26.02.2021

Ein meilenweiter Weg

Von Andrea Hofacker
aktualisiert am 03.11.2022
Seit zwölf Monaten schon scheint die Welt still zu stehen. Das Leben hat sich verlangsamt und die Zeit gedehnt. Wege, die wir früher selbstverständlich machten, die zu unserem Alltag gehörten, auf ein Bier mit der Kollegin, auf ein Schwätzchen mit dem Nachbarn, zum Einkaufen oder auch zum Sport oder an eine Vereinsunterhaltung, sind heute entweder nicht möglich oder so selten geworden, dass sie etwas Besonderes sind. Neulich hat mir jemand ein Bild geschickt mit einer Salatschüssel. Darauf stand: «Abends gehe ich manchmal mit einer Schüssel Salat spazieren. Das gibt mir das Gefühl zu einer Party eingeladen zu sein.»Unsere Wege in der Pandemie scheinen seltsam ins Leere zu laufen. Ziele sind selten geworden oder auch unangenehm, weil wir uns vor dem Virus fürchten. Auch Ziele, die ferner liegen. Ferien in anderen Ländern, auf die wir uns sonst im Alltag freuen können, oder Familienfeste, die unseren Jahren sonst einen Rahmen und Ordnung gegeben haben, sind gefährlich und verboten.Viele betrachten das letzte Jahr als ein verlorenes Jahr. Viele haben auch viel verloren. Manche einen Menschen an Covid, manche auch ihre berufliche Existenz. Und es irritiert, dass niemand so richtig sagen kann, ob und wann das Leben, wie es vorher war, wieder zurückkommt. Deshalb ist es mühsam, so weiterzuleben, alle Beschränkungen hinzunehmen und sich an sie zu halten. Es ist einfacher, mit Mühen zu leben, von denen man weiss, wann sie beendet sein werden.In der Bergpredigt im Matthäusevangelium (Matthäus 5,41) sagt Jesus direkt nach dem Gebot der Nächstenliebe zu den Menschen: «Und wenn jemand von dir verlangt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm.»Zwei Meilen gehen heisst im Fall der Pandemie: Wir müssen noch ein wenig ausharren um der Menschen willen, die besonders gefährdet sind von der Pandemie. Wir müssen noch ein wenig ausharren, auch wenn wir geimpft sind, für die, die auf den Intensivstationen arbeiten müssen, und es einfach nicht schaffen können, noch mehr Überstunden zu leisten und mehr Kranke zu versorgen, sondern die im Gegenteil auch einmal eine Verschnaufpause brauchen. Das ist wichtig. Und wenn wir uns das klarmachen, dann glaube ich, dass die Mühen des letzten Jahres nicht vergeblich waren, sondern dass wir einen Sinn darin sehen können: Wir haben alles getan, um die Werte, die der Kitt unserer Gesellschaft sind, weiter hoch zu halten und Leben zu schützen und Solidarität mit den Schwächeren und den besonders Betroffenen zu üben.Mit diesem starken gesellschaftlichen Zusammenhalt und der Rücksichtnahme auf die besonders Betroffenen haben wir doch einen guten Boden, um nach dem Abebben der Pandemie unsere Wege wieder mit Sinn, Freude und in Gemeinschaft zu gehen. Und dann wahrscheinlich noch so gern auch zwei Meilen. Andrea HofackerPfarrerin in Marbach

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