12.08.2020

Diese Bäume sind nicht krank

Bildhauer Hubert Müller dokumentiert die Coronakrise. Im Wald am Semmelenberg gestaltete er ein Kunstwerk.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Hildegard BickelWie Totholz stehen sie im Wald. 20 Baumstämmen fehlen Äste und Kronen, der weisse Anstrich sticht hervor mitten in der grünen Umgebung. Es ist ein Eingriff in die Natur, die der Bildhauermeister Hubert Müller gewollt inszeniert.Der coronabedingte Lockdown löste verschiedene gesellschaftliche Befindlichkeiten aus. Gefühle wie Ohnmacht, Melancholie und Einsamkeit. «Die zurechtgestutzten Bäume symbolisieren die vom Bund verordneten Einschränkungen und Eingriffe in die Privatsphäre», sagt er.Das Forstteam unterstützte das ProjektUm sein Vorhaben umzusetzen, arbeitete Hubert Müller mit dem Forstteam Oberriet zusammen. Zu Beginn löste er alles andere als Begeisterung aus. «Was? Bäume abschneiden?» Von empörten Kommentaren liess sich Hubert Müller nicht entmutigen. Ihm war bewusst, Überzeugungsarbeit leisten zu müssen. Er fertigte ein Modell an, das er dem Revierförster zeigte.Mit dem Projekt nimmt der Bildhauer an einem Wettbewerb teil, den der Künstlerverband Visarte Schweiz im Mai ausgeschrieben hatte. Mehr als 650 Kunstschaffende wirken mit. Der Wettbewerb wird von einer Jury bewertet und online unter «Corona Call» publiziert.Nachdem der Förster über die Hintergründe Bescheid wusste, gab er grünes Licht. Hubert Müllers Werk mit dem Titel «Lichtung» ist innerhalb eines viereckigen Feldes, auf etwa zehn mal zehn Metern Fläche angelegt. 15 Bäumen wurde die Krone bis zu einer Stammhöhe von rund vier Metern gestutzt. Von den abgesägten Stücken verwendete er fünf, um sie wieder einzugraben. Da er die Stabilität dieser Stämme nicht garantieren kann, ist das Feld mit Absperrband eingezont. Diese Notlösung kann als Gefahrenzone verstanden werden, was wiederum zur Krisensituation passt.«Es gab Menschen in meinem Umfeld, die das Vorhaben grenzwertig fanden», sagt Hubert Müller. Auch ihm selber war nicht wohl dabei, als zwei Mitarbeiter des Forstteams Oberriet die Bäume absägten. Beim Bemalen der Stämme legte sich das unruhige Gefühl. «Es war wie eine Versöhnung mit dem Wald.»Nicht provozieren – zum Denken anregenIm Juni begann er am Werk zu arbeiten und stellte es Anfang August fertig. Er freut sich über das Resultat und hofft, Denkanstösse liefern zu können. Auch mit kritischen Stimmen rechnet Hubert Müller. «Es gibt sicher solche, die mich Baumtöter nennen.» Er wolle aber weder anecken noch provozieren. Ihm ist es wichtig, die weltweite Krise in einer Kunstform auszudrücken.Die Landart ist bis Ende Jahr im Wald zu besichtigen. Danach werden die Bäume gefällt und eingelagert. Es besteht die Aussicht auf eine Ausstellung mit Wettbewerbsbeiträgen des «Corona Call».HinweisWeg zum Kunstwerk: Kobelwiesstrasse Richtung Kobelwald, vor der ersten Liegenschaft links abbiegen und den Wegweisern auf dem Waldsträsschen folgen. In der Nähe der «Lichtung» befindet sich eine Feuerstelle mit Sitzgelegenheit.

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