23.03.2022

Die Singgemeinschaft verstummt

Nach mehr als vier Jahrzehnten haben die Mitglieder der Rheintalischen Singgemeinschaft an ihrer Hauptversammlung beschlossen, den Probenbetrieb aufzugeben und den Verein aufzulösen.

Von Meinrad Vögele
aktualisiert am 02.11.2022
Corona hat die seit Jahren prekäre Lage so verschärft, dass eine erfolgreiche Proben- und Konzerttätigkeit nicht mehr möglich gewesen wäre.Der Oratorienchor gab grosse KonzerteDie Rheintalische Singgemeinschaft war 1978 aus dem Rheintaler Kammerchor heraus entstanden und entwickelte mit ihrem ersten musikalischen Leiter, Prof. Fredy Messmer, der an der Kantonsschule und dem Lehrerseminar Heerbrugg unterrichtete, eine rege Konzerttätigkeit. Der Chor, dessen Mitglieder sich vorwiegend aus dem Rheintal und teilweise dem Appenzellerland und Vorarlberg rekrutierten, fungierte als Oratorienchor und führte im Zweijahresrhythmus grosse Chorkonzerte im Rheintal, in der Stadt St. Gallen und in Feldkirch auf.Mit Händels Judas Makkabäus startete die junge Chorgemeinschaft 1979, ein Jahr später folgte das Weihnachtsoratorium von Bach, ehe mit Händels Messias 1982 der Chor zur Hundertschaft angewachsen war. Nach Bachs Johannespassion 1984 betrat der Chor mit der szenischen Aufführung von Händels Samson Neuland: Schülerinnen und Schüler fungierten als handelnde Akteure, die Rheintalische Singgemeinschaft war für den Chorklang verantwortlich.Fredy Messmer war ein fundierter Kenner des Barocks und seine Liebe galt Johann Sebastian Bach, dennoch studierte er zum Zehn-Jahr-Jubiläum der Rheintalischen Singgemeinschaft Haydns Schöpfung ein, die erfolgreich in Au und St. Gallen über die Konzertbühnen ging. Mit Messias in der Fassung von Mozart stand 1991 ein weiteres Mal ein klassisches Werk auf dem Konzertprogramm. 1994 wagte sich der Chor erstmals in die Romantik vor und in­terpretierte mit Elias von Mendelssohn in Au und der renommierten Tonhalle St. Gallen zwei denkwürdige Konzerte. Ein Chor aus Schaffhausen war mit von der Partie und etliche Mitglieder beider Chöre träumten bereits von einer Fortsetzung gemeinsamer Chorprojekte. Leider scheiterte dies am Widerstand des Schaffhauser Chorleiters.Nach dem Grosserfolg die ErnüchterungNach dem Grosserfolg mit Elias folgte mit Rombergs Oratorium Das Lied von der Glocke – einem selten aufgeführten Werk aus der Klassik – eine Ernüchterung. Es folgten Jahre der Verunsi­cherung; zum einen stagnierte die Mitgliederzahl des Chores, andererseits hatte der musika­lische Leiter mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Er hatte nach längeren Unterbrüchen die Probenar­beit an Mendelssohns Paulus wieder aufgenommen, muss­te dann aber aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt erklären.Tradition der grossen Chorkonzerte fortgesetzt2000 übernahm sein Kollege Prof. Karl Hardegger die Leitung des Chores und setzte auch die Arbeit am Oratorium Paulus fort, das 2001 in Au, St. Gallen und erstmals in Pfäfers zur erfolgreichen Aufführung gelangte. Hardegger lancierte eine vertiefte Zusammenarbeit mit dem Chor der Kantonsschule Heerbrugg, die sich in den traditionellen Weihnachtskonzerten im Rheintal und in Gams etablierten.Mit der Rheintalischen Singgemeinschaft setzte er die Tradition der grossen Chorkonzerte fort: 2003 Mozarts Requiem, 2005 Haydns Schöpfung, 2007 Elias von Mendelssohn; 2009 folgte Dvořáks Stabat Mater. 2011 standen mit der Chor­sinfonie Lobgesang und dem Psalm 42 gleich zwei Werke von Mendelssohn auf dem Programm. Eine Besonderheit war 2013 die Aufführung von Schuberts grosser Messe in Es-Dur. 2015 gelangte mit Haydns Die Jahreszeiten letztmals ein Oratorium zur Aufführung.Das Konzert zum 40-jährigen Bestehen der Rheintalischen Singgemeinschaft im Dezember 2018, das nur in Au stattfand, zeigte letztmals die «DNA» des Chores, standen doch auf dem Programm die Bach-Kantate Herz und Mund und Tat und Leben aus Händels Messias der Chor «Denn es ist uns ein Kind geboren» und von Ryba «Die böhmische Hirtenmesse».Hardeggers Kündigung war ein SchockDer Mitgliederbestand des Chores war weiter geschrumpft, die Überalterung vor allem der Männerstimmen augenfällig; aber vor allem gelang es nicht, neue Mitglieder zu gewinnen. Dennoch war es für die Aktiven ein Schock, als sie erfuhren, dass Karl Hardegger seine Demission eingereicht hatte.Noch einmal übernahm mit Prof. Christian Büchel ein Musikkollege dessen Nachfolge. Ambitioniert und voller Tatendrang schlug er das spätromantische Oratorium Le Laudi von Suter vor, das aber für die Aufführung einen weiteren Chor erfordert hätte. Ernüchterung machte sich breit, als trotz weniger Neuzugänge in der Rheintalischen Singgemeinschaft sich eine Zusammenarbeit mit ei­nem anderen Chor nicht realisieren liess. Dennoch wurde mit dem Programm Sternenzauber in Heerbrugg ein ansprechendes Liedprogramm einstudiert, das 2019 an der Kantonsschule Heerbrugg erfolgreich über die Aulabühne ging.Mit Corona kamen weitere RücktritteDer Bestand der Männer­stimmen fiel danach unter die Zehnermarke, so dass an die Vierstimmigkeit der künftigen Chorwerke nicht mehr zu denken war – Sopran, Alt und Männerstimmen hiess jetzt die Devise und entsprechend wurde ein Liedprogramm von Monteverdi bis Schubert ausgewählt, das im Mai dieses Jahres hätte aufgeführt werden sollen. Doch dann kam Corona, verhinderte einen regelmässigen Proben­betrieb und führte zum Rücktritt weiterer Chormitglieder. Die Demission des Dirigenten war dann kaum mehr eine Überraschung.«Alles hat seine Zeit», so das Bibelwort, das auch für die Geschichte der Rheintalischen Singgemeinschaft gilt. Vier Jahrzehnte lang erfreute sie ein treues Publikum mit bedeutenden Chorkonzerten, die mit professionellen Orchestern und namhaften Solisten über die Bühnen des Rheintals und andernorts gingen. Die Vereinsstatuten der Rheintalischen Singgemeinschaft sehen vor, dass nach der Auflösung des Chores der Aktivsaldo der Vereinskasse der Rheintalischen Gesellschaft für Musik und Literatur übertragen werde, die ihn treuhänderisch verwalte. Nach der Gründung eines neuen Chores stünde er diesem zur Verfügung.* Zum Autor: Meinrad Vögele war langjähriges Vorstandsmitglied des inzwischen aufgelösten Vereins. 

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