30.04.2021

Ein Mann mit Gold und Güggel

Alfred Hagmann, der einen Laden in Altstätten betrieb, hatte sechs Jahre in den Goldfeldern Alaskas verbracht.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Seine in Altstätten lebende Enkelin Judith Benz zeigt einen schönen Ring aus Gold. Der 1963 verstorbene Grossvater hatte jedem seiner sechs Kinder ein goldenes, von einem Goldschmied in Alaska angefertigtes Schmuckstück geschenkt. In Amerika hatte der Altstätter neun Jahre als Melker, Trapper, Holzfäller und Goldgräber gelebt, ehe er «als gemachter Mann zurückkehrte», wie die «Rheintalische Volkszeitung» in ihrer Ausgabe vom 30. Juli 1987 schrieb.Die wahrscheinlich prägendsten Jahre in Alfred Hagmanns Leben hat er selbst eindrücklich geschildert, in seinem 1939 erschienenen, hundertseitigen Buch «Sechs Jahre in den Goldfeldern Alaskas», das nur mit viel Glück noch irgendwo zu finden ist.[caption_left: Die in Altstätten lebende Enkelin Judith Benz hielt Opas Geschichten lange für erfunden.]Mit 1,54 fürs Militär zu klein gewesen29-jährig, am 12. September 1907, verabschiedete sich Alfred Hagmann am Altstätter Bahnhof von seinen Angehörigen, um mit drei weiteren Rheintalern nach Amerika zu reisen. «Nun lebe wohl, du schönes Schweizerland, wer weiss, ob jemals einer von uns den heimatlichen Boden wieder betreten wird», schrieb Alfred Hagmann. Mit einer Körpergrösse von 1,54 war er für den Militärdienst zu klein gewesen. Er sei in den Augen der anderen deshalb «kein richtiger Mann» gewesen, sagt Judith Benz, und habe sich mit seinem langen Auslandaufenthalt wohl auch behaupten wollen.In Paris war der Bahnhof «vollgestopft mit Auswanderern», ab Le Havre erfolgte die Überfahrt auf der «Bretagne», einem 1886 gebauten Ozeandamper. Die Rheintaler schliefen als Drittklasspassagiere in einem Raum mit fast hundert Hängematten, von denen jeweils zwei übereinander hingen.Es war kein Stück Boden mehr freiWie viele Menschen der damaligen Zeit folgte Alfred Hagmann, der zunächst kein Englisch sprach, dem Lockruf des Goldes. Bei einem Farmer hatte er eine Stelle als Melker in Aussicht, später war er auch Trapper und Holzfäller, falls er nicht gerade für eine der Minenfirmen am Goldsuchen war.In seinem Buch schreibt er: «Wir beabsichtigten, (gegen eine Gebühr von wenigen Dollars, Anm. der Red.) für uns ebenfalls Land abzustecken» - in der Hoffnung, dadurch schnell reich zu werden. Aber es war kein Stück Boden mehr frei.»Als «oben am Yukon» ein neues Goldfeld entdeckt worden war, machte sich auf, wer konnte, «um Reichtum und Glück zu finden». Auch Alfred Hagmann «stand wieder vor einer schweren Entscheidung». Er schloss sich Kaspar, einem Bündner an, es zeigte sich jedoch: Es war kein Gold vorhanden. Der Rheintaler traf einen Luzerner von früher wieder, der ihm prophezeite, das Goldfieber werde ihm «noch vergehen».Als Alfred Hagmann, des damaligen Krieges rund um die Schweiz zum Trotz, nach Hause zurückzukehren beschloss, liess er sich selbst vom Glanz und Gewicht des Goldes nicht umstimmen. Es wurden ihm Goldbarren unter die Nase gehalten und Angebote gemacht, aber der Altstätter fuhr heim – und schrieb: «Schon allzu viele hatten ihre besten Jahre, Geld und Gesundheit um des Goldes willen geopfert und weil ihnen das Glück nicht günstig gesinnt war und sie sich vom Goldfieber nicht mehr loszulösen vermochten, starben sie dem Alter nach noch jung, an Körper und Geist aber alt und krank, arm und unbekannt fernab ihrer Heimat, in diesem Lande, in dem das Gold Glück und Verderben unter die Menschen streute.»Das Buch des Melkers ist gut geschriebenDer Melker war sehr sprachaffin, sein Buch besticht mit klaren, eleganten Sätzen. Nach der Rückkehr konnte er sich vom