Pfarrerin», sagt Ronald Kasper. In Basel hatten schon seit den 70er-Jahren ordinierte Frauen gearbeitet. Die Quote hat sich im Rheintal geändert. Knapp die Hälfte der reformierten Pfarrpersonen sind weiblich.Die Menschen in Eichberg und Oberriet seien damals nicht konservativ gewesen, sagt der evangelische Pfarrer. Dennoch hatten Kerzen in der Kirche nichts zu suchen. «Bei den Reformierten galt nur das Wort. Äussere Zeichen waren als zu katholisch verpönt.» Inzwischen schätzen auch evangelische Rheintaler es, wenn Symbole erklärend verwendet werden. Ronald Kasper setzt sie auch ein, um beide Konfessionen einander näherzubringen. So leuchtet in der evangelischen Kirche in Heerbrugg seit Jahren die gleiche Osterkerze wie in der katholischen.«Ein Pfarrer darf sich nicht einschüchtern lassen»Die inzwischen fünfköpfige Familie wechselte nach 17 Jahren ins Mittelrheintal. «Im Einzelpfarramt war ich für jede Kleinigkeit verantwortlich. Ich wollte gern in einem Team Schwerpunkte setzen.» Ronald Kas-per wurde im April 2001 Pfarrer von Heerbrugg und Au. Fortan arbeitete er immer auch mit Pfarrerinnen zusammen.Eine Frau als Pfarrerin akzeptieren. Gemeinsamkeiten mit Katholiken hervorheben. Mit nichtchristlichen Religionen den Dialog suchen. Sich für die Be-wahrung der Schöpfung und für die Gerechtigkeit weltweit einsetzen. Mit solch gesellschaftlichen Themen beschäftigte sich Ronald Kasper seine ganze Theologenkarriere lang. Die Kirche müsse politisch sein, sagt er. «Pfarrer dürfen sich nicht zurückziehen oder einschüchtern lassen. Hätte sich Martin Luther zurückgenommen, hätte es die Reformation nicht gegeben.»Dieser Haltung war in den Nullerjahren die Diskussion bei den Reformierten darüber vorausgegangen, ob ein Pfarrer gleichgeschlechtliche Paare segnen dürfen soll. «Ich war damals hin- und hergerissen.» Schliesslich habe er begriffen, die Kirche dürfe sich gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen nicht verschliessen. «Wir sollten nicht über Moral diskutieren, sondern direkt mit den Menschen sprechen.» Er werde niemandem gerecht, wenn er mit Bibelzitaten herumwerfe. Hingegen könne er viel von seinem Gegenüber lernen und seinen eigenen Horizont erweitern.Mit seiner Auffassung hinsichtlich Frauen in der Kirche und homosexuellen Paaren unterscheidet sich der reformierte Pfarrer deutlich von der Haltung der Katholischen Kirche. «Meine katholischen Kollegen sah ich zwar in einem Dilemma, sie äusserten sich aber stets zurückhaltend dazu, dass sich die offizielle Kirche in Rom eher rückwärts entwickelt.»Die Zusammenarbeit im Mittelrheintal war Ronald Kasper immer wichtiger, als die Aussagen aus Rom, mit der sich die katholische Kirche abgrenzt und als allein selig machende Kirche definiert.Obwohl sich der Pfarrer gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen offen zeigt, beobachtet er, dass seine Gemeinde immer weniger Mitglieder hat. Ein Fünftel der Bevölkerung ist reformiert, die Hälfte konfessionslos. «Im Rheintal ist es noch nicht so schlimm wie in Zürich oder Basel.» Innerhalb von zwei Jahren hat sich im Rheintal aber die Zahl der Konfirmanden auf 15 halbiert. Die Kirche hat an Macht und Einfluss verloren. «Gelingt es ihr, die Menschen zu überzeugen, ist das Interesse wieder da.»Ein Seelsorger im WortsinnAm Ende seiner Laufbahn musste Ronald Kasper noch einmal umdenken. Er durfte seine Gemeindemitglieder nicht mehr besuchen, nicht mit ihnen feiern. «Ich habe mich nicht auf die Technik gestützt und Livestreamangebote entwickelt wie andere Kollegen», sagt er. Lieber nutzte er die Zeit des Lockdowns, um Menschen in seiner Gemeinde anzurufen, deren Nummer er im Telefonbuch fand. Auch jene, die er nicht kannte, erzählten ihm ihre Sorgen, Nöte und Ängste. «Ich war ein Seelsorger im wahrsten Sinne des Wortes.»HinweisSeine Abschiedspredigt hält Pfarrer Ronald Kasper im Gottesdienst am Bettag, 20. September, um 10 Uhr in der evangelischen Kirche in Heerbrugg. Es wird ein Schutzkonzept angewendet, eine Anmeldung ist erwünscht.