Andrea C. PlüssPolemik liegt ihm nicht. Lieber lässt Patrick Spirig, der Diepolds-auer Schulpräsident, den gesunden Menschenverstand walten. Als bekannt wurde, dass die Nachbarkantone in der Volksschule mit einem Vollklassenunterricht starten, während im Kanton St. Gallen der Schulunterricht ab Montag bis zum 7. Juni in Halbklassen geführt wird, war der Aufschrei gross. «Da wurden Petitionen verschickt, zum Protest aufgerufen, dramatische Konsequenzen skizziert», beschreibt Spirig die schulpolitischen Aktivitäten der letzten Tage: «Ich kann das nicht nachvollziehen», sagt er. Für beide Varianten Modelle entwickeltMit den Schulleitern hatte Patrick Spirig zwei Szenarien durchgespielt, als eine Schulöffnung absehbar schien: den Unterricht im ganzen Klassenverband oder in Halbklassen. «Wir haben dann abgewartet bis zum definitiven Entscheid am letzten Donnerstag. Als die Entscheidung gefallen war, haben die Lehrerinnen und Lehrer am Konzept «Halbklassen» detailliert weitergearbeitet. «Es kommt, wie es kommt, so ist das seit den Schulschliessungen Mitte März.» Der Prozess führe vom Bundesrat über die Kantone zum Erziehungsdepartement und dann an die Schulträger.Zwei von 100 Lehrern fallen ausDiepoldsau ist vergleichsweise gut aufgestellt, sowohl was die Raumkapazitäten angeht als auch personell. Von den etwa 100 Lehrpersonen müssen lediglich zwei dem Unterricht im Schulhaus fernbleiben, da sie zur Risikogruppe gehören. Ein Schüler – von 730 – darf aus medizinischen Gründen nicht am Unterricht vor Ort teilnehmen. Ihn hätten keine Anrufe von Eltern erreicht, bei denen es um Unterrichtsbefreiung, aus Angst vor Ansteckung beispielsweise, gegangen sei, so der Schulratspräsident. Gut dreissig Seiten Informationen und Tipps erhielten die Schulen am Montag vom Erziehungsdepartement. «Da steht häufig das Wort ‹angemessen›, so Spirig, «ohne genaue Vorgaben.» Bei den Hygieneregeln zum Beispiel. «Wir haben festgelegt, wie oft Türklinken desinfiziert und Tische abgewaschen werden müssen». Händewaschen ist vor Unterrichtsbeginn für alle Pflicht. In allen Räumen stehen Desinfektionsmittel bereit. Die Distanzregel werde bei Schülern der höheren Klassen sicher aufmerksamer kontrolliert als bei den Primarschülern bis zum Alter von etwa zehn Jahren. Jüngere Kinder könne eine Lehrperson nicht einfach schroff zurückweisen, da sei Fingerspitzengefühl nötig. Benotete Tests erst in Phase IIDie Klassenlehrer haben die Gruppeneinteilung in A und B nach eignem Ermessen vorgenommen, unter Berücksichtigung des Geschlechtergleichgewichts und danach, welche Schüler gut in einer Gruppe harmonieren. In den knapp vier Wochen bis zum 7. Juni (Phase I) soll der Unterrichtsstoff von zwei Wochen abgedeckt werden. Der jeweilige Klassenstundenplan gilt weiterhin, sodass beide Halbklassen im Wochenwechsel dieselben Fächer und Themen behandeln werden. Der schulfreie Mittwochnachmittag bleibt erhalten; die Halbklassen kommen im Wochenwechsel vormittags. Ab Montag, 8. Juni, bis zu den Sommerferien am 5. Juli ist ein Normalbetrieb nach Lehrplan an den Schulen vorgesehen (Phase II). Benotete Tests dürfen Lehrer erst in Phase II ansetzen.In Absprache mit den Kirchen findet während der am Montag beginnenden Phase I kein Ethik- oder Religionsunterricht an den Schulen statt; die Kirchen werden, wiederum in Absprache mit den Schulen, einen eigenen Unterricht anbieten. Der Kochunterricht am Oberstufenzentrum Kleewies wird sich auf theoretische Wissensvermittlung beschränken. Teamteaching auch in HalbklassenSpeziell ist die Situation am Schulhaus Mitteldorf, wo eine Doppelklasse mit Erstklässlern und Zweitklässlern geführt wird. Da es sich um ein anspruchsvolles Unterrichtskonzept handelt, gibt es Teamteaching in der Klasse. Das Modell wird auch im Halb-klassenunterricht weitergeführt, wodurch dann lediglich vier bis fünf Kinder in einer Gruppe unterrichtet werden. «Das ist für die Schüler sicher ein Vorteil», ist sich Patrik Spirig sicher. Allerdings sei die Vorbereitung des Halbklassenunterrichts in diesem Fall für die Lehrer «streng» gewesen. Generell gebe es für die Lehrkräfte nach Auffassung des Schulratspräsidenten «keinen Riesenunterschied» zwischen Halbklassenunterricht und Vollklassenunterricht. Eher hätten die Lehrer Gelegenheit, individueller auf die Schüler einzugehen, da die Gruppe kleiner ist. Freie Kapazitäten, die sich durch den Halbklassenunterricht ergäben, könnten Lehrer in andere schulische Aktivitäten investieren. «Wir haben einen guten Schulbetrieb in Diepoldsau, hier läuft es gut», sagt Spirig. Gerade deshalb ärgere es ihn, dass die Polemik der letzten Tage, wie sie