25.08.2019

Die Sonnenfallensteller

Der Hof Morgarot in Altstätten betreibt nachhaltige Landwirtschaft. Lokal, divers und nach alternativen Methoden. Wie funktioniert die Permakultur? Ein Rundgang.

Von David Grob
aktualisiert am 03.11.2022
Hoch und abgeschieden thront der Hof Morgarot über dem Rheintal. Hinter der Hügelkuppe beginnt das Appenzellerland, am Horizont verstecken sich die Bergspitzen der Vorarberger Alpen in Wolkenschwaden. In einer kleinen Mulde im steilen Gelände krümmen sich Rücken über dem Boden, wühlen Hände im Erdreich, pflanzen Setzlinge und Jungpflanzen ein: Pfirsiche, Aprikosen, Kaki, Kräuter. Sogar eine Kletterkiwi soll dereinst an einem Holzgerüst hochranken – und das ganz ohne künstliche Bewässerung, Pestizide oder zugekaufte Düngemittel. Seit vier Jahren bewirtschaften Manuela und Marcel Schmid ihr 22 Hektar grosses Land nach permakulturellen Methoden. Jeden Freitag bildet das Paar Landwirtinnen und Bauern in der Permakultur aus – offizielle Lehrgänge an Schweizer Landwirtschaftsschulen gibt es nicht.Seit 1978 gibt es die Permakultur, die mehr sein will als bloss nachhaltige Landwirtschaft: Bewegung, Weltanschauung und Lebensphilosophie. Begründet wurde sie von den australischen Umweltwissenschaftern Bill Mollison und David Holmgren. «Permakultur ist eine Philosophie, die mit und nicht gegen die Natur arbeitet», schreibt Mollison. Das Ziel: Ökosysteme zu schaffen, die landwirtschaftlich nutzbar, aber widerstandsfähig, vielfältig und stabil wie natürliche Ökosysteme sind. Szene-Ikonen gibt es einige: Der Österreicher Sepp Holzer betreibt etwa einen kleinen Hof in den Alpen, der Thurgauer Ernst Götsch verwandelt in Brasilien zerstörtes Land in fruchtbare Böden. Beide sind Vorbilder für die Schmids.Nutzen, was Natur und Gelände gibtManuela Schmid deutet auf die schwitzende Gruppe im Hang. «Hier bauen wir eine Sonnenfalle.» Steine speichern die Wärme der Sonne, Hecken am Rande sollen Wind und Wetter abhalten, damit dazwischen die Südfrüchte spriessen können. Die Sonnenfalle ist ein Grundprinzip der Permakultur: Der Anbau von Pflanzen wird an das Gelände angepasst – und nicht umgekehrt. Manuela Schmid führt hangabwärts über ihr Land und erläutert, wie sie vorgegangen sind, damals vor vier Jahren, als die jungen Landwirte den Hof von Marcels Eltern übernommen haben. «Das erste, was man fragt, ist: Wo will Wasser sein?», sagt Schmid. Sie deutet auf eine Senke, in der lange Gräser stehen. «Dort will Wasser sein.» Wie Sepp Holzer, der den Krameterhof in den österreichischen Alpen betreibt, legten die Schmids in den vergangenen Jahren Teiche an, wo Wasser aus dem Hang drückt, Salat- und Gemüsefelder, wo das Erdreich feucht ist, Wege, wo Trockenheit vorherrscht. «Wir müssen deshalb nicht künstlich bewässern.»Auf einer sanft abfallenden Wiese spriessen Kopfsalate zwischen den Gräsern. Ein glibberige, gelblichweisse Masse liegt dazwischen. «Schafswolle», sagt Schmid, «ein Langzeitdünger, der auch Nützlinge anlockt». Es ist nicht so, dass die Schmids gänzlich auf Düngemittel verzichten. Aber auf Fremddünger. Einzig, was der Hof hergibt, wird verwendet. Hecken grenzen das kleine Feld ab: Sträucher, Kartoffeln und Topinambur – die jedoch nicht als Nutzpflanzen verwendet werden, sondern um Schädlinge von den Wurzeln wegzulocken. So stürzen sich beispielsweise Mäuse nicht auf die Wurzeln, sondern auf den Topinambur. «Es bringt nichts, Mäuse zu bekämpfen – im Gegenteil: Mäuse lockern den Boden.»Manuela Schmid greift in einen buschigen Strauch und drückt die Zweige auseinander. Im Innern des Buschs sind grüne Cherrytomaten zu sehen. «Ein Experiment», wie Schmid sagt, das gleichzeitig ein Paradebeispiel für permakulturelle Landwirtschaft ist: Verschiedene Pflanzen werden nebeneinander angebaut. Vielfalt statt Monokultur. Die Obstbäume spenden den Tomaten am Nachmittag Schatten, der Strauch gibt Feuchtigkeit in Form von Tau ab. Einzig die Ernte zwischen den Zweigen sei schwierig, sagt Schmid. Für den Privatgebrauch reichts, für die Märkte in Altstätten und Heiden, auf denen die Schmids einmal pro Woche einen Stand haben, wird es schwierig.Mit Permakultur gegen Bodenerosion und Klimawandel?Hans Balmer ist der Präsident des Vereins Permakultur-Landwirtschaft und arbeitet als Gewässerschutzinspektor beim Kanton Zürich. Für ihn ist der Hof Morgarot ein Vorbild: «Der Hof ist einer der wenigen und ersten mittelgrossen landwirtschaftsbetrieben, die konsequent nach den Grundsätzen der Permakultur geführt werden.» Für Balmer hat die Permakultur Zukunft. Sein Ziel und das des Vereins sei es, auch auf grossen Höfen im Mittelland die Begeisterung für die Permakultur zu wecken. Der Sonderbericht des UNO-Weltklimarates von August legt unter dar, dass weltweit bereits ein Viertel des Bodens verwüstet ist. In Anbetracht dieser Bodenzerstörung und des Klimawandels biete die Permakultur eine nachhaltige Alternative, so Balmer.Christian Schöb, Professor für Agrarökologie an der ETH Zürich, forscht im Bereich von Mischkulturen und Biodiversität. Er sieht einige Vorteile von Permakultur-Höfen: «Da ganz verschiedene Produkte angebaut werden, ist ein Permakultur-Landwirt weniger stark vom aktuellen Markt abhängig.» Durch die Vielfalt seien die Kulturen auch weniger anfällig auf Schädlinge oder auf komplette Ernteausfälle. Schöb sieht aber auch Schwierigkeiten: Ein Bauer, der auf Permakultur setzt, müsse sehr viel ökologisches Wissen mitbringen. Diese Komplexität mache die Organisation auf dem Hof schwierig. «Wann wird was wo und wie gesät, wann wird was wie geerntet?»Gefangen in der Spirale intensiver LandwirtschaftMittagessen in einem Holzschopf. Die Gruppe der Landwirte sitzt zusammen an einer langen Tafel und isst dampfende Spaghetti Bolognese, die Marcel Schmid zubereitet hat. Teil der Gruppe sind Bruno und Elisabeth Weber, ein Milchbauern-Paar vom Ricken. Was ist ihre Motivation, sich im Alter von 54 Jahren von der herkömmlichen Landwirtschaft abzuwenden und auf Permakultur zu setzen? «Wir möchten mit und nicht gegen die Natur arbeiten», sagt Bruno Weber. Er sah sich in einer sich immer schneller drehenden Spirale gefangen: «Man muss grösser und schneller und intensiver produzieren.»Ist Permakultur also auch ein Ausbruch aus dem System? Für Manuela Schmid ist Permakultur eine Lebenseinstellung. Der Umgang mit der Natur erzähle auch viel über uns selber, sagt Manuela Schmid. «Der Mensch vergiftet sich tagtäglich. Er zwängt sich selbst in ein Korsett.» Permakultur bedeute für sie, das wertzuschätzen, was man habe und was man sei. «Man hat einen ganz anderen Bezug zu dem, was man selber aufzieht und pflegt.»Ihr Korsett hat sie vor Jahren gesprengt. Schmid, in einer österreichischen Ärztefamilie aufgewachsen, wurde Physiotherapeutin für Pferde, war aber unzufrieden. Und sie spürte: «In meinem Herzen war ich schon immer Bäuerin.» Sie nahm die Permakultur-Ausbildung bei Permakultur-Koryphäe Sepp Holzer auf, wo sie Marcel Schmid kennenlernte. Und später zusammen mit ihm den Hof Morgarot übernahm. Wie ihr Idol geben sie nun ihr Wissen weiter.

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