Das Leben des 78-jährigen Altstätters ist wie ein Feuerwerk, bunt und knallig. Auch mit Funken hatte er zu tun. Direkt neben dem früheren Restaurant Traube in Balgach, im Parterre des gleichen Hauses, verbrachte er eine Stifti als Schmied.Ab etwa vierzig war er Velomech. «Scho i de Schuel han i Velo gflickt», sagt Untersander, der sich das Metier selbst beibrachte und bei der Schweizer Nati als Sportgruppenmechaniker wirkte, sieben Jahre lang.Dieses Jahr kommt er bisher auf 10'000 kmHans Untersander telefonisch zu erreichen, ist nicht leicht. Er ist fast immer mit dem Velo unterwegs. In einem Büechli hat er säuberlich notiert, wie weit er wann gefahren ist. Fast 18000 Kilometer kamen letztes Jahr zusammen.In diesem Jahr steht er bei etwa 10000. Als er eines Tages doch den Telefonhörer abnimmt, sagt er, dass er «eben erst über den Ruppen nach Hause kam, von einer 90-Kilometer-Rundfahrt». Ein paar Tage zuvor waren es 170. «Churfirstenrundfahrt.»In gewisser Weise ist er ja schon über hundertHans Untersander benötigte auch ausserhalb der sportlichen Betätigung viel Pfuus. Bei der Schweizer Militärmusik und in mehreren Musikvereinen wirkte er als Trompeter. Bestimmten Musikantenjahre unser Alter, wäre er schon über hundert, meint er lächelnd.Am längsten spielte er in der Stadtmusik, im Musikerverein Marbach und bei der Bauernmusik, aber auch bei den Montlingern sowie in seinem einstigen Arbeitsort Schlieren war er Musikant, wobei er lange zwei Vereinen gleichzeitig angehörte.Am Schwammlauf mit 78 der Älteste gewesenMitte August machte Hans Untersander beim Schwammlauf mit. Die fast neun Kilometer steil bergauf legte der 78-Jährige in einer Stunde und zwölf Minuten zurück. Dass er Letzter wurde, lässt ihn unbeeindruckt. Das Gefühl des Siegens ist der Freude an der ungewöhnlichen Belastbarkeit gewichen, dem Glück, mit sehr viel Jüngeren noch recht gut mitzuhalten.Sicher 15-mal war er bei diesem Wettkampf dabei, zweimal hat er am Kastenlauf teilgenommen, mindestens zehn Marathons hat er bestritten. Er sei zu Fuss «nöd speziell guet», aber wenn es nicht bergauf ging, sei er stets unter vier Stunden geblieben. Seine Bestzeit: drei Stunden und einundzwanzig Minuten.Früher häufig das Podest bestiegenSeine Glanzzeit mit Podestbesteigungen erlebte Hans Untersander als Velofahrer um die fünfzig. Zu jener Zeit hatte er drei Unfälle in zwei Jahren sowie eine anschliessende, zehnjährige Rennpause hinter sich. Am Anfang stand ein Kieferbruch bei einem Massensturz. Die Knochen sind schlecht zusammengewachsen, der Mund liess sich nie mehr ganz öffnen.Zwei Jahre danach, erneut bei einem Massensturz, brach sich der Altstätter drei Rippen und musste im Westen Österreichs eine Woche im Spital verbringen. «Guet, han i ‘s Schillingbüechli dabi gha», sagt Hans Untersander, womit er das österreichische Sparbüchlein meint. Die vierzig-, fünfzigtausend Schilling, die er so beziehen konnte, hätten gut gereicht für alles.Später bekam er die Spitalkosten von seiner Krankenkasse zurückerstattet. Noch im gleichen Jahr krachte es zum dritten – und letzten – Mal: Unterwegs von Oberegg in Richtung Berneck habe ihm ein Autofahrer den Weg abgeschnitten, berichtet Hans Untersander. Schädelbruch, Hirnblutung, Pause. Zehn Jahre fuhr Hans Untersander kein Rennen mehr, bis es ihn doch wieder packte. Um die fünfzig war er, als ein Sieg dem anderen folgte. Ob auf der Strecke Chur – Arosa, als Mountainbike-Rennfahrer am Arlberg oder auf den 248 Kilometern rund um Vorarlberg – Hans Untersander gewann immer in seiner Kategorie.In Vorarlberg gelang ihm sogar ein 3. Platz im Gesamtklassement, im Wettkampf auch mit Profis. Mit seiner Zeit von 8 Stunden und 20 Minuten (bei 4600 Höhenmetern) distanzierte er den nächstbesten Senior um zwei Stunden.Als er heimkam, war sein Haus abgebranntZwischendurch bemerkt der Velofan, er habe leider keine Unterlagen mehr von früher. Als er am Sonntag, 13. März 2011, vom Skifahren in Lenzerheide zurückkehrte, standen von seinem Haus nur noch die Mauern. Bei einem Brand des Nachbarhauses hatten die Flammen auf sein Gebäude übergegriffen.In der Werkstatt seines neu gebauten Hauses hängt ein grossformatiger Kalender mit Bildern von Feuerwehreinsätzen. Auf dem nach vorn gekehrten Blatt ist ein Rest seines früheren Hauses zu sehen, als es in Flammen steht. Im Parterre des heutigen, zweistöckigen Eigenheims ist eine der drei Schwestern Hans Untersanders mit ihrem Mann zu Hause; in Rheineck hatten sie bis zur Pensionierung das Café Fleur geführt.Ein anderer Schicksalsschlag traf Hans Untersander, nachdem er sich für zwei Monate nach Brasilien verabschiedet und zum 85-jährigen Vater, einem ehemaligen Leica-Mitarbeiter, gemeint hatte: «Lueg guet zor Mueter.» Kaum in Brasilien angekommen, erreichte den Altstätter die traurige Nachricht vom Tod des Vaters. Er war morgens einfach nicht mehr aufgewacht.Der Sohn kehrte umgehend zurück. Was er für die Südamerika-Reise bezahlt hatte, weiss er zwar nicht mehr, hingegen erinnert er sich an den zurückerstatteten Teilbetrag. 450 Franken.Der Abschied ist wie ein grosses ZielSeit zwei bis drei Jahrzehnten gehört Hans Untersander dem Buchser Veloclub an, ebenso lange dem Veloclub Altstätten. Als Rennfahrer fing er erst mit 32 an, auch an Etappenrennen nahm er teil.Als das Gespräch mit ihm aufs Ende zugeht, wirkt Hans Untersander etwas kribbelig. Auch in der Volksmarschgruppe sei er, sagt er jetzt noch schneller als die Sätze vorher, «morn goht’s los, e Rucksäckli und fertig, da mos lange för d’Zwei-Tages-Wanderig.»Hans Untersander spricht sich dem Abschied wie einem grossen Ziel entgegen, blickt kurz auf die Uhr. Hat er noch etwas vor? Er lacht. «Es langet gad no.» Der Fernseher wartet. In zwei oder drei Minuten geht es los. Spanienrundfahrt. Nächste Etappe.