29.01.2021

Die Stube bebt: Betonplatten plagen Widnauer Hausbesitzer

Rolf Sieber leidet unter dem Verkehr, der an der Bahnhofstrasse über Betonplatten rollt. Seit Jahren fordert er vom Kanton, etwas zu unternehmen - bisher vergebens.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 03.11.2022
Manchmal liegt Rolf Sieber um sechs Uhr früh in seinem Bett und hört, dass gerade der Bus die ersten Pendler an den Bahnhof bringt. Mal ist es ein Drei-, mal ein Zweiachser – vielleicht folgt kurz darauf ein Lastwagen. In den vergangenen Jahren hat Sieber gelernt, die Fahrzeuge, die auf der Bahnhofstrasse an seinem Haus vorbeifahren, an den Vibrationen und Geräuschen zu erkennen. Das macht er aber nicht aus Spass: Die Erschütterungen schlagen ihm und seiner Frau aufs Gemüt. «Die Lebensqualität leidet seit der Sanierung der Bahnhofstrasse», sagt Sieber.Der Winter verstärkt das ProblemBegonnen hat Siebers Geschichte 2012, als der Kanton die erste Sanierungsetappe der Widnauer Bahnhofstrasse in Angriff nahm. Schon damals diskutierte er mit Bauarbeitern über den kurzen Abschnitt vor seinem Haus, der nicht asphaltiert, sondern mit Betonplatten ausgelegt wurde. Was er befürchte, bewahrheitete sich, als schliesslich der Verkehr über die frisch sanierte Strasse rollte. Die Fahrzeuge, die über die Fuge zwischen Asphalt und Beton brettern, verursachen bis heute Lärm, der ins Haus gelangt und zu leichten Erschütterungen führt, die das Wasserglas auf dem Stubentisch zittern lassen. «Ich klage nicht grundsätzlich über den Verkehrslärm, ich wohne schliesslich an einer Hauptstrasse», sagt Rolf Sieber, «das Haus ist über 100 Jahre alt und ich lebe seit Geburt hier. Aber diese Geräusche sind nicht tragbar». Verstärkt werde das Problem im Winter, weil der Beton die Erschütterungen bei tiefen Temperaturen besser leite. Bereits kurz nach der Inbetriebnahme der Strasse habe das kantonale Tiefbauamt die Fuge deshalb sanieren lassen. Die Wirkung war von kurzer Dauer. Das Problem tauchte erneut auf und der Lärm war in Siebers Haus wieder omnipräsent.Rolf Sieber wohnt seit Geburt in seinem Einfamilienhaus an der Bahnhofstrasse. Betonplatten in Gehweg- und KnotenberichenSieber versteht nicht, weshalb ausgerechnet vor seinem Haus auf einer Länge von zirka 50 Metern Betonplatten den Asphalt ablösen müssen. Diese dienten nämlich ausschliesslich ästhetischen Zwecken, ist sich der Pensionär sicher. «Komischerweise wurde in der zweiten Bauphase an der Poststrasse plötzlich ein lärmmindernder Belag eingebaut», gibt der Hausbesitzer zu bedenken. Der Kanton sieht das anders: «Vor einigen Jahren war der Stand der Technik bezüglich Haltbarkeit von lärmmindernden Belägen noch nicht auf dem heutigen Niveau. Deshalb wurden sie nur an wenigen Orten zu Versuchszwecken eingebaut», erklärt Manfred Huber, Leiter Strassen- und Kunstbauten. «Im Rahmen des Kantonsstrassenprojekts wurden zusammen mit der Gemeinde Widnau Gestaltungsmassnahmen ausgearbeitet, die den Strassenraum siedlungsverträglich machen und auf die städtebaulichen Anforderungen abgestimmt sind. Als zentrales Element wurden Betonplatten in den Gehweg- und Knotenbereichen eingesetzt.»Kanton misst im Keller ErschütterungenSieber, bis zu seiner Pensionierung vor wenigen Monaten selbst beim Kanton angestellt, war seit Auftreten des Problems in Kontakt mit den Zuständigen. Das Tiefbauamt sei lange Zeit kooperativ gewesen und gab bei der Frauenfelder Zapag AG schliesslich sogar ein Gutachten in Auftrag. Ein ganzes Jahr lang, zwischen 2016 und 2017, waren in Siebers Keller Messgeräte in Betrieb. «Ich fragte mich allerdings, weshalb man fast die ganze Zeit im Keller gemessen hat und nur kurz in unserem Wohnbereich – das Problem ist in der Stube, nicht im Keller.»Das Gutachten brachte schliesslich zutage, dass es tatsächlich gewisse Abweichungen von der Norm gibt. Im Wohnbereich wurden Verkehrserschütterungen von 1,821 mm/sec gemessen, «deren Störungsgrad als zu hoch und als untragbar eingestuft werden muss», wie es im Bericht heisst. Die Schweizer Norm gibt Richtwerte für die Erschütterungseinwirkung auf Bauwerke vor. Für normal empfindliche Gebäude ist davon auszugehen, dass unter 6 mm/sec mit keinen Schäden zu rechnen ist. «Die Wahrnehmung von Erschütterungen ist jedoch stark subjektiv und kann nicht mit Normwerten belegt werden», heisst es beim Kanton auf Anfrage.Untergeschoss auf eigene Kosten sanierenDas Gutachten kommt trotz der gemessenen Werte zum Schluss, dass der Kanton keine Massnahmen zu ergreifen hat. Wenn sich Rolf Sieber am Lärm störe, müsse er sein Haus sanieren. Das bestätigt auch der Leiter Strassen- und Kunstbauten Manfred Huber auf Anfrage: «Mit dem Gutachten konnte ausgeschlossen werden, dass die Erschütterungen durch Vibrationsleiter vom Strassenkörper her übertragen werden. Die Experten kamen deshalb zum Schluss, dass das negative Erschütterungsverhalten des Gebäudes nicht auf die Strasse, sondern auf die ungenügende Unterkellerung zurückzuführen ist.» Aus diesem Grund wurden Massnahmen im Untergeschoss vorgeschlagen. Die Fuge zwischen den Betonplatten und dem Asphalt bereitet Rolf Sieber schlaflose Nächte. Damit ist Sieber nicht zufrieden. Der 65-Jährige ist der Ansicht, der Kanton müsse handeln und die Ursache – die Fuge zwischen Betonplatten und Asphalt – beheben. Nach einer weiteren Begehung mit den Verantwortlichen des Tiefbauamtes nahm sich Rolf Sieber letztes Jahr einen Anwalt. Dieser forderte Unterlagen über den beanstandeten Beton-Fahrbahnteil, die er bis heute nicht bekommen hat. Sieber griff am Montag dieser Woche schliesslich selbst zur Feder. Sein Schreiben richtet sich an das Generalsekretariat des St. Galler Baudepartements. Darin verlangt er einerseits die Unterlagen, andererseits baldige Massnahmen: «Nachdem eine richtige Sanierung gegenwärtig nicht im Sinne des Kantons ist, fordere ich eine Sanierung der Fuge nach der Frostperiode. Ich erwarte dazu einen verbindlichen Termin mit Ausführung bis Ende April 2021. Wir akzeptieren schon lange Jahre die immer höheren Verkehrsfrequenzen, aber nicht die Planungsversäumnisse des Kantons.»Tiefbauamt prüft die Fuge erneutMit seinem Anliegen steht Sieber allerdings alleine da. Beanstandungen von weiteren Anwohnern seien bisher keine eingegangen, sagt Manfred Huber. Der Leiter Strassen- und Kunstbauten betont auch, dass Siebers Wohnhaus vor der Realisierung der Strassenraumgestaltung schon im Jahr 2005 wegen des erheblichen Verkehrslärms mit Schallschutzfenstern ausgestattet worden war. Diese Kosten habe der Kanton vollumfänglich übernommen.Trotz Siebers jahrelangen  Bemühungen sind gemäss Huber abgesehen von den üblichen Unterhaltsarbeiten zur Zeit keine weiteren Massnahmen geplant. «Die Strassenraumgestaltung wurde vor rund acht Jahren erstellt. Der Betrieb auf besagtem Strassenabschnitt funktioniert einwandfrei», sagt er. Einen Lichtblick für Rolf Sieber gibt es allerdings trotzdem: Das Baudepartement stellt ihm in Aussicht, die problematische Fuge erneut zu prüfen und bei Bedarf zu sanieren.

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