Im Convent, dem Speisesaal des Klosters, sitzen die vier Schwestern bei Kaffee und Schoggikuchen. Gleich daneben liegt die Küche. Beide Räume sind viel zu gross für vier Bewohnerinnen. Hier lebten einst über 50 Kapuzinerinnen ein Leben in Klausur, in Abgeschiedenheit mit Gottesdiensten und ewiger Anbetung. Im Prinzip ist das heute noch so. Doch viel hat sich verändert.
Keine Männer
Klausur bedeutete, dass kein Aussenstehender zu den innersten Räumen des Klosters Zugang hatte. Keine Frauen und schon gar keine Männer. Als die vier Schwestern jung waren, war ihr klösterliches Leben minutiös getaktet. Es bestand aus sehr früher Tagwache, Gebet, Gottesdienst, Arbeit in Haus, Hof und Garten, Lesung der Heiligen Schrift, Betrachtung und der nächtlichen Anbetung. Weil Frauen in der katholischen Kirche keine Heilige Messe zelebrieren und die Lossprechung, die Absolution bei der Beichte, nicht erteilen dürfen, gab es für jedes Frauenkloster einen Priester, den Spiritual. Heute versieht Franziskanerpater Josef Vrdoljak diesen Dienst. Er ist zugleich Aushilfeseelsorger in der Seelsorgeeinheit Blattenberg.
«Wir leiden hier nicht»
Beim Kaffee berichten die vier Schwestern offen über ihr Leben und über ihre Gedanken. Das sind: die «Chefin» des Hauses, Frau Mutter Maria Angelika Scheiber, Schwester Maria Bernadette Buschor, Schwester Bernadette-Maria Eberhard und Schwester Maria Johanna Suter. Vier verschiedene Charaktere leben hier eng zusammen und bilden eine Familie oder eine Wohngemeinschaft. Zwei der Schwestern kamen im vorgerückten Alter nach Altstätten. Sie hatten ihr Kloster in Wattwil zu verlassen. Die dortige Gemeinschaft wurde zu klein, das Kloster geschlossen, die verbliebenen Schwestern wurden umgesiedelt. Schwester Bernadette-Maria und Schwester Johanna fanden eine neue Heimat in Altstätten. Der Wechsel war gross. Wattwil war strenger, Altstätten war offener und – wenn das Wort erlaubt ist – lockerer. Wenn Aussenstehende hingegen meinen, die Menschen in einem Kloster müssten dienen, dulden und leiden, so ist das nicht so. Denn, so betonen die vier Schwestern, sie hätten dieses Leben ja gesucht und freiwillig gewählt. Sie sagen unisono: «Wir haben es keinen Tag bereut, in das Kloster einzutreten und diese Lebensform zu wählen. Uns gefällt es.»
Es gibt Zweifel
Rückblickend auf ein langes Ordensleben sagt die aus Altstätten stammende Schwester Bernadette:
Meine Mutter hatte gar keine Freude, als ich ihr im Jahr 1957, 24jährig, eröffnete, dass ich ins Kloster gehen will. Bis heute bin ich sicher, den richtigen Weg gewählt zu haben.
Die aufgestellte Schwester erlebte eine Berufung. In einem Gottesdienst in der Altstätter Pfarrkirche habe sie urplötzlich gespürt, was ihr Lebensweg sein soll oder sein müsse. Schwester Johanna zog es in den Bann des Ordenslebens, als sie mit 16 Jahren in einem Spital von Nonnen gepflegt wurde, die sie mächtig beeindruckten und ihr zum Vorbild wurden.
Ob sie je Zweifel über ihren Klosterweg gehabt habe, beantwortet Frau Mutter Angelika zackig mit: «Oh ja, und zwar grosse Zweifel.» Schwester Angelika trat 1974 ins Kloster Ingenbohl ein, erhielt dort eine Ausbildung zur Heimerzieherin Geistigbehinderter und wirkte acht Jahre in Bremgarten. Von 1985 bis 1991 war sie Gruppenleiterin im Kinderheim Bild in Altstätten und bildete auch Lehrtöchter aus. Mit 37 Jahren spürte sie, dass für sie ein anderer Weg richtig wäre; zu wechseln in einen beschaulichen Orden. Sie hatte es sich nicht leicht gemacht, denn sie liebte das Ordensleben als Ingenbohler Schwester. Mit sich selber ringend wagte sie den Schritt zu den Kapuzinerinnen ins Kloster Maria Hilf. Hier kam sie in eine zwar frei gewählte, aber hierarchische Einrichtung, mit einer gestrengen Oberin, die der «Neuen» mitunter zeigte, wo Gott hockt.
