24.07.2018

Ehrgeizige Gedanken und schnelle Beine

Der Medaillengewinn an der U23-Europameisterschaft im letzten Jahr ist für die 22-jährige Sprinterin Riccarda Dietsche das bisherige Highlight. Es soll aber lange nicht das letzte Ausrufezeichen in ihrer Karriere sein.

Von Lukas Würmli
aktualisiert am 03.11.2022
Lukas WürmliZielorientiertes und fokussiertes Arbeiten in jedem einzelnen Training und die Bereitschaft, auf Dinge zu verzichten, die man manchmal auch gerne tun würde: Das Erfolgsrezept von Riccarda Dietsche klingt simpel.Hinter diesen Vorsätzen steckt aber weit mehr Engagement und Wille, als es für eine 22-jährige Studentin üblich ist. «Ich bin ein Mensch, der für den Sport lebt und der es liebt, an meine Grenzen zu kommen und diese neu zu setzen», sagt Dietsche über sich.Ihre Grenzen lassen sich in Sekunden messen: Unter zwölf Sekunden liegt ihre persönliche Bestmarke über die 100 Meter, ihre beste Zeit über die halbe Bahnrunde hat sie auch erst vor zwei Wochen um über eine halbe Sekunde auf 24,17 Sekunden senken können.Ambitioniertes Fernziel heisst EM Paris 2020Langfristig setzt sich die ambitionierte Athletin aber andere Ziele. Bis zur Leichtathletik-EM 2020 in Paris will sie nochmals über eine halbe Sekunde schneller werden und sich so einen Startplatz sichern.Positive Erfahrungen mit internationalen Titelkämpfen hat sie bereits 2017 gemacht. An der U23-EM in Polen gelang Dietsche in der 4 × 100-Meter-Staffel eine starke Leistung. Mit ihrem schnellen Antritt legte die 22-Jährige aus Lüchingen als Startläuferin den Grundstein für den Gewinn der Bronzemedaille. Lange war das Schweizer Quartett sogar in Führung gelegen.Der Effort von Dietsche blieb auch im Verband nicht unbemerkt, und so stieg sie auf diese Saison hin zur momentan sehr erfolgreichen Elitestaffel mit Mujinga Kambundji und ihrer Trainingspartnerin Salomé Kora auf. In gemeinsamen Trainings kann sie momentan wertvolle Erfahrungen sammeln.Zufrieden mit dem Platz auf der Ersatzbank der Staffel gibt sie sich aber nicht. Und auch wenn die Staffel erst kürzlich den Schweizer Rekord pulverisiert hat, fällt die Aussage von Dietsche, was es für den Stammplatz noch braucht, lapidar aus: «Ich muss einfach schneller als eine von ihnen sein.»An den Schweizer Meisterschaften vor zehn Tagen in Zo-fingen gelang ihr dies zwar noch nicht, dennoch machte Dietsche einen nächsten Schritt in die richtige Richtung. Sie lief im Halbfinal über 100 Meter mit 11,72 Sekunden eine deutliche neue Bestzeit und erreichte im Final direkt hinter dem Staffelquartett den fünften Platz. Mujinga Kambundji gelang mit 10,95 Sekunden ein neuer Schweizer Rekord.Auch wenn die 22-Jährige ihre Karriere als Leichtathletin im Mehrkampf begann, merkten sie und ihre Betreuer bald: Dietsches Stärken liegen vor allem im Sprint. Ihre Stärke über die kurzen Distanzen kommt nicht überraschend. Sie findet bereits in ihren Genen Ursprung. Schon ihr Vater Edgar Dietsche war im Spitzensport tätig. Als Anschieber im Bobsport waren das Tempo und der schnelle Antritt für seine Erfolge entscheidend und ermöglichte ihm auch den Gewinn einer WM-Bronzemedaille 1987. Auch wenn er 2010 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, nimmt Riccarda Dietsche noch heute Dinge wie die Freude am Sport und den Leistungswillen von ihm mit.Auffallend ist die Entschlossenheit, mit der sie ihren sportlichen Weg geht. «Als