06.07.2021

Druck auf Wölfe nimmt wieder zu

Der Bund hat die Schwelle für Wolfsabschüsse gesenkt. Ostschweizer Kantonen genügt das nicht, obwohl es hier aktuell kein Rudel gibt.

Von Adrian Vögele
aktualisiert am 03.11.2022
Bald ein Jahr ist es her, dass das neue Jagdgesetz in der Volksabstimmung knapp gescheitert ist. 51,9 Prozent der Bevölkerung sagten Nein. Im Zentrum der hitzigen Diskussionen stand der Wolf. Das Gesetz sah beispielsweise vor, dass die Rudel präventiv mit Abschüssen reguliert werden dürfen, auch wenn noch kein Schaden entstanden ist. Allerdings war die entsprechende Formulierung nicht auf Wölfe beschränkt – weshalb die Gegner kritisierten, mit dem Gesetz würden wahllos Wildtiere zum Abschuss freigegeben. Der Ärger der Berggebiete auf die Städte war nach der Abstimmung gewaltig, der Stadt-Land-Graben tiefer denn je. Jetzt ist der Bund den Bergkantonen entgegengekommen und hat die Regelung zum Abschuss von Wölfen in der Jagdverordnung gelockert. Am 15. Juli tritt die Änderung in Kraft. Sie betrifft sowohl Wolfsrudel als auch Einzelwölfe. Ein Rudel darf mit Abschüssen reguliert werden, wenn in seinem Revier innert vier Monaten mindestens zehn Schafe oder Ziegen gerissen wurden. Heute liegt die Schwelle bei 15 Nutztieren. Auch einzelne Wölfe dürfen neu bereits nach zehn Rissen innert vier Monaten geschossen werden – allerdings muss dann nachgewiesen werden, dass es immer derselbe Wolf war. Vorausgesetzt bleibt zudem, dass die Herden geschützt waren. Ostschweizer Kantone wollten härteres VorgehenOstschweizer Kantone hatten ein noch härteres Vorgehen gegen die Grossraubtiere verlangt. Der Kanton St. Gallen forderte in der Vernehmlassung, dass die Schwellen bei der Anzahl gerissener Nutztiere weiter gesenkt werden. Sie seien «zu hoch für eine wirksame Regulation» der Wölfe. Dasselbe schrieb die Innerrhoder Standeskommission in ihrer Antwort an Bundesbern. Sie würde es bevorzugen, wenn die Wolfspopulation mit Abschüssen reguliert werden dürfte, ohne dass zuvor ein konkreter Schaden entstanden ist. Dafür wäre aber voraussichtlich ein neuer Anlauf für eine Gesetzesänderung notwendig. Der Kanton St. Gallen war dereinst der erste Kanton, in welchem die Wölfe nach über hundert Jahren wieder heimisch wurden: Am Calanda gab es 2012 erstmals wieder Schweizer Wolfsnachwuchs. Das ist inzwischen Vergangenheit: Anders als im Kanton Graubünden existiert in St. Gallen aktuell kein Wolfsrudel. Zuletzt wurden stets einzelne Tiere nachgewiesen. Dass man ein Rudel mit Abschüssen dezimieren müsste, ist somit in St. Gallen kein Thema, ebenso wenig im Rest der Ostschweiz. Einzelne Wölfe hingegen hatten im vergangenen Jahr im Sarganserland erheblichen Schaden angerichtet: Über 50 Schafe wurden während der Alpsaison 2020 gerissen – ein Rekord im Kanton St. Gallen. Davon waren allerdings nur sieben Schafe in geschützten Herden, wie der Kanton damals mitteilte. Freche Einzelwölfe sind am heikelsten Trotz der Risse im vergangenen Sommer: Die Situation mit den Wölfen im Kanton sei weniger angespannt als auch schon, sagt Dominik Thiel, Leiter des Amts für Natur, Jagd und Fischerei: «Der Grossteil der Herden ist geschützt.» Auch er sieht aber nach wie vor Bedarf für eine Verschärfung des Jagdgesetzes. Dies nicht in erster Linie im Hinblick auf ein weiteres Wolfsrudel. Schwierig werde es vielmehr, wenn ein einzelner Wolf die Scheu verliere, beispielsweise durch Siedlungen streife und in Ställe eindringe. Ein solches Exemplar war vor zwei Jahren im St. Galler Fürstenland und im Thurgau unterwegs – wie sich herausstellte, war der Wolf krank. Er wurde von der Wildhut erlegt. Für solche Fälle hätte das gescheiterte Jagdgesetz eine Abschussregelung vorgesehen, die im Übrigen auch nicht umstritten war, ganz im Gegensatz zu den präventiven Abschüssen.Mit Beginn des Sommerhalbjahrs hat auch die politische Nervosität rund um den Wolf wieder zugenommen. Im St. Galler Kantonsparlament wollten die CVP-Mitglieder Barbara Dürr, Erich Zoller und Stefan Kohler wissen, wie die Regierung die aktuelle Lage einschätze und was sie zu tun gedenke. Die drei Kantonsräte schreiben: «Ohne gezielte Massnahmen droht die Situation mit dem Wolf weiter zu eskalieren. Wir laufen Gefahr, dass Alpen gar nicht mehr bestossen und abgelegene Berglandwirtschaftsbetriebe mittelfristig aufgegeben werden müssen.»Die Regierung verweist einerseits darauf, dass sie ebenfalls eine einfachere Regulierung des Wolfsbestandes gefordert habe. Es sei mit einer wachsenden Population zu rechnen. Andererseits aber hätten sich viele anfängliche Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Wolf im Kanton nicht bewahrheitet. «Es hat sich gezeigt, dass ein Zusammenleben mit dieser Tierart möglich ist, aber eng begleitet werden muss und mit viel Aufwand für die Landwirtschaft und die betroffenen Fachstellen verbunden ist.» Viele Tierhalterinnen und Tierhalter würden heute bereits vor einem Schadenereignis Massnahmen zum Schutz ihrer Tiere treffen: «Die getroffenen Herdenschutzmassnahmen zeigen ihre Wirkung – die meisten gerissenen Schafe und Ziegen kamen in ungeschützten Herden vor.» Aktuellen, zusätzlichen Handlungsbedarf sieht die Regierung nicht: Schon heute schöpfe der Kanton seine rechtlichen Möglichkeiten im Wolfsmanagement aus.Regierung stellt sich gegen Tierquälerei-VorwurfDie SVP-Fraktion betrachtet es als «Tierquälerei», wenn ein Wolf ein Schaf reisst. Die Nutztiere würden Schmerz, Angst und grossen Stress erleiden. Die SVP wollte darum von der Regierung wissen, wer hierfür rechtlich zur Verantwortung gezogen werden könne. Die Regierung erklärt, Wildtiere seien aus juristischer Sicht herrenlos, niemand sei zivilrechtlich für sie verantwortlich. «Der freilebende Wolf wird nicht von Menschen gehalten und abgerichtet, sondern er geht seinem natürlichen Jagdverhalten nach.» Ebenfalls könne der Wolf selber strafrechtlich kein Täter sein. «Unter Umständen könnte aber allenfalls die Tierhalterin oder der Tierhalter der angegriffenen Tiere wegen Tierquälerei angezeigt werden, wenn sie oder er im Wissen um die Gefahr von Wolfsangriffen ihre beziehungsweise seine Tiere ungenügend schützt.»

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