02.06.2021

Ein Ausflug in den Himmel

Neuerdings ist es möglich, die katholische Kirche Oberriet vom Schreibtisch aus zu besuchen. Wir probierten es aus.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Die Kirche St. Margaritha kennt wohl jeder, der schon einmal entlang der Staatsstrasse gegangen oder gefahren ist. Der markante Turm ragt weit hinauf in den Himmel, sodass man ihn aus allen Richtungen erkennen kann. Generationen von Katholiken verbinden mit dem Gotteshaus Schlüsselmomente, feierten in ihm Taufe, Erstkommunion, Firmung, Hochzeit oder trauerten um einen Menschen. Wer glaubt, St. Margaritha genau zu kennen, kann auf einem virtuellen Rundgang herausfinden, ob es nicht doch den einen oder anderen ihm bislang verborgenen Raum gibt. Wir besuchten die Kirche vom Schreibtisch aus und schauten uns auf den einzelnen Etagen um.Die reale Kirche virtuell erforschenBetritt man die Kirche am Hauptportal, zeigt sich der Gebetsraum in vertrauter Weise. Beinahe möchte man sich die Hände desinfizieren oder am Schriftenstand stöbern. So realistisch ist die optische Wirkung. Nun kann man sich entscheiden, durch das Kirchenschiff bis zum Chorraum zu gehen, hinauf zur Empore oder auf die dritte Etage zur Königin der Instrumente. Dort, wo sonst die Organistin oder der Organist am Spieltisch Platz nimmt, darf man sich niederlassen und erfährt an einem Infopunkt, dass die Firma Kuhn aus Männedorf 1978 eine neue Orgel mit 1494 Pfeifen in das historische Gehäuse aus dem Jahr 1906 eingebaut hat.Die Idee zur virtuellen Kirche hatte Ramon Lüchinger. Als Sohn des Mesmers kennt er die Kirche sehr gut. Auch beruflich befasst er sich mit Gebäuden. Die RL Immo GmbH in Oberriet, deren Geschäftsführer Ramon Lüchinger ist, stellt Immobilien zwecks ihrer Vermarktung virtuell dar. Es ist schwierig, gute Fotos, anhand derer man Räume vermessen kann, freihändig zu erstellen. Also haben Ramon Lüchinger, Marc Gröber und Sandro Schmid eine hochauflösende 3D-Kamera mit Infrarotsensor für das Unternehmen gekauft. Die Kirche ist ihr erstes grösseres Objekt. Etwa eine Woche Arbeitszeit investierten die drei Arbeitskollegen, um alle Räume zu fotografieren, das 3D-Modell zu erstellen und Informationen zu hinterlegen.Auf Du und Du mit den HeiligenfigurenAls wäre man ein Engel, vermag man es, von der Orgelempore hinunter in den Chorraum zu schweben. Ganz unbeschwert und ohne beobachtet zu werden, offenbaren sich dem Besucher ungewohnte Anblicke hinter den Zelebrationsaltar. Das Gewölbe erscheint so scharf, dass man die Szenen in den Fresken genau erkennen kann. Die Figuren des Hochaltars erscheinen ganz nah, man kann ihnen in die Augen blicken. Und wer nachvollziehen möchte, wie die Pastoralassistentin hinter dem Ambo steht und zum Volk predigt, darf auch dies ausprobieren.Geht man auf die Sakristei zu, öffnet sich die Türe wie von Geisterhand. Man darf sich in dem Raum umschauen, in dem der Mesmer die Gottesdienste vorbereitet. Die Bügelwäsche im Obergeschoss hat er wohl schon erledigt und verräumt.Gegenüber der Sakristei lädt eine schmale Treppe ein, den Kirchturm zu besteigen. Stufe um Stufe gelangt man hinauf zur Kanzel oder bis ganz nach oben in den Glockenstuhl. Der Aufstieg führt vorbei an etlichen Nischen. Sie dienen dem Mesmer dazu, all die Utensilien zu lagern, die er im Laufe des Kirchenjahres benötigt. Oben angekommen, scheinen sich die Glocken in Bewegung zu setzen. Doch ihr Läuten ist als eine Tondatei hinterlegt und kann direkt aufgerufen werden.[caption_left: Selbst das Geläut ertönt auf dem virtuellen Rundgang.]Sogar in den Himmel kommt man rein. Genauer gesagt, in den Kirchenhimmel. So nennt man das Dach über dem Kirchenschiff. Man erfährt noch mehr: Das Gestühl besteht aus 200 Jahre alten Holzbalken. In den Jahren 1906/07 hat man die einst flache Decke gewölbt. Die Gipsdecke hängte man an Drahtseilen auf und verzierte sie an ihrer Unterseite. Über der Orgel steht noch das alte Gebläse. Es erzeugte früher den Luftstrom, der die Orgelpfeifen zum Klingen brachte.[caption_left: Die katholische Kirche als transparentes dreidimensionales Modell.]Wer den Rückweg nicht über die vielen Treppen nehmen mag oder sich verlaufen hat, kann das sogenannte Dollhouse nutzen. Die Kirche wird hier wie ein Puppenhaus als transparentes 3D-Modell dargestellt. Man kann es in alle Richtungen drehen und jeden Raum sowie den Umschwung von dort aus aufrufen.Den Chorraum für Konzerte vermessenKirchenpräsidentin Manuela Gschwend findet sich im 3D-Modell der ihr vertrauten Kirche gut zurecht. «Als ich den Rundgang ausprobiert habe, habe ich zuerst den Eingang gesucht», sagt sie. Bald habe sie herausgefunden, dass sie von innen nach aussen durch das Portal gehen sollte.Manuela Gschwend gefällt es, in Ruhe rundum schauen zu können. «Nicht jeder im Dorf ist in unserer schönen Kirche beheimatet», sagt sie. Wer das Kultusgebäude entdecken möchte, braucht nun den Weg nicht mehr auf sich zu nehmen. Das gilt auch für jene Menschen, die nicht mobil, aus dem Dorf weggezogen sind oder sich sonstwo auf der Welt für das Gotteshaus interessieren.Manuela Gschwend unterstützt das Projekt auch aus der Sicht einer Kirchenchorsängerin. «Wer ein Konzert plant, kann den Chorraum vermessen.» Das 3D-Modell ist mit einem Messband ausgestattet. Es ermöglicht, genau zu planen, wo Musiker und Sänger platziert werden können.Reaktionen hat die Kirchenpräsidentin bisher noch nicht auf das neue Angebot auf der Website der Pfarrei bekommen. Sie hat Freude daran, das wiederzufinden, was sie real schon kennt. «Mir ist die Orgel sehr wichtig.» Wer nicht dem Chor angehöre, dürfe nun eben virtuell hinaufgehen. Manuela Gschwend regt an, das Modell mit noch mehr Infopunkten über Architektur und Historie auszubauen.HinweisVirtuell begeht man die katholische Kirche Oberriet im Internet unter www.se-blattenberg.chin der Rubrik Geschichtliches / Kirchen und Kapellen.

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