01.03.2022

Ein Leben für die Jugend und für die Gesellschaft

Sein uneigennütziges ehrenamtliches Engagement beeindruckt. Am 12. Januar starb Alois Loser. Ein Nachruf.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 02.11.2022
Vor gut anderthalb Monaten starb, 92-jährig, der ehemalige Lehrer Alois Loser. Der gebürtige Toggenburger kam in jungen Jahren ins Dorf am Rhein. Hier fand er nicht nur seine Ehefrau Myrtha, geborene Loher, hier war er während 43 Jahren als Pädagoge tätig. Alois Loser war Ehrenbürger von Montlingen und von Oberriet. Das Leben von Alois Loser verdient es, besonders beachtet zu werden. Wie schafft man es, so fragt man sich heute, Ehrenbürger zu werden? Was muss man tun, um diesen heute so seltenen Titel zu bekommen?Ich lernte Alois Loser kennen, als ich als Student für ein paar Wochen Aushilfslehrer in Montlingen war. Schon am ersten Tag stand er mir zur Seite, hilfsbereit und mit viel Einfühlungsvermögen für den überforderten Anfänger. Später hatte ich regelmässig mit ihm Kontakt, als er Ortskorrespondent für die Zeitung war. Was Alois Loser der Redaktion an Texten und Berichten ablieferte, war säuberlich auf der Schreibmaschine getippt, fehlerfrei, so dass der Redaktor kein Jota ändern musste. Es war die Zeit, als einzelne Ortskorrespondenten ihre Texte noch von Hand schrieben. Ab und zu brachte Alois Loser seine Berichte in mein Büro und sagte: «Ich habe etwas geschrieben, aber du kannst daraus machen, was du für gut findest.» Das war typisch für Alois Loser. Er war grosszügig und schenkte anderen Vertrauen. Er erwartete aber auch, dass andere ihre Sache gut machten. Seine Ansprüche an sich und an andere waren hoch.Mut zur EhrlichkeitDie ausserberufliche Tätigkeit, die Alois Loser leistete, ging über das übliche Mass hinaus. Klar war damals zwar, dass ein Lehrer ein öffentliches Engagement an den Tag legte. So waren Lehrer meistens in zwei oder drei Chargen im Dorf tätig. Die wenigen Lehrerinnen, die es damals gab, unterrichteten die untersten Klassen, waren meistens ledig und wurden Fräulein genannt. Sie waren allerhöchstens in kirchlichen Vereinen aktiv. Arbeit im Dienst der Öffentlichkeit war Männersache. Die Männer trafen sich nach der Sitzung in der Dorfbeiz, wo kaum Frauen anzutreffen waren. Alois Loser trat in jungen Jahren, um Anschluss an den neuen Wirkungs- und Wohnort zu bekommen, in den Kirchenchor ein.Als Lehrer hatte er zwei Klassen, die dritte und die vierte, zusammen zu unterrichten. In seinem Schulzimmer sassen insgesamt 72 Buben und Mädchen, alle eng beieinander. Er verdiente anfänglich 380 Franken im Monat. Schulpräsident war der Ortspfarrer. Als es eine kantonale Volksabstimmung über die Erhöhung der Lehrerlöhne gab, weibelte der Pfarrer dagegen. Das liess sich der gradlinige Alois Loser nicht gefallen. Er trat als Kirchenchorleiter zurück, zeigte Mut und stand zu seiner Überzeugung, auch wenn es gegen die damalige Allgewalt eines Pfarrers und gegen den eigenen Chef ging. Alois Loser war offen und ehrlich. Angst vor Würdenträgern und vor hohen Tieren kannte er nicht. Für ihn waren alle Menschen gleichwertig.Eine lange Liste freiwilliger EngagementsSchaut man sich die Engagements an, die Alois im Lauf seines Lebens in Montlingen und andernorts ausübte, kann man nur staunen und sich fragen: Wie schaffte ein einziger Mensch diese Fülle? Er war Dirigent des Männerchors Kriessern, Buchhalter der Milchzentrale Montlingen, Aktiv- und Ehrenmitglied des Turnvereins KTV Montlingen, OK-Präsident von Festen, Bühnengestalter, Präsident des Rheintalischen Turnvereins RKTSV, Ortskorrespondent, Aktuar der Montlinger Feldschützen, Präsident des Schwerhörigenvereins Rheintal, Verwaltungsmitglied der Kirchgemeinde Montlingen-Eichenwies, Aushilfsorganist, während 24 Jahren Bezirksschulrat, Mitglied der kantonalen Aufsichtskommission Strafanstalt Saxerriet, während 23 Jahren Aktuar der Primarschulgemeinde Montlingen, 20 Jahre lang Betreuer des Heimatmuseums Montlingen, Aktuar des Zweckverbandes Realschule Montlingen-Kriessern-Eichenwies, Mitglied der Kommission zur Renovation der Kirche Montlingen, er verfasste mehrere Chroniken, Schriften und Büchlein.Durch mehrere seiner Engagements traf ich immer wieder mit Alois Loser zusammen. Als er mich über die Idee informierte, die Autobahn in Montlingen durch einen Tunnel zu überdachen, dachte ich an ein Hirngespinst von Alois. Vielleicht habe ich ihm das auch so gesagt. Aber wieder typisch Alois Loser, der ruhig und in seiner bescheidenen Art sagte: «Man muss es halt probieren.» Genau auf diese Art hatte er in dieser Sache und in vielen anderen Belangen immer wieder Erfolg: er wagte etwas, er versuchte etwas, auch gegen Widerstände, er zog es durch, er konnte andere überzeugen, ging voran, zielstrebig, ab und zu andere vor den Kopf stossend, aber immer für die gute Sache kämpfend.Einsatz für die BenachteiligtenAlois Loser wuchs in einfachen Toggenburger Verhältnissen auf. Seine Herkunft verleugnete er nie. Beruflich machte er nach 22-jähriger Tätigkeit an der Primarschule einen grossen Wechsel. Er liess sich berufsbegleitend zum Heilpädagogen ausbilden und übernahm die Stelle eines Lehrers an der Hilfs- oder Sonderschule, wie sie damals genannt wurden. Während 21 Jahren half er nun, benachteiligten Buben und Mädchen Bildung zu vermitteln und sie für den Schritt ins Leben vorzubereiten. Mit dem ihm eigenen Einfühlungsvermögen war er während 43 Jahren im Schuldienst tätig, ein geachteter, strenger und doch liebevoller Lehrer.Dasselbe traf bestimmt auch auf seine Rolle als Vater zu. Genau gleich war er für seine Freunde. Und trotz seiner Fülle an Beschäftigungen hatte ich bei Alois Loser immer das gute Gefühl, dass er Zeit hatte, wenn man ihn brauchte. Er wirkte abgeklärt und gelassen. Gegen Ungerechtigkeit, die er sah, konnte er schon deutliche Worte finden und Taten folgen lassen, unbeirrt seinen Weg gehend.Wie es früher einmal warMenschen, die wie Alois Loser über 90 Jahre lebten, haben eine Menge erfahren und gesehen. Er wusste als Hüter des Museums Montlingen nicht nur viel über das Rheintal in vorhistorischer Zeit, sondern auch über das gesellschaftliche und dörfliche Leben des letzten Jahrhunderts. Er erlebte selber, dass ein Lehrer noch täglich Krawatte und Kittel tragen musste, dass er in der Schulmesse zweimal pro Woche Aufsicht halten musste, dass er sich mit seinen Schülerinnen und Schülern an den Monatsprozessionen und an den Bittprozessionen beteiligen musste.Dass er als Lehrer Wohnsitzpflicht hatte, war sein Glück. Hier fand er, der jeden Tag im Restaurant Kreuz Zmittag ass, seine Ehefrau Myrtha, die dort im Service arbeitete. Im Jahr 1962 heiratete das Paar. Die Flitterwochen – allerdings nur fünf Tage – gingen nach Unterägeri – nichts von Abu Dhabi oder Malediven! Die junge Familie wohnte im Schulhaus und konnte im Jahr 1974 ins selbsterbaute Haus am Fuss des historischen Bergli ziehen, wo die Kinderzahl auf fünf zunahm. Und wenn der Vater fast jeden Abend an einer Sitzung oder im Home-Office tätig war, so litt das Familienleben nicht darunter, weil eine starke Frau und Mutter das Familienschiff steuerte. Trotz aller ausserhäuslichen Beschäftigung fand Alois Loser immer Zeit, um seinen Kindern und Grosskindern eigene Geschichten zu erzählen, auch jene von «Türli und Flidari». Und reich wurde die Familie durch das übergrosse Engagement des Vaters nicht, aber immerhin konnte Alois Loser noch erleben, dass die Lehrerlöhne den Erfordernissen der Zeit angepasst wurden.Nicht nur um Gottes LohnEin Dorfschullehrer hatte damals neben dem Beruf viele Nebenjobs zu erfüllen, gewissermassen fixiert in seinem Pflichtenheft. Das Aktuariat, die Kassenführung und viele weitere Aufgaben in Vereinen oder Körperschaften erledigen heute Frauen und Männer in der Regel gegen Bezahlung. Früher wurde die Mitarbeit des Lehrers einfach erwartet. Wobei aber klar ist, dass Alois Loser weit über das Mass hinaus aktiv war, und seine Fähigkeiten der Community, um ein neues Wort zu wählen, zur Verfügung stellte, oft gegen einen kleinen Batzen oder um Gottes Lohn, nämlich gratis.Eine grosse und wohlverdiente Würdigung seines Wirkens erfuhr Alois Loser dennoch. An der Bürgerversammlung der Ortsgemeinde Montlingen ernannten ihn die Stimmberechtigten im Jahr 1995 zum Ehrenbürger. Schon wenige Tage später taten es ihnen die Stimmberechtigten der Politischen Gemeinde Oberriet gleich. Damit erfuhr Alois Loser eine seltene und verdiente Würdigung. Nur ganz wenigen Menschen wird diese Ehre zuteil. Das Ehrenbürgerrecht wird nicht vererbt. Man nimmt es mit ins Grab. Alois Losers Ehegattin Myrtha und seine fünf Kinder hätten diese Ehre eigentlich mitverdient. Denn hinter jedem erfolgreichen Mann, so sagt man, stehen eine tüchtige Frau und eine wackere Familie. Die acht Grosskinder können noch in vielen Jahren von ihrem Grossvater, dem Ehrenbürger, erzählen.

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