27.12.2019

«Dieser Sport hat mich immer fasziniert»

Doris Lehner aus Diepoldsau ist die «Grand Dame» der Rhythmischen Gymnastik im Rheintal. Seit 35 Jahren ist sie in dieser Sportart aktiv.

Von Gerhard Huber
aktualisiert am 03.11.2022
Sportlerin, Vereinsgründerin, Trainerin, Wertungs- und Kampfrichterin und Wettkampfleiterin. Es gibt keine Funktion, die Doris Lehner in ihrem Sport, der Rhythmischen Gymnastik, in den 35 Jahren ihrer Tätigkeit nicht ausgeübt hat. Dafür ist sie vor einigen Monaten auch zum Ehrenmitglied des Schweizerischen Turnverbandes ernannt worden. Eine verdiente Ehrung, hat sie doch hunderte Gymnastik-Karrieren angestossen oder ermöglicht.«Dieser Sport ist etwas so Schönes. Die Rhythmische Gymnastik hat mich immer fasziniert. Diese Leichtigkeit und Eleganz, mit denen das Tänzerische mit den gymnastischen Figuren – Sprüngen, Drehungen und Ständen – verbunden wird. Dazu die sichere, ja geradezu artistische Handhabung der fünf Handgeräte Seil, Reif, Ball, Keulen und Band. Unser Sport fordert von den Athletinnen grosse Beweglichkeit, Gleichgewicht, Musik- und Rhythmusgefühl. Wobei man einzelne Defizite sicher mit viel Training ausgleichen kann. Aber koordinativ muss man gut drauf sein. Wenn ein Kind bei uns nicht weiterkommt, ist es oft auch schulisch schwach. Gute Turner sind auch maturafähig, denn Koordination trainiert auch das Gehirn.»Tatsächlich ist diese reine Frauensportart, die seit 1984 olympisch ist, auch für weniger sportaffine Betrachter faszinierend. Wenn die Turnerinnen förmlich über das 13 × 13 Meter grosse Wettkampffeld schweben, Elemente des Balletts mit dem Bodenturnen ähnelnden Übungen verbinden. Dazu haben die Gymnastinnen immer ein Lächeln auf den Lippen. Die grossen Talente dieses Sports zeichnen sich durch die Fähigkeit aus, schnell mit veränderten motorischen Situationen fertig zu werden und gegebenenfalls neue Aufgaben zu meistern. Bei einer wissenschaftlichen Auswertung des Italienischen Turnverbands zeigte sich, dass die Besten hoch signifikant schneller im Erlernen neuer Übungselemente sind. So gilt die Schnelligkeit und vor allem die Genauigkeit des Lernens neuer Übungen als der beste Indikator für Tests zur Talentbestimmung.«Was mir aber immer wieder zu schaffen machte, war die Tatsache, dass man in unserem Sport nicht objektiv nach Weite, Zeit oder erzielten Toren messen kann. Denn ich habe natürlich oft mit den Entscheidungen der Wertungsrichter gehadert. Was aber die Liebe zur Gymnastik nicht gemindert hat. Selbst habe ich als Sportlerin in Widnau mit Geräteturnen und Ballett angefangen. Ich bin der Sportlehrerin im Semi aufgefallen, da ich auf dem Minitrampolin, am Stufenbarren, den Schaukelringen und bei den Bodenübungen recht gut war. Trudi Rechsteiner hat mich dann auf einen Trainingskurs nach St. Gallen geschickt. Dort habe ich erstmals kennengelernt, was man mit dem Seil und Ball alles machen konnte. Fürs richtige Geräteturnen oder Kunstturnen war ich ohnehin schon etwas zu spät dran. Ausserdem machte ich viel lieber etwas Tänzerisches mit Ballett und Bodenübungen. An diesem Trainingskurs hat es mir den Ärmel reingezogen, weil die Kursleiterin gesehen hatte: Die kann etwas.»Der Turnverband schickte die talentierte Gymnastin immer wieder an Kurse, wo sie die damals als Pflichtprogramm vorgeschriebenen Übungen lernen und an die Vereine im Kanton weitergeben musste. Diese Pflichtübungen wurden dann in grossen Gruppen bei kantonalen und eidgenössischen Turnfesten aufgeführt. Zu Beginn der 1980er-Jahre wurde der St. Galler Turnverband auf die Rhythmische Sportgymnastik als Spitzensport aufmerksam.«Das musste man doch fördern. So wurde ich vom Kantonalverband als Verantwortliche für unseren Sport ernannt und war jährlich auch auf bundesweiten Sitzungen. Ich habe dann gleich den Kampfrichterkurs gemacht, habe aber bald gemerkt, dass man allein als Funktionärin und Kampfrichterin den Sport zu wenig fördern kann. Deshalb machte ich auch den Schritt zur Jugend-und-Sport- Leiter-Ausbildung. 1991 kam die Gründung der Gymnastikriege Diepoldsau, aus der die RG/Gym Diepoldsau-Schmitter entstanden ist. Das war damals recht simpel: Einfach ein Inserat im Gemeindeblatt aufgeben, in dem die erste Trainingsstunde angekündigt wurde – schon sind 17 Mädchen dagestanden. Bis heute war ich mit nur einer Unterbrechung während meiner Gott sei Dank überstandenen Krebstherapie vor etwa zehn Jahren Präsidentin dieses Vereins.»Doris Lehner verbrachte ihre Abende überwiegend als Trainerin in der Sporthalle. Sie erreichte mit ihren Gymnastinnen viele kantonale und auch nationale Meistertitel. In den letzten elf Jahren war sie zusätzlich auf nationaler Ebene als Wettkampfleiterin aktiv und erstellte dabei die Zeitpläne, Startlisten und Wettkampfpläne für alle nationalen Wettkämpfe. Die Höhepunkte dieser Zeit waren die beiden Eidgenössischen Turnfeste, die in ihre Amtszeit fielen. Stolz ist die 61-jährige Diepolds-auerin natürlich auf ihre Töchter Petra und Mirjam, die schon mit vier Jahren mit den ersten gymnastischen Übungen angefangen und die Rhythmische Gymnastik über 25 Jahre hinweg betrieben haben. Und dabei auch sehr erfolgreich waren.«Mir muss niemand einreden, dass meine Kinder nicht von selbst turnen wollten. Denn man kann sowieso kein Kind zu dieser Sportart zwingen. Jeden Sommer waren die beiden im Trainingslager in Küssnacht. Das lag zeitlich immer genau in der Mitte der Ferienzeit. Nur einmal, als unser Sohn Ralph Schweizer Meister im Memory wurde und wir zusammen zur Europameisterschaft ins Euro Disney nach Paris fuhren, konnten die Mädchen an diesem Trainingslager nicht teilnehmen. Während des ganzen Sommers musste ich von Mirjam und Petra dann hören, was man jetzt gerade im Lager verpasst habe und was man dort doch trainieren könnte.»Die begeisterte Gymnastin ist Lehrerin und hat ihren Gatten Hubert im Lehrerzimmer kennengelernt. Aber eineinhalb Jahre lang waren die beiden nur Kollegen, bis Doris dann das Gefühl hatte, der Mann könnte ihr gefallen. Es war sozusagen Liebe auf den fünften Blick. Eine Schulkollegin hat gerne etwas nachgeholfen und vor nunmehr 35 Jahren traten die beiden vor den Traualtar.«Ohne meinen Mann hätte ich niemals alle Aufgaben unter einen Hut gebracht. Aber es war ideal, denn als Lehrer ist er jeden Tag pünktlich nach Hause gekommen und konnte sich um die Kinder kümmern, wenn ich zum Training in die Halle gegangen bin. Unser Sohn Ralph hat sich für den Fussball begeistert und stand auch eine Saison beim FC Diepoldsau- Schmitter und beim FC Götzis im Tor. Heute spielt er Badminton und macht Musik. Und zur Familie hat natürlich immer auch eine Katze gehört.»Im kommenden Jahr ist in der Familie Lehner ein grosser Umzug angesagt. Denn der Sohn wird das einseitig angebaute Familienhaus mit Garten in Diepoldsau übernehmen. Tochter Mirjam wird aus der ebenfalls in Diepoldsau gelegenen Eigentumswohnung ausziehen – und das Ehepaar Lehner diese Wohnung übernehmen. Aus praktischen Erwägungen.«Neben dem Stricken, Lesen und Skifahren ist das Reisen mit dem Wohnwagen unsere Leidenschaft. Und es ist viel einfacher, mit dem Auto oder dem Velo für ein paar Tage aufzubrechen, wenn man sich nicht um die Pflege von Rasen, Garten und Katze kümmern muss. Wobei wir beinahe immer in Europa bleiben. Nur kommendes Jahr machen wir als verspätetes Geschenk zu meinen 60. Geburtstag Urlaub auf den Malediven. Dort werde ich wohl für einige Tage auf mein Lieblingsessen Geschnetzeltes mit Rösti verzichten müssen.»In ihren sportlichen Anfängen hat es Doris Lehner auch mit Rock ’n’ Roll versucht. Das Problem war die Suche nach einem männlichen Partner, wie auch beim Turniertanz. Spät, aber nicht zu spät kann sie sich diesen Wunsch jetzt erfüllen. Seit sechs Jahren fährt sie mit Gatte Hubert einmal in der Woche in ein Tanzstudio nach Dornbirn, um ihrer neuen alten Leidenschaft zu frönen. Aber dennoch würde sie sich wahrscheinlich wieder denselben Sport aussuchen. Denn die Faszination für die Rhythmische Gymnastik hat sie nie losgelassen.

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.