03.09.2022

Ein Mini-Dorfplatz auf dem St. Anton

Der «Alpenhof» Oberegg wird morgen wiedereröffnet. Das Steuer des «Kulturfrachters» übernimmt ein Trio aus der Innerschweiz.

Von Claudio Weder
aktualisiert am 02.11.2022
Die Aussicht lässt nichts zu wünschen übrig. Der Blick reicht von den Bündner Bergen bis zum Bodensee, hinab ins Rheintal und hinüber zu den Vorarlberger Alpen. Aus der Ferne grüsst der Alpstein. Nur eine Mobilfunkantenne trübt die Idylle hier auf dem St. Anton bei Oberegg, auf 1110 Metern über Meer.«Wir können von hier sogar auf den Hof hinunterblicken, von dem wir unsere Produkte beziehen», sagt Dominic Chenaux und lacht. Der 43-Jährige sitzt an einem langen Holztisch im Panoramasaal des «Alpenhofs» zwischen Blumentöpfen und Lampen, die noch montiert werden müssen. Ihm gegenüber sitzen Laura Röösli und Flavia Bienz. Zusammen bilden sie das neue Gastgeber-Trio der Kulturherberge, die morgen nach zweimonatiger Umbaupause wiedereröffnet wird.Vom «Neubad» Luzern nach Oberegg Mit Dominic Chenaux, Laura Röösli und Flavia Bienz übernehmen drei erfahrene Luzerner Kultur- und Gastroleute den Innerrhoder «Kulturfrachter», wie ihn Autor Peter Weber einst genannt hat. Chenaux und Röösli haben unter anderem das Luzerner Kulturzentrum Neubad aufgebaut und mitgeprägt – Chenaux als Geschäftsleiter, Röösli als Leiterin der Gastronomie. «Das ‹Neubad› war uns aber irgendwann zu gross. Wir hatten zuletzt 70 Mitarbeitende», erzählt Chenaux. «Also suchten wir uns ein neues Projekt, bei dem wir wieder mehr selber anpacken können.»Durch einen Freund wurde das Paar auf den Ideenwettbewerb zur Zukunft des «Alpenhofs» Oberegg aufmerksam. Initiiert wurde dieser 2021 von Mara Züst, der Besitzerin der Liegenschaft und Tochter des 2000 verstorbenen Malers, Fotografen und Glaziologen Andreas Züst, dessen 10’400 Bände umfassende Bibliothek das Herzstück des «Alpenhofs» bildet. Mara Züst suchte auf diese Weise eine Nachfolge für die langjährige Betriebsleiterin Bea Hadorn, die kürzlich pensioniert wurde. Beim Wettbewerb setzten sich Chenaux und Röösli gegen 28 andere Bewerbende durch. Flavia Bienz stiess erst später zum Team hinzu. Sie stammt ebenfalls aus Luzern, ist 28 Jahre alt, arbeitet als freischaffende Textildesignerin und kennt sich in der Gastroszene ebenfalls aus.Bis Röösli, Bienz und Chenaux eine Wohnung in der Gegend gefunden haben, leben sie im «Alpenhof». In den vergangenen zwei Monaten haben sie dem Haus ein Facelifting verpasst: Es wurde ausgemistet, geputzt, neu gestrichen; der Garten wurde gemacht, die 14 Zimmer neu möbliert, die Küche aufgerüstet, eine Bartheke eingebaut. Im Erdgeschoss gibt es einen Atelier- sowie einen Musikraum. Geplant sind auch ein Ausbau der Dachterrasse sowie eine «Waldblick-Sauna» hinter dem Haus. «Wir wollen dem Gebäude einen frischen, neuen Charakter verleihen», sagt Laura Röösli. Dass bis zur Eröffnung noch nicht alles fixfertig sein wird, sei nicht schlimm, ja sogar gewollt, ergänzt Flavia Bienz. «Das Haus soll sich in den nächsten Jahren laufend verändern.»Komplett umgekrempelt wird der «Alpenhof» aber nicht. Seit über 20 Jahren versteht sich das einstige Kurhotel als Ort des kulturellen Austauschs. In diesem Sinne führen es Chenaux, Röösli und Bienz weiter: Der «Alpenhof» soll ein «inspirierender Rückzugs- und Arbeitsort mit Raum für Austausch, Genuss und Erholung» sein, wie es auf der Website heisst. Wird der «Alpenhof» zum Gourmettempel?Neben dem Hotelbetrieb gibt es neu ein Restaurant, das jeweils von Donnerstag bis Sonntag geöffnet hat. Für das Kulinarische ist Laura Röösli zuständig, die im Sommer ihre Ausbildung als Köchin im 19-Punkte-Restaurant Stucki von Tanja Grandits in Basel abgeschlossen hat. Wird der «Alpenhof» jetzt ein Gourmettempel? Die 32-Jährige verneint. «Wir haben keine Ambitionen auf ‹Gault-Millau›-Punkte. Was zählt, ist Kreativität und die Freude am Kochen.» Gekocht wird frisch, gesund und nachhaltig – mit Produkten aus der Region. Es gibt zum Beispiel Polenta frites mit Hagenbutten-Ketchup, selbstgebackenes Brot oder Rüeblisuppe.Mit dem Restaurantbetrieb erhofft sich das «Alpenhof»-Team mehr Öffentlichkeit und Austausch. Die Abgeschiedenheit sehen die drei nicht als Nachteil. «Die unterschiedlichsten Leute kommen hier oben zusammen: Wanderer, Velofahrerinnen und Jassgruppen treffen auf internationale Kulturschaffende», sagt Dominic Chenaux. Daraus könnten spannende neue Begegnungen entstehen. Ziel sei es, den «Alpenhof» zu beseelen. «Vielleicht wird dieser Ort ja irgendwann zu einem Mini-Dorfplatz», ergänzt Laura Röösli.Konzerte, Lesungen, Mini-JazzfestivalAuch die Residenzprogramme sollen offener werden. Zusätzlich zu den Atelierstipendien in der Bibliothek vergibt der «Alpenhof» jährlich zwölf einmonatige Residenzen, genannt People-in-Residency. «Diese sind nicht nur für Kulturschaffende gedacht, sondern für alle, die hier bei uns an einem eigenen Projekt arbeiten wollen.» Ab Sommer 2023 wird der «Alpenhof» zudem zwei Mal jährlich zur vierwöchigen Zwischennutzung ausgeschrieben. Das Angebot richtet sich an neue oder bereits bestehende Projekte, Kollektive oder Vereine.Nicht zuletzt soll durch Veranstaltungen Leben im «Alpenhof» einkehren: Konzerte, Lesungen, ein Mini-Jazzfestival, Kräuterspaziergänge, Ausstellungen oder ein Gartenkino. Chenaux, Röösli und Bienz haben genügend Ideen. Doch sie wollen es langsam angehen.  «Wir müssen zuerst herausfinden, was die Bedürfnisse unseres Publikums sind und welche Veranstaltungsformate überhaupt Sinn machen.» Auch Kooperationen mit lokalen Kulturschaffenden seien denkbar. Im Appenzellerland gebe es viel kreatives Potenzial, sagt Chenaux. «Wir waren kürzlich an einer Stobede. Die musikalische Qualität hat uns umgehauen.»Hinweis: Tag der offenen Türe, Sonntag, 4. September, 11–16 Uhr, Alpenhof Oberegg.

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