22.06.2021

Ein nicht geträumter Traum erfüllt sich

Alexandra Frei aus Widnau kündigte einen sicheren Verwaltungsjob und wagt mit 50 Jahren einen beruflichen Neustart in der Gastronomie.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Hildegard BickelDie Markthalle Altenrhein habe ihr schon immer gut gefallen, sagt Alexandra Frei. Beim Vorbeispazieren habe sie sich manchmal vorgestellt, wie es wäre, die Tische des Bistros nach draussen zu stellen und dort Gäste begrüssen zu dürfen. Das verspielte, farbenfrohe Gebäude nach der Idee des Künstlers Hundertwasser ist ein Blickfang direkt beim Kreisel neben dem Flugplatz Altenrhein. Mitten in der Pandemie stand das Bistro der Markthalle vor einer ungewissen Zukunft. Der langjährige Pächter beendete Ende 2020 das Arbeitsverhältnis. Eine Freundin machte Alexandra Frei letzten Dezember darauf aufmerksam: «Wäre das nicht etwas für dich?» Nicht zögern, wenn die Chemie stimmtEs folgte tatsächlich ein Gespräch mit Nicole Stettler-Lindemann, der Chefin der Markthalle. Die zwei Frauen haben sich auf Anhieb verstanden. Rasch war klar: Alexandra Frei wird die neue Pächterin. «Wir vertreten die gleiche Haltung», sind sich die beiden einig. Sie beabsichtigen den Betrieb so zu führen, dass die Freude an der Sache im Zentrum stehe und gleichzeitig die Hundertwasser-Philosophie zu Nachhaltigkeit und Harmonie mit der Natur berücksichtigt werde. Alexandra Frei, gebürtige Österreicherin, ist seit 25 Jahren in Widnau wohnhaft, verheiratet und Mutter einer erwachsenen Tochter. Sie war rund 16 Jahre als Geschäftsleitungsassistentin tätig, anschliessend drei Jahre im Altersheim in Trogen im Büro. Kurz vor dem 50. Geburtstag im letzten Herbst spielte sie mit dem Gedanken, zu kündigen: «Ich wollte nicht mehr.» Mit dem neuen Projekt kehrte ihre Tatkraft zurück. Während vier Monaten haben Alexandra Frei und Nicole Stettler-Lindemann mit Hilfe ihrer Partner im Bistro gebaut, gebohrt, geputzt und neue Einrichtungsgegenstände ausgesucht. «Ich habe noch nie so viel gearbeitet, aber es war eine schöne Zeit.» Alexandra Frei erzählt mit tiefer, rauchiger Stimme, spontan bricht sie in herzliches Lachen aus. «Es ist, als hätte sich ein nicht geträumter Traum erfüllt.» In die Gastronomie einzusteigen, während Coronaeinschränkungen und Unsicherheiten herrschten, wirkt bei ihr beinahe risikofrei. Sie relativiert. Sicher spiele auch Mut mit. Und sie habe sich manchmal selber gefragt, was sie da mache. Nach den Lockerungen Mitte Mai hat sie mit Hilfe ihrer Servicemitarbeiterinnen das «friedrich’s» geöffnet und verzeichnete einen erfreulichen Start. Gibt es auch einen Businessplan? «Nein», antwortet Alexandra Frei, «den hat es noch nie gegeben.» Sie habe zwar Online-Informationen zu diesem Stichwort gelesen und merkte: «Mit 50 bin ich ja die totale Quereinsteigerin.» Kalkulieren kann sie aus ErfahrungSie habe sich durchaus überlegt, wie zu handeln sei, wenn etwas Unvorhergesehenes eintreffen sollte. Blauäugig sei sie nicht. Alexandra Frei kommt beruflich aus der Zahlenwelt und weiss genau, wie sie kalkulieren muss. Während des Umbaus machte sie die Wirteprüfung und wählte als Gesellschaftsform des Pachtverhältnisses eine GmbH, gemeinsam unterzeichnet mit ihrem Mann. Sie habe das Glück, dass er sie unterstütze. «Sonst hätte ich es nicht machen können.» Nun ist sie vom Ehrgeiz gepackt: «Natürlich will ich, dass es läuft.» Mit Nicole Stettler-Lindemann suchte sie nach Lieferanten, die zum Bistro passen. «Wir mögen Geschichten hinter den Produkten.» Gesund, regional und frisch seien entscheidende Kriterien. Zum Znüni gibt es zum Beispiel vegane Gipfeli und Fairtrade-Kaffee von Blum Kaffee Widnau, Mittagsgerichte und Kuchen zum Zvieri liefert Mehrlust Catering Diepoldsau. Beilagen werden frisch in der Küche im Bistro zubereitet. Auch Geschenkartikel und gesammelte schöne Dinge wie etwa Geschirr aus Marokko sind im Bistro erhältlich. Die zwei Frauen verfolgen ihre Ideen mit Konsequenz. «Bei Männern wird das gern als Führungsqualität gelobt, bei Frauen heisst es, sie haben Haare auf den Zähnen», sagt Nicole Stettler-Lindemann. Sie nimmt es mit Humor. Alexandra Frei ergänzt: «Wir sind, wie wir sind und lassen uns nicht verbiegen.» Sie heben ihre Gläser und prosten sich und Gästen zu. Die ansteckend fröhliche Geste unterstreicht: Das Gastgeber-Gen ist ihnen gegeben. Hinweiswww.friedrichs-bistro.ch

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