Benjamin SchmidAlte Menschen sind in der heutigen Zeit keine Seltenheit. Dennoch bin ich etwas nervös, als ich das Zimmer von Margaritha Zoller im Alters- und Pflegeheim Hof Haslach betrete. Sie wurde am 12. September 1918 geboren. Knapp zwei Monate, bevor im Wald von Compiègne bei Paris der Waffenstillstand und somit das Ende des Ersten Weltkrieges besiegelt wurde. Ereignisse wieder Zweite Weltkrieg, der Kalte Krieg oder der Vietnamkrieg fanden zu Lebzeiten Margaritha Zollers statt. Sie hat zahlreiche Präsidenten kommen und gehen sehen, den Wirtschaftsboom erlebt und jetzt die Digitalisierung. Fast unscheinbar sitzt sie in ihrem Rollstuhl. Ihre Augen sind klar und strahlen. Sie bittet mich, Platz zu nehmen und lächelt mich an. Margaritha Zoller macht einen wachen Eindruck – kaum zu glauben, dass sie bereits 100 Jahre alt ist. Ein Leben in Demut und Bescheidenheit Margaritha Zoller ist zusammen mit ihren sieben Geschwistern in bescheidenen Verhältnissen in Mels aufgewachsen. Nach der Schulzeit machte sie ein Hauswirtschaftslehrjahr und arbeitete in der Folge als Hausmädchen. 1941 heiratete sie Joseph Zoller. Gemeinsam mit ihren beiden Söhnen lebten sie im Büchel in Au. «Ich habe nichts Spezielles gemacht, um so alt zu werden», sagt die Jubilarin und fügt an: «Ich lebe solide, habe etwas Sport gemacht, nicht zu viel Alkohol konsumiert und hielt mich mit Lachen gesund.» Humor hat für sie auch heute noch einen hohen Stellenwert. Immer wieder huscht ein Lächeln über ihre Lippen, und von Zeit zu Zeit streut Margaritha Zoller eine Pointe in ihre Erzählungen ein. Sie habe eine schöne Zeit erlebt. Das Leben war einfacher, die Möglichkeiten sich zu entfalten waren rar, und der Gehorsam wurde grossgeschrieben: «Ich war immer brav», sagt sie und ergänzt: «Früher musste man den Eltern, den Lehrern und den Erwachsenen gehorchen.» «Früher war nicht alles besser», sagt sie mit Blick auf ihre Kindheit. «Wir hatten weniger Geld, weniger Nahrungsmittel, weniger Rechte und weniger Möglichkeiten.» Sie habe ihren Weg gefunden und beschritten. «Ich würde nicht alles, aber vieles wiederholen», sagt Margari-tha Zoller und fügt an: «Dennoch möchte ich nicht wieder jung sein.» In bester Erinnerung ist die gemeinsame Zeit mit ihrem Mann und ihren Söhnen. «Zu sehen, wie aus den eigenen Kindern selbstständige Erwachsene werden, die ihrerseits Familien gründen, ist wundervoll.» Mittlerweile sei sie Urgrossmutter und sowohl ihre vier Enkel wie auch die beiden Urenkelinnen machen sie täglich stolz. «Es ist sehr schön, wenn mich meine Urenkel besuchen kommen und aus ihrem Leben erzählen.» Die eine Urenkelin ist in der Ausbildung zur Lehrerin, die andere hat sich für eine Pflegeausbildung entschieden. Margaritha Zoller hat sich ihr Leben lang gern und viel bewegt: Sei es bei der Tätigkeit auf dem Feld, bei Wanderferien in den Alpen oder wenn sie mit ihrem Mann zu volkstümlicher Musik getanzt habe. Auch mit 100 ist sie noch aktiv.Eingeschränkte BewegungsfreiheitSeit dem Oberschenkelhalsbruch vor knapp drei Jahren ist ihre Bewegungsfreiheit jedoch eingeschränkt. «Ich bin auf den Rollstuhl angewiesen», sagt sie und fügt an: «Auch wenn meine Söhne mit mir spazieren gehen, ist es nicht dasselbe, wie selbstständig zu laufen.» Dies sei denn auch ihr grösster Wunsch, bevor sie sterben müsse. «Ich möchte nochmals auf eigenen Füssen stehen und in der Natur spazieren.» Angst vor dem Tod habe sie nicht; er liesse sich eh nicht abwenden. Früher sei sie ängstlich gewesen, nun wisse sie aber nichts, wovor sie sich zu fürchten bräuchte. «Ich nehme Tag für Tag und geniesse die Zeit, die ich mit meiner Familie verbringen darf», sagt Margaritha Zoller und ergänzt: «Nächstes Jahr jedoch gibt es ein kleineres Geburtstagsfest als in diesem Jahr.»