Als vor wenigen Tagen die U21-Fussball-Nati der Schweiz gegen Frankreich spielte, kam mir das Stadion bekannt vor. Es war das Dr. Constantin-Rădulescu-Stadion in der rumänischen Stadt Cluj-Napoca, das und die ich im Frühling besucht habe.
Cluj war die passende Vorspeise dafür, was auf der Reise folgte. Die Stadt ist modern und westlich, aber doch eindeutig osteuropäisch, was auch spürbar ist. In der Bar The Soviet sind Relikte aus der Vergangenheit zu sehen – der niemand nachtrauert. Bei einem Weissbier der Marke Nenea Iancu Albă kommt man rasch mit den vielen Studenten in der Beiz ins Gespräch und sie erzählen, wie sehr zwischen Tradition und Moderne sich die Stadt bewegt.
So gibt es in der gepflegten Altstadt Europafahnen zu sehen, die Bevölkerung pflegt aber auch ihre Traditionen – etwa die grosse ungarische Minderheit mit einem Radiosender, dessen Namen nicht klischeehafter sein könnte: Paprika Rádió. Cluj ist von Buchs aus mit nur einmal Umsteigen zu erreichen: Auf den Tageszug nach Wien folgt eine Nachtzugfahrt nach Cluj.
In die Republik Moldau mit einem Spurbreitenwechsel
Von Cluj aus geht’s morgens um 8 nach Bukarest, ehe die zweite Nachtzugfahrt folgt – von der rumänischen in die moldawische Hauptstadt Chișinău fährt ein alter sowjetischer Zug. Nicht nur das zeigt, dass es weiter ostwärts geht: Im Grenzort Ungheni folgt ein zweistündiger Aufenthalt in der Nacht. Weil die Moldau zur Sowjetunion gehörte, ist dort die Eisenbahnspur breiter. Deshalb werden die Waggons angehoben und auf den Schienen das Fahrgestell ausgewechselt. In Handarbeit und durch viele Fluchwörter der Arbeiter begleitet.
Morgens in Chișinău treffe ich dann meinen Kollegen Ronny. Mit der Republik Moldau hat die Schweiz in der letzten Woche ein Freihandelsabkommen abgeschlossen. Die Regierung orientiert sich nach Europa, will weniger von Russland abhängig sein. Prorussische Kräfte gibt es im Land jedoch auch sehr viele – nicht zuletzt das abgespaltene De-facto-Regime Transnistrien (dazu später mehr).
Von diesem Zwist ist im Alltag in der Hauptstadt Chișinău nichts zu spüren. Die Leute flanieren auf den prächtigen Boulevards, sie geniessen in gemütlichen Gartenbeizen einen Cappuccino oder ein Bier – und als wären wir auf der Suche nach Klischeebestätigung gewesen, tanzen sie im Park zum Song «Dragostea Din Tei», dem mit Abstand berühmtesten Popkulturwerk, das die Moldau je hervorgebracht hat. «Ma-i-a hi, Ma-i-a hu, Ma-i-a ho, Ma-i-a ha-ha»: Wer kennt es nicht?
Über holprige Strassen zu grossen Lenin-Statuen
Etwas über eine halbe Million Einwohner hat Chișinău und die Stadt überrascht durch ihre Lebendigkeit. Sie geizt allerdings mit Sehenswürdigkeiten. Viel zu sehen gibt es nicht – aber viel zu erleben. Auch hier ist spürbar, etwa mit dem einen oder anderen gläsernen Hochhaus, dass die Stadt in die Moderne will.
In Tiraspol ist das Bild anders. Die Stadt lebt in der Vergangenheit, dafür gibt es jede Menge zu besichtigen.
Tiraspol, eine Autostunde östlich Chișinăus gelegen, ist auch eine Hauptstadt – die der Pridnestrowischen Moldauischen Republik, hier (wenn überhaupt) als Transnistrien bekannt und seit 1992 von der Moldau abgespalten. Der Konflikt ist eingefroren; das eine Bevölkerung von 350 000 zählende Gebilde betrachtet sich als unabhängig, aber nur drei ähnliche Gebiete anerkennen es offiziell. Es ist vor allem Russland, das Transnistrien unterstützt; finanziell, ideell, militärisch. Und das ist in Tiraspol sichtbar.
Der Weg dorthin führt über holprige Strassen, an der Hälfte davon finden gerade Belagsarbeiten statt. Hat man die Grenze überquert – es gibt Passkontrollen, obwohl man völkerrechtlich im gleichen Land wie zuvor ist – bietet sich einem ein ganz neues Bild. Direkt ins Auge stechen die vielen Lenin-Statuen an Strassen, an Plätzen und Verkehrskreiseln, die zeigen, dass die Regierung sich den Kommunismus zurückwünscht. Das bestätigen Andrey sowie Andrej, die mit ihrem Reisebüro Transnistria Tour geführte Besichtigungen von Tiraspol und seiner Vorstadt Bender anbieten.
Münzen sind aus Plastik, der Fussballeintritt gratis
Und diese Besichtigung machte all die Mühe, auf dem Landweg hierher zu reisen, locker wett. In vier Stunden bekamen wir so viel Kommunismus zu sehen, dass wir uns in einem Freilichtmuseum wähnten. Da sind etwa typische überbreite Strassen; Verkehr hat es keinen, aber sie tragen die Namen von Karl Marx oder Karl Liebknecht. Prunkvolle Repräsentationsbauten prägen das Stadtbild und Lenin, der Gründer der Sowjetunion, ist allgegenwärtig.
Einige Kuriositäten kommen dazu: So gibt es Münzen aus Plastik (wenn man sie am Bankschalter holt). Und wer ein Fussballspiel des moldauischen Serienmeisters Sheriff Tiraspol sehen will, muss keinen Eintritt zahlen. Auch kurios: Sheriff hat in der Champions League einmal auswärts das grosse Real Madrid geschlagen!