Ersparten in Bichwil ein Heimwesen kaufen. Er war als Landwirt tätig, ehe er mit seiner vom Ruppen stammenden Gattin Katharina Eugster nach Altstätten zurückkehrte und als Vater von sechs Kindern an der Churerstrasse ein Tuch- und Spezereigeschäft führte. In diesem Haus lebte bis zum siebten Lebensjahr auch Judith Benz, viel später übernahm sie das Gebäude, bis sie es im letzten Jahr, dem Todesjahr des Vaters, veräusserte.Je eine Tochter des einstigen Goldsuchers lebt in Amerika und Kanada, der Zwillingsbruder von Judith Benz’ Vater Josef ist im Kanton Bern zu Hause.[caption_left: An Altstättens Churerstrasse betrieb Alfred Hagmann mit seiner Frau ein Spezerei- und Tuchgeschäft. Die Fassade ist noch heute mit «Hagmann-Eugster Colonialwaren» beschriftet.]Unterm Haus führte ein Gang bis fast zur KircheJudith Benz bekam vom Grossvater so interessante Geschichten erzählt, dass sie sie anfangs für erfunden hielt. Erst nach und nach erkannte sie, dass ihr Grossvater ein in Alaska zwar einsames, aber sehr aufregendes Leben geführt hatte. Als Erzähler habe der Grossvater ihr und der (nicht mehr lebenden) Schwester stets alles verständlich geschildert. Von ihm lernte sie: «Erklär den Leuten die Dinge so, dass sie dich weder für dumm halten noch sich selbst dumm vorkommen müssen.»Judith Benz erinnert sich, dass unter dem Haus, das noch heute mit «Hagmann-Eugster Colonialwaren» angeschrieben ist, ein Gang bis zum damaligen Beck Oertli (heute Hautle) und noch ein Stück weiter bis fast zur katholischen Kirche führte. Sich hier aufzuhalten, war den Kindern streng verboten, doch sie dürften sich in dem unterirdischen Gang ein bisschen vorgekommen sein wie ihr Grossvater als junger Mann in der Goldmine.Wie nah Judith Benz und der Grossvater sich standen, ist an vielem zu erkennen. Die erste Reise unternahm die Enkelin als Sechzehnjährige mit einem Schiff, bald drauf verbrachte sie drei Monate in Amerika, wo sie sich um eine erkrankte Tante kümmerte. Sie wurde Krankenschwester, war zehn Jahre in Altstätten beim Rettungsdienst und arbeitet heute in der Reha-Klinik in Gais. Auf den Grossvater hat sie gehört. «Weisch, Meitli, hatte er gesagt, muesch Melche lerne, will mit Melche chunnsch überall dure.» Also kann sie es tatsächlich. Auf dem Warmesberg, wo der Grossvater eine Zeitlang lebte, ist Judith Benz seit gut zwei Jahrzehnten zu Hause. Sie hat durch den Grossvater am Briefeschreiben Gefallen gefunden, und noch heute schreibt sie täglich einen Brief.[caption_left: Alfred Hagmann schrieb aus Alaska viele Karten und Briefe nach Hause.]«Min Opa isch en Spezielle gsi»Auch die besondere Beziehung zu Tieren teilt Judith Benz mit dem Grossvater. Eine seiner Geschichten handelte davon, wie er im Eis einbrach und im kalten Wasser gemeint hatte, jetzt müsse er sterben. Es gelang ihm, sich zu retten; sein treuer Hund wärmte ihn.In Altstätten hatte er als ständigen Begleiter einen Güggel. Sogar in die Beiz sei er mitgegangen, erzählt Judith Benz. Zu viel zu trinken sei in Gegenwart des Güggels keine Option gewesen. Schon bei geringsten Anzeichen einer Alkoholfahne habe er sich wild gebärdet – was jedoch kaum vorgekommen sei, zumal der Grossvater dem Alkohol nicht übermässig zugeneigt gewesen sei. «Min Opa isch en Spezielle gsi», sagt Judith Benz. Das trifft vielleicht auch auf die anderen drei Männer zu, die zusammen mit Alfred Hagmann am 12. September 1907 am Bahnhof in Altstätten Abschied nahmen. Judith Benz weiss leider weder ihre Namen noch was aus den Männern wurde.[caption_left: So wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Eskimos dargestellt. Alfred Hagmanns Worte über sie zeugten von grossem Respekt.]

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