12.11.2020

Ein grosser Schritt vorwärts

Auf die neue Radsaison schliesst sich Joel Enzler dem Team Vorarlberg an. Dies eröffnet viele neue Möglichkeiten.

Von Remo Zollinger
aktualisiert am 03.11.2022
Nimmt Radrennfahrer Joel Enzler morgen Samstag das nächste Rennen in Angriff, steht er nicht auf der Strasse am Start wie sonst üblich. Er sitzt zu Hause in Oberegg, das Rennen wird elektronisch ausgetragen. Die Serie trägt den Namen «eCycling league Austria» und besteht aus neun Etappen, in denen richtige Rennstrecken sehr detailgetreu nachgefahren werden. Und zwar auf der Rolle (Zwift).Trainings und Rennen auf der Rolle sind nicht neu, 2020 haben sie aber mehr Bedeutung bekommen. Kann man nicht an die Rennen reisen, kommen sie eben nach Hause. Auch die Radrennszene hat in der allmählich ermüdenden Coronazeit  Alternativen entwickelt.Es wird Joel Enzlers erster Einsatz im neuen TeamAm Samstag steht ein Rennen über zwei Runden à 23 Kilometer bevor. Für den 16-jährigen Joel Enzler wird einiges neu: Erstmals startet er in der Kategorie Junioren (U19), erstmals geht er für das Team Vorarlberg Santic an den Start.Ihm gehört der Oberegger seit Kurzem an. Das neue Team eröffnet viele neue Möglichkeiten, etwa die Zusammenarbeit mit einem Mentaltrainer, ein einfacherer Zugang zu hervorragendem Material oder die Chance, 2021 Rundfahrten zu absolvieren. Dazu entsteht eine Trainingsgruppe, zu der auch Profis gehören – ein Gefäss, das nicht nur den Austausch über den Sport fördert, es werden auch Themen wie die Ernährung besprochen. Eine weitere Änderung, die einschneidendste, betrifft den Trainer. Dieser ist neu Emmanuel Batella, ein spanischer Professional, der schon viele heute gestandene Profis unter seinen Fittichen hatte.Joel Enzler mit dem Teammanagement des Teams Vorarlberg Santic, Thomas (links) und Johannes Kofler vom RadHaus Rankweil. Auf dem Smartphone zeigt Joel Enzler den Trainingsplan. Darauf stehen: Zeittraining, Höhentraining, Intervalltraining, Krafttraining – und zwischendurch, recht selten, ein Ruhetag. «Einen solchen braucht’s halt auch einmal», sagt Joel Enzler. Bei den Erklärungen fällt auf: Er freut sich darauf, den Plan in Angriff zu nehmen. Er freut sich darauf, nicht mehr wie in diesem Sommer zehn bis zwölf, sondern 15, 16 Stunden pro Woche auf dem Rennrad zu sitzen. Er freut sich auf den Schritt nach vorn.Mit dem Rennrad zur Arbeit nach AppenzellJoel Enzler ist im zweiten Lehrjahr als Zeichner Ingenieurbau. Zurzeit arbeitet der 16-Jährige  in der Oberegger Filiale seines Lehrbetriebs Hersche Ingenieure AG, sonst in Appenzell. Der Weg dorthin ist je nach Route 20 bis 30 Kilometer lang und hat einige Höhenmeter – ein perfektes Training.«Als Vorbereitung auf die Schweizer Meisterschaft stand ich jeweils um fünf Uhr auf, fuhr die Strecke mit dem Rennrad und war immer pünktlich bei der Arbeit», erzählt Joel Enzler. Er hat in diesem Jahr schon fast 10000 Kilometer auf dem Rennrad zurückgelegt, Höhenmeter sind es fast 100000.Was sich wie ein Mammutprogramm anhört, ist auf dieser Entwicklungsstufe im Radrennsport keine Seltenheit. Im Nachwuchs geht es auch darum, möglichst viele Kilometer zurückzulegen – mit jedem können die physischen, technischen und mentalen Fertigkeiten verbessert werden. Am besten sind natürlich Rennkilometer – doch diesbezüglich war 2020 ein besonders mühsames Jahr.Eigenes Team mit selber gesuchten SponsorenDie Laufbahn von Joel Enzler begann in der Radsportschule Rheintal. Als diese vor zwei Jahren aufgelöst wurde, gründete sein Vater Cornel Enzler die IG Radsport Ostschweiz, die unter anderem mit dem Restaurant Montlinger Schwamm das Bergrennen «Schwamm Uphill» organisiert. Joel Enzler wollte ein eigenes Team gründen. So wurde das EBS Orthopädie SG Racing Team aus der Taufe gehoben. Es wird mit Joel Enzlers Weggang zum Team Vorarlberg nicht aufgelöst, es bleibt als Gefäss für Networking erhalten.Für das neue Team suchte der Teenager die Sponsoren selber. «Ich stellte eine Mappe zusammen und wurde von vielen Betrieben mit offenen Armen empfangen», sagt Joel Enzler. Alles lief gut, doch dann kam das Coronavirus. «Ich hatte ein schlechtes Gewissen, von den Sponsoren Unterstützung zu empfangen, ihnen aber wegen der ausgefallenen Rennen so gar keine Gegenleistung bieten zu können», sagt er.Er entschied sich, die Hälfte der Beiträge zurückzugeben. «Meine Sponsoren hatten das Geld in dieser Zeit nötiger als ich», sagt Joel Enzler. Dies ist ein bemerkenswerter Zug eines Jugendlichen, dessen sportlicher Werdegang auch nicht gerade wenig finanzieller Aufwand bedeutet. Doch es passt zu ihm: Er wählt die Worte mit Bedacht, drückt sich gewählt aus. Etwa, wenn er von 2020 erzählt.2020 war ein Seuchenjahr in mehrfacher HinsichtEs hatte ganz normal begonnen; mit Training, dann mit den ersten Rennen. An den Haselrennen in Brugg AG holte Joel Enzler einen Sieg und einen dritten Rang. «Ich war zu diesem Zeitpunkt zuversichtlich und auf sehr gutem Level», sagt er.Dann wirbelten die Coronamassnahmen die Radsaison durcheinander. Die Planung, auf Tag X in Bestform zu sein, war nicht mehr möglich. «Ich wusste nie, wann Rennen sind oder nicht. So entstand das Risiko des Übertrainings», sagt Joel Enzler. Dies beschreibt eine Überlastungsreaktion des Körpers, die bei Sportlern oft ein Leistungsabfall hervorruft.Das nächste Rennen fand erst im August statt. Joel Enzler fuhr im nationalen Trainingsrennen in Hittnau ZH auf den 22. Rang (von 48 Teilnehmern). Die Saison nahm Fahrt auf: Kurz danach fand das Bergrennen Andeer – Juf statt, es folgten «Rund um Uzwil», die Schweizer Meisterschaft im Jura und das Bergrennen Chur – Arosa. In der Jahreswertung der Kategorie U17 belegt Joel Enzler in einem Feld von 68 Fahrern den 13. Rang, er hat 2020 einige starke Ränge herausgefahren.Zumal Corona nicht die einzige Seuche war, die ihn 2020 begleitete: Knieprobleme, ein Bikeunfall mit Daumenbruch und Komplikationen nach einer Operation erschwerten ihm das Leben zusätzlich. Er verpasste unter anderem sein Heimrennen am Montlinger Schwamm.Da überrascht es kaum, freut Joel Enzler sich auf die neue Saison. Weiter plant er vorerst noch nicht: «Wichtig ist mir, die Lehre abzuschliessen. Dann schaue ich, wo ich im Sport stehe.» Profi zu werden, sei «schon ein Thema» – eine solche Entscheidung könne aber frühestens in drei, vier Jahren fallen.

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