Angelika hatte anfänglich keine leichte Zeit, aber sie hielt durch. Schliesslich hat sie einen rechten «Kopf», bei der Berglerin aus Uri darf schon einmal «Grind» Verwendung finden. Dank desselben hat sie überlebt und ist heute als jüngste der Vier selber die Oberin, von den Mitschwestern in demokratischer Wahl gewählt. Sie prägt das Kloster, führt modern, offen, einfühlsam für ihre alternden Mitschwestern. Sie managt den grossen Betrieb mit Gebäuden, Böden, Pachten, Verträgen und Finanzen. In Altstätten ist «die Angelika» eine bekannte und geachtete Grösse, die man auch im Laden oder auf dem Markt trifft. Sie sorgt für ihre Mitschwestern, die sagen.
Mir händ e gueti Frau Muetter.
Im Übrigen sagen die Schwestern übereinstimmend, dass eigentlich jeder Mensch, der glaube und Gott suche, auch einmal Zweifel habe, ja haben müsse. Gott suchen sei eine Lebensaufgabe. Glauben und Theologie seien nun einmal keine exakten Wissenschaften, sondern eine Sache des Geistes, der Spiritualität und der Emotionen.
Keine Vorgesetzten
Das Kloster Maria Hilf ist ein spezielles Rechtsgebilde. Es ist mit seinem Grundstück von 35'000 Quadratmetern im Eigentum der vier Schwestern und gehört weder dem Bistum noch irgendwelcher Ordensprovinz in Rom oder gar dem Vatikan. Die vier Schwestern haben die Aufgabe, ihre geschichtsträchtige Institution in die Zukunft zu führen. Es wird mit ziemlicher Sicherheit eine Zukunft ohne Schwestern sein. Neue Frauen treten nicht mehr ein. Eine junge Eintrittswillige dürfte man gar nicht aufnehmen, denn sie bekäme den Auftrag, die alten Mitschwestern zu pflegen und wäre bald einmal auf sich allein gestellt. Schwester Johanna und die beiden Bernadetten bedauern, dass es kaum noch Eintritte in Klöster gebe. Die sogenannt moderne Familie sei halt kein Nährboden mehr, man bete daheim kaum noch, man pflege die Beziehung zu Gott zu wenig.
Lebensinhalt der vier Kapuzinerinnen ist Jesus Christus, mit seiner Mutter Maria und den Heiligen, die man im Kloster verehrt. Immerhin verfügt das Kloster über eine im Jahr 2008 vom Papst kanonisierte «hauseigene» Heilige, nämlich Maria Bernarda Bütler. Sie war von 1880 bis 1888 Oberin in Altstätten.
Das Gebet prägt den Alltag, der um sieben Uhr beginnt, mit den Laudes, dem Morgengebet. Es folgen über den Tag verteilt die weiteren Gebete, die in jedem Kloster so stattfinden: Horen, Vesper, Komplet und vor Festtagen die Vigil. Jeden Tag feiern die Schwestern mit ihrem Spiritual die Eucharistie. Die Gottesdienste in der Klosterkirche sind immer öffentlich.
Essen aus der Hotelküche
Heute kochen die Schwestern nicht mehr selber. Das Mittagessen kommt vom benachbarten Hotel Sonne. Fürs Morgen- und Nachtessen sorgen Mitarbeiterinnen. Tagsüber kann es auch sein, dass die vier eine Pause machen, an der Sonne sitzen und zusammen ein Bier trinken. Im Garten mit Teich, kleinem Wald, mit Blumen und dem angrenzenden Schwesternfriedhof kommt Frau Mutter Angelika ihr einstiger Traum wieder in den Sinn. Sie träumte von der strengen Oberin, die ihr die Kommunion verweigerte. Da grub die Gekränkte im Traum in der Erde. Im Erdreich stiess sie auf eine samtweiche rote Rose mit leuchtend grünen Blättern von feucht warmer Erde umgeben. Das musste doch ein Zeichen von Himmel sein! Nicht demütigen lassen, sondern immer auf Gott vertrauen, auch wenn man dafür im Dreck graben muss. Jesus sei da, wenn man nach ihm suche, freut sich Mutter Angelika.
Viel Gutes
Die Schwestern von Maria Hilf, die früher in der Schul- und Erziehungsarbeit tätig waren, tun heute noch viel Gutes, besonders an Armen und Benachteiligten. Und sie selber zählen auf viele Menschen, die ihnen Gutes erweisen, die mit ihnen beten, sie in allen Belangen begleiten und ihnen in wirtschaftlichen Dingen beistehen. Die vier Schwestern denken positiv und sagen: «Die Welt ist da und dort schlecht, aber wir sollten vermehrt das Gute sehen und das Gute verstärken, nicht immer über das Negative klagen.» Und sie nehmen nur je ein kleines Stück vom Schoggikuchen. «So bekommt jede von uns noch einmal ein kleines Stück am Abend. Darauf freuen wir uns.»