22.04.2021

Ein bisschen auch den Staat gemolken

Von der Staatsanwaltschaft beantragt: Zehn Monate Gefängnis bedingt. Der Deliktsbetrag: 331 Franken und fünfzig Rappen.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Selbst der Gerichtspräsident schien an dem Fall keine Freude zu haben. Fast entschuldigend meinte er am Ende der Verhandlung, die Möglichkeit, einen anderen Weg zu beschreiten, sei dem Gericht verwehrt gewesen.Doch der Richter räumte ein: Die Sache hätte sich von den Behörden vielleicht anders regeln lassen. Heraushören konnte man: ohne aufgeblasenes Verfahren wegen 331 Franken und fünfzig Rappen.Anderseits ist der vorgeworfene Straftatbestand – mehrfache Urkundenfälschung – im Grunde keine Lappalie.Es ging um la mucca, die KuhVor dem Kreisgericht Rheintal in Altstätten standen am Mittwoch ein Rheintaler Viehzüchter und Landwirt, seine Frau und der Tessiner Kunde, ebenfalls ein Bauer. Das am häufigsten gehörte Wort war «mucca», die Kuh in der Sprache des extra angereisten Tessiners.Amanda, Grani, Luna, Walla und Boni standen im Mittelpunkt der Verhandlung, die sich (inklusive einstündiger Urteilsverkündung) über viereinhalb Stunden erstreckte.Standortwechsel mit falschem DatumDem angeklagten Trio wird folgender Vorwurf gemacht: Der Viehzüchter und seine Frau haben fünfmal eine Kuh ins Tessin verkauft und jeweils das Datum des Standortwechsels falsch angegeben.Wie das ging, sei hier am Beispiel von Luna geschildert: Die Frau des Viehzüchters erstellte Anfang Mai 2014 im Auftrag des Gatten das obligatorische Begleitdokument für Klauentiere und nannte als Abgabedatum den 2. Dezember 2013. Luna kam aber laut Anklageschrift erst am 7. Mai zum Käufer. An diesem Tag wurde Lunas rückdatierter Standortwechsel in der Tierverkehrsdatenbank registriert.Durch das Zurückdatieren auf den 2. Dezember verlängerte sich die tatsächliche Haltedauer der Kuh im Betrieb des Tessiners um 157 Tage. Für diese Zeit bezahlte ihm das Amt für Direktzahlungen 82 Franken, die ihm nicht zustanden.Bei allen fünf Kühen war das Prinzip dasselbe. Auf diese Weise bezog der Tessiner unrechtmässig den Gesamtbetrag von 331 Franken und fünfzig Rappen.«Retourkutsche des Veterinäramts»Die Angeklagten beharrten darauf, nicht absichtlich unzutreffende Angaben gemacht zu haben. Sie begründeten die nicht übereinstimmenden Daten bzw. die Rückdatierung zugunsten des Tessiners unter anderem mit überfordernder Bürokratie, der Hektik auf dem Hof sowie der Möglichkeit, dass eine Meldung mal vergessen gehe und später nachgeholt werde.Der Viehzüchter vermute-te ausserdem eine «Retourkutsche des Veterinäramts». Die-ses habe er vor ein paar Jahren für schlampiges Arbeiten kritisiert. Ihn belastende Aussa-gen bezeichnete der Mann als falsch.Vor allem aber meinten alle Angeklagten wiederholt: Sollten tatsächlich zu Unrecht Tierwohlbeiträge bezogen worden sein, so sei dies nicht zum Schaden des Amts für Direktzahlungen passiert. Der Rheintaler Viehzüchter hätte sich selbst geschädigt. Denn wäre das Geld nicht dem Tessiner zugeflossen, hätte der Viehzüchter die Beiträge erhalten.Diese Behauptung entlarvte der Richter als unzutreffend: In einer Einvernahme des Viehzüchters habe dieser selbst gesagt, in der Zeit um 2014 am betreffenden Programm für Beitragsbezüge selbst nicht beteiligt gewesen zu sein. Im Gegensatz zum Tessiner hätte er also das Geld nicht bekommen.Fahrlässigkeit räumt der Viehzüchter einNicht ganz so locker wie die Angeklagten sieht der (am Verfahren nicht beteiligte) Bauernverband die Meldepflicht. Korrekt gemeldete Daten sind aus Verbandssicht schon aus seuchenpolizeilichen Gründen wichtig. Die ganze Tierverkehrsdatenbank wurde aufgebaut, damit bekannt ist, wann welches Tier wo steht und gestanden hat. Nur so könnten «aufgrund der Tierbewegungen Seuchen sauber rückverfolgt, eingegrenzt und wieder ausgerottet werden», heisst es auf Anfrage.Der Viehzüchter lässt sich den Vorwurf gefallen, fahrlässig gewesen zu sein. Man könne von ihm auch verlangen, dass er es besser mache. Aber dass er derart «ploget» werde, halte er für eine «Sauerei».Der Tessiner Bauer nannte es «eine Schande», dass er das mit siebzig Jahren noch erleben müsse. Schockiert und fassungslos sei er gewesen, als er die Anklage samt Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine achtmonatige Gefängnisstrafe erhalten habe.Kein Gefängnis, «nur» GeldstrafenDas Gericht erachtet die Schuld als erwiesen. Der Eintrag in die Tierverkehrsdatenbank habe angesichts des geschützten Zugangs zu diesem Register als Urkunde zu gelten, und durch die Rückdatierung habe eine Verfälschung stattgefunden. Doch es handle sich um einen leichten Fall, weshalb das Gericht auf bedingte Gefängnisstrafen verzichtete und sich mit bedingten Geldstrafen und (zu bezahlenden) Bussen begnügte. Der Richter sagte: «Die Höhe des Deliktbetrags hat auf die Strafbarkeit keinen Einfluss, auf die Strafzumessung aber schon.»Statt zehn Monate Gefängnis bedingt, wie von der Staatsanwalt beantragt, erhielt der vorbestrafte Viehzüchter eine bedingte Geldstrafe von 7500 Franken, bei einer Probezeit von vier Jahren. Bleibt er in dieser Zeit straffrei, behält er das Geld. Der Tessiner wurde mit einer bedingten Geldstrafe von 7200 Franken bestraft, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Die Frau des Viehzüchters ist der Gehilfenschaft schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe von 3000 Franken verurteilt worden, bei zweijähriger Probezeit.Jeder muss eine Busse bezahlenDamit die Strafe finanziell doch etwas «nachhaltig» ist, erhielten alle drei Beteiligten zusätzlich eine Busse, die sie zu bezahlen haben – 800 Franken der Viehzüchter, 300 die Gattin, 600 Franken der Tessiner. Dieser sagte ganz zum Schluss, er sei immer sehr stolz auf seine Nationalität gewesen, doch nun sei er sehr enttäuscht. Er meinte, in diesem Fall hätte es auch eine Ermahnung getan.Hinzu kommen für alle die (wegen des Schuldspruchs selbst zu tragenden) Verfahrenskosten. Das sind knapp 2400 Franken für den Viehzüchter, gut 1550 für seine Frau – und gut 2000 Franken im Fall des Tessiners. Dieser hatte nur am Anfang einen Rechtsanwalt verpflichtet, den er sich auf Dauer allerdings nicht habe leisten können. Kostenpunkt: weitere 1500 Franken.Zu guter Letzt fällt eine Rechnung über die eingangs erwähnten 331 Franken und fünfzig Rappen an. Dieses zu Unrecht bezogene Geld, das diesem ganzen Rechtsverfahren zugrunde liegt, hat der Tessiner dem Amt für Direktzahlungen zurückzuzahlen.Hinweis: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verurteilten haben die Möglichkeit, die Sache ans Kantonsgericht weiterzuziehen.

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