Athletin bin ich sehr ehrgeizig, ich will in jedem Training Fortschritte machen», sagt Dietsche. «Man muss seinen Weg gehen, manchmal auch etwas egoistisch sein.»Leistungszentren werden in der Ostschweiz ausgebautNeben der Tartanbahn zählen für sie ganz andere Werte: Fairness und gegenseitiger Respekt. Sie will den Mensch nehmen, wie er ist und ihn nicht nach seiner Leistung beurteilen. Wenn etwas jedoch nicht fair abläuft, kann sich Dietsche darüber aufregen.Die dezentrale Lage des Rheintals hat ihr nicht immer nur geholfen. «Ich will zu den Schnellsten des Landes gehören, aber die Förderprogramme sind hier noch nicht gleich fortgeschritten wie in Zürich oder Bern», sagt sie. Und fügt gleich an: «Langfristig profitiere ich aber sicher von diesem Zusatzaufwand.» Zudem baut der Verband die Leistungszentren in der Ostschweiz aus.Trotz den Widrigkeiten in der Vergangenheit blieb Dietsche stets locker. Das Rundherum auszublenden, gelingt ihr auch an den Wettkämpfen gut. «Ich wirke oft entspannter, als ich eigentlich bin», sagt Dietsche und lacht.Auf diesen kurzen Distanzen sei immer ein Druck da, in diesen wenigen Sekunden müsse alles stimmen. «Aber es ist ein schöner Druck, einer, der zusätzlich motivierend sein kann.»Zusätzliche Motivation, die sie eigentlich gar nicht nötig hat. Denn auch wenn der Effort für den Sport riesig ist, so ist es für sie auch die Erfüllung eines Traums.Internationale Medaille als Zwischenhalt«Seit ich klein war, wollte ich an den ganz grossen Anlässen dabei sein», sagt Dietsche. «Dafür muss ich viel investieren, aber das mache ich gerne.»Zum Schluss zeigt sie stolz ihre Bronzemedaille von der U23-EM im letzten Jahr. Sie ist der verdiente Lohn für das bisherige Engagement – und dennoch wohl nur ein Zwischenhalt.Pionierin an der PHSGLeichtathletik Neben der sportlichen Karriere studiert Riccarda Dietsche an der Pädagogischen Hochschule (PHSG) in Rorschach. Sie will im kommenden Sommer die Ausbildung zur Primarlehrerin abschliessen.Das ergibt vollgepackte Tage, wenn sie direkt nach der Schule nach St. Gallen ins Training fährt und danach noch lernen muss. Die Regeneration komme in ihrem momentanen Karriereabschnitt manchmal etwas zu kurz, gibt Dietsche zu, «und für andere Aktivitäten bleibt halt praktisch keine Zeit».Die Kombination Spitzensport und Studium ist auch für ihre Schule neu. Die Präsenzpflicht der Hochschule und die Trainingsaufwände der Lüchinger Sprinterin überschneiden sich.Erste Spitzensportlerin an der SchuleSeit Riccarda Dietsche vor einem Jahr den Bronzestatus von Swiss Olympic erhalten hat und somit seitens des olympischen Verbands offiziell als Kandidatin für Topplätze an internationalen Anlässen gilt, ist ihr das Absolvieren von Trainingslagern auch während der Unterrichtszeit möglich. «Ich bin froh, dass ich mit der Pädagogischen Hochschule eine Lösung finden konnte», sagt die 22-jährige Athletin des KTV Altstätten.«Ich habe mich lange dafür eingesetzt und hoffe, dass ich nun den Weg für weitere Sportler an der PHSG geebnet habe.»Nicht gerne offensichtlich im MittelpunktAuch von den Dozenten wird Dietsche auf ihre Trainingsabsenzen angesprochen, teils auch vor der ganzen Klasse.«Ich mag es nicht so, wenn ich bevorzugt werde», sagt sie dazu. Lachend fügt sie an: «Oder zumindest nicht, wenn man es so offensichtlich merkt.» (lw)

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