Stellen Sie sich vor: Es ist bald Mitternacht und Sie arbeiten. Sie tun dies locker in kurzer Hose und Flip-Flops und gönnen sich ein tropisches Fruchtgetränk. Sie reden über Skype, schreiben E-Mails, WhatsApp-Nachrichten und chatten. Sie umgibt die atemberaubende Landschaft der Insel Bali, neben ihnen sitzen Dutzende andere am Laptop und tun das gleiche wie Sie. Asiaten, Australier, Europäer. Das nennt sich Co-Working-Space und ist als Arbeitsmodell auf dem Vormarsch. Nicht nur in Bali, auch in Westeuropa, etwa in Zürich. Warum nicht im Rheintal?Viele kleinere Unternehmer freuen sich auf und über die Digitalisierung, fühlen sich gut darauf vorbereitet. Doch so richtig angefangen hat sie vielerorts noch nicht. Hier dominiert immer noch die ortsgebundene Arbeit, es gibt höchstens Experimente mit flexiblen Orts- und Zeitmodellen. Auch, weil vielen Zeit und Wissen fehlt.Doch die Technik verändere Gewohnheiten, sie verändere Arbeitsweisen, ja ganze Berufsbilder. Diese würden aufgeweicht, ebenso wie traditionelle Hierarchien. Und dies sei ein langwieriger Prozess. Das sagte Alexandra Cloots, Professorin an der Fachhochschule St. Gallen am Donnerstag an einem AGV-Anlass zum Thema «Die digitale Arbeitswelt der Zukunft».Mehr Technik, aber auch mehr MenschlichkeitCloots ist Co-Leiterin des HR-Panels New Work an der FHS. Der Titel ihres Referats hiess «Being human in der digitalen Transformation». Zentral sei der Mensch, der Arbeitnehmer, den Führungskräfte durch die Veränderung begleiten müssen. «Arbeitgeber müssen bewusster ins Gespräch gehen und versuchen, mehr Wertschätzung zu zeigen», sagte Cloots.Dazu brauche es Organisationsstrukturen mit mehr Raum für Menschlichkeit. Etwa, indem man Arbeitnehmer «Ungewöhnliches» machen lasse, sie einmal an einem anderen Ort als dem gewohnten einsetze. Und vor allem, indem man ihnen hilft, sich digitale Kompetenzen anzueignen.Das helfe stark, persönliche Ängste vor der Digitalisierung abzubauen. «Vielleicht gibt es auch hier bald Busse und Bahnen ohne Führer – dafür entstehen andernorts neue Jobs», sagte Cloots. Als Beispiel können öV-Netze im asiatischen Raum dienen, in denen Bahnen schon heute ohne Führer unterwegs sind. Dadurch sind neue Jobs entstanden: In der Entwicklung des Netzes, in seinem Unterhalt.Aus der Komfortzone, auf die SpielwieseCloots riet allen, die Komfortzone zu verlassen und auf der «Spielwiese» etwas zu wagen. Dafür müsse ein Unternehmen die geeignetsten Mitarbeiter suchen. «Niemand kommt einfach zu uns arbeiten», war Moderator und AGV-Vorstandsmitglied Patrick Berhalter einverstanden.Auch Heidi Bösch, Leiterin HR-Beratung und Talentmanagement bei Raiffeisen Schweiz, sah das so. «Der Mensch ist nicht mehr nur durch monetäre Reize zu begeistern. Er will zu einem erfolgreichen Team gehören. Da- zu gehört, dass Arbeitgeber den Sinn einer Aufgabe zeigen», sagte sie. Und zwar im Dialog auf Augenhöhe, nicht von oben herab.Auch Bösch sagte, Berufsbilder würden aufgeweicht, es brauche vermehrt interdisziplinäre Teams. Unklarer werde zudem die Grenze zwischen Privat- und Arbeitsleben. Bösch stellte Fragen in den Raum: «Aber kann man wirklich erwarten, dass jemand rund um die Uhr Mails beantwortet? Und darf er dafür orts- und zeitunabhängig arbeiten?»Walter Regli, Co-Geschäftsführer und Co-Gründer zweier Unternehmen im Bereich Start-up-Betreuung, zeigte mit Beispielen, wie schnell sich die Arbeitswelt in den letzten zehn Jahren ins Digitale verlagert hat.Mehr Vertrauen dank schnellerer ReaktionRegli fällt vor allem etwas auf: Das Vertrauen in die digitale Welt ist gestiegen. Heute «macht jeder alles digital», sagte er. Für Unternehmen werde es immer wichtiger, auf allen Kanälen rasch zu reagieren und zu kommunizieren. Es sei gängige Praxis geworden, über WhatsApp oder Social Media mit Kunden zu chatten, sie fühlen sich so abgeholt. Der Wert physischer Treffen habe abgenommen, ebenso der von ortsgebundenem Arbeiten.Darin waren sich alle Referenten einig. Die Realität sieht an vielen Orten noch anders aus. «Doch so ein bisschen schneller dreht sich die Welt heute schon», sagte Patrick Berhalter.