23.12.2020

Ein einzigartiger Ortsname

An Weihnachten rückt das liebliche Appenzeller Dörflein Wienacht jeweils in den Fokus.

Von Peter Eggenberger
aktualisiert am 03.11.2022
Das Dorf stösst um diese Zeit regelmässig auf viel Interesse. Wie aber ist es zu seinem Namen gekommen? Es gibt drei Vermutungen: Die Tatsache, dass die Bevölkerung früher den Zehnten um diese Zeit der Obrigkeit zu entrichten hatte, habe dazu geführt. Namengebend könnte auch der Spott der Leute im Tal gewesen sein: Sie hätten gewitzelt, es sei im abgelegenen Dorf am Berg stockdunkel, eben «wie Nacht». Die dritte Annahme ist die Naheliegendste: In Wienacht liegt der einzige grosse Weinberg des Appenzellerlands. Sprachforscher leiten den Ortsnamen vom lateinischen «Viena» für Weinberg ab.Nebst der drei Vermutungen gibt es noch eine vierte Variante, die ausgezeichnet zur Weihnachtszeit passt. Wienachts berühmtester Bürger ist Jean Tobler, der jung auswanderte und in Bern die Schokoladenfabrik Tobler («Toblerone») gründete. Seiner Ururgrossmutter Adelina sei der Ortsname zu verdanken. Sie wurde früh Witwe, nachdem ihr Mann bei der Arbeit im Steinbruch starb. Kaum war ihr einziger Sohn Robert erwachsen, zog er als Reisläufer in die Welt hinaus. Kummer und Sorgen prägten das Leben der einsamen Mutter, auf ihre bangen Fragen: «Wie geht es ihm? Lebt er noch? Oder ruht er gar in fremder Erde?» gab es keine Antwort.Wieder einmal war es Heiligabend. Vom See her kämpfte sich eine hagere Gestalt durch den tiefen Schnee. Endlich hatte der Mann die ersten Häuser erreicht, deren Giebel in den fast schwarzen Himmel ragten. Robert lehnte sich müde an den Stamm des Lindenbaums vor dem Elternhaus, wischte sich den Schweiss von der Stirn und atmete tief. «Ob sie noch lebt?», ging ihm durch den Kopf. Entschlossen betrat er den schmalen, zum Haus führenden Pfad. Schales Mondlicht wies ihm den Weg, leise Hoffnung keimte auf, als er im Fenster ein schwaches Licht ausmachte. Noch einmal atmete er tief, um dann an die Hauswand zu pochen. Schritte waren zu hören, Augenblicke später öffnete sich die Tür. Das ungläubige Staunen wich sekundenschnell aus dem verhärmten Gesicht der Frau, um unbeschreiblicher Erleichterung Platz zu machen. «Was, Robert, du? So eine Überraschung, willkommen zu Hause!» Im Schein der Laterne schloss die Mutter ihren Sohn in die Arme, beide weinten und lachten und liessen ihren Gefühlen freien Lauf.Mittlerweile standen überall Fenster und Haustüren offen. Überglücklich rief Adelina ihren Nachbarn zu: «Mein Robert ist nach Hause gekommen! Freut euch mit mir, jetzt ist endlich auch für mich Weihnachten geworden!» Bald wurde das Wunder im ganzen Ort und darüber hinaus bekannt. Und genau seit der Heimkehr des verlorenen Sohnes heisst das kleine Dorf Wienacht.

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