03.02.2022

Die Stadt, die keine sein will

Widnaus Bevölkerung ist im letzten Jahr auf über 10000 gestiegen. Eine Stadt wird die zweitgrösste Gemeinde des Rheintals aber nicht. Daneben ist die Bevölkerungszahl in Rebstein und Diepoldsau im letzten Jahr deutlich gestiegen.

Von Remo Zollinger
aktualisiert am 02.11.2022
Hat eine Gemeinde über 10000 Einwohnerinnen und Einwohner, gilt sie für das Bundesamt für Statistik als Stadt. Aber was hat die Gemeinde davon, sich so zu nennen? «Nichts. Jede Stadt ist rechtlich auch und nichts anderes als eine Gemeinde», sagt Marc Moser, der Leiter Kommunikation des Schweizerischen Städteverbandes, auf Anfrage. Im Gegensatz zu Deutschland oder Österreich gibt es hier kein Stadtrecht mit rechtlichen Folgen. Im Historischen Lexikon der Schweiz ist nachzulesen, im frühen 19. Jahrhundert wurden «Städte wie Dörfer rechtlich als Gemeinden eingestuft».Die meisten Schweizer Städte tragen diese Bezeichnung aus historischen Gründen. Rheineck hat nur 3433 Einwohner, wurde aber schon im Jahr 1219 als Stadt bezeichnet. Und blieb in der Folge Stadt – bis heute.Altstätten wurde dank Abt Berchtold von Falkenstein, der den Hof Altstätten im 13. Jahrhundert mit einer Ringmauer befestigt hatte, 1298 zur Stadt gemäss mittelalterlichem Stadtrecht erhoben. So steht es auf der Webseite der Stadtverwaltung. Später nannte sich Altstätten aber auch Gemeinde. In den 1980er-Jahren durchbrach diese die 10 000er-Marke – aber Stadt heisst Altstätten erst seit 1998 wieder. Die Gemeinde beförderte sich da anlässlich ihrer «700 Jahre Stadtrecht» zur Stadt. In einem SDA-Bericht war zu lesen, die Bezeichnung soll «die Zentrumsfunktion des Marktortes dokumentieren».Widnau erfüllt alles, um als Stadt zu geltenNun also Widnau. Am 10. Dezember 2021 gab die Gemeinde bekannt, nun 10000 Einwohner zu haben. Per Jahreswechsel waren es 10033. Wird Widnau nun eine Stadt, sein Gemeinderat ein Stadtrat, Christa Köppel in ihrem letzten Amtsjahr zur Stadtpräsidentin?Die Antwort ist: Nein. Denn im Dezember sagte Christa Köppel: «Wir sind keine Stadt und bleiben eine Gemeinde, Punkt.» Das Erreichen der 10 000er-Schwelle sei eine rein statis­tische Grösse, sagte sie schon früher im Jahr, sie sei und blei­-be Gemeindepräsidentin. Das Briefpapier werde nicht geändert «weil wir eine statistische Masszahl erreicht haben».Von der Hand zu weisen ist es nicht, dass Widnau Kriterien erfüllt, die eine Stadt ausmachen. Die Gemeinde liegt zentral, hat eine gute Infrastruktur und – im Gesamtkontext des Mittelrheintals – einen Charakter, den manche Spezialisten als urban und andere mit dem Trendausdruck «softurban» bezeichnen. Das Wort «Dorf» wird Widnau auf  jeden Fall nicht mehr gerecht. Darum muss es aber nicht offiziell Stadt werden. Das zeigen auch noch grössere Orte im Kanton, die sich weiter als Gemeinde bezeichnen. Etwa Uzwil, 13446 Einwohnerinnen und Einwohner und fünf Dörfer gross. Oder Flawil, Heimat von 10451 Personen. Das sind ebenfalls gut gelegene Orte, die sich nicht als Stadt sehen.Konstantes Wachstum in beinahe allen GemeindenMit einem Wachstum um 1,74 % liegt Widnau über dem Rheintaler Durchschnitt. Gewachsen sind im letzten Jahr aber fast alle Gemeinden. An Bevölkerung eingebüsst haben lediglich Marbach (-30), Eichberg (-14) sowie Rüthi (-1). Zwei Gemeinden haben besonders stark zugelegt (siehe unten), bei den anderen liegt das Wachstum zwischen 0,57 und 1,74 %.Das gilt (abgesehen von Rehetobel) auch für das Appenzeller Vorderland. Heiden ist weiterhin mit Abstand die grösste Gemeinde der Region, ihre Bevölkerung hat 2021 um knapp ein Prozent zugelegt, während sie in Oberegg im Jahresvergleich mit 1927 exakt gleich gross geblieben ist.Zwei Gemeinden schwingen obenausEine Gemeinde ist in absoluten Zahlen am meisten gewachsen, eine in relativen. Diepoldsau hat per 31. Dezember des letzten Jahres 249 Einwohnerinnen und Einwohner mehr als Ende 2020. In Rebstein ist die Bevölkerungszahl um 3,92 Prozent gestiegen. «Dieser Zuwachs ist erfreulich», findet Rebsteins Gemeindepräsident Andreas Eggenberger. Er sagt, die Gemeinde profitiere von der Lage mitten im Tal, von einer verstärkten Infrastruktur – und einem deutlich verbes­serten Wohnungsangebot. Dies äussere sich in einem idealeren Mix an Wohneinheiten, die in neuen Überbauungen entstanden sind. «Ich bin sicher, diese erfüllen viele Bedürfnisse.» Die Gemeinde habe dies in Gesprächen mit Investoren beeinflussen können und freue sich, dass die Wohnungen stark nachgefragt sind. «Neue Einwohnerinnen und Einwohner beleben das Dorf», sagt Eggenberger.Sein Diepoldsauer Amtskollege Roland Wälter begründet das Wachstum seiner Gemeinde ähnlich: mit der Eröffnung einer Überbauung an ei­nem Standort, wo früher eine Zementröhrenfabrik stand. «Die Wohnungen sind qualitativ hochwertig und sehr gut gelegen», sagt er, man sehe von dort aus den St. Anton, den Säntis und die Hohe Kugel. Das Plus in der Bevölkerungszahl überrasche ihn nicht, wie Eggenberger geht aber auch Wälter davon aus, dass sich ein so starkes Wachstum nicht sofort wiederholt. Allerdings sind in Diepoldsau nächste Grossprojekte in der Pipeline. Es ist davon auszugehen, dass die Rheininsel nachgefragt bleibt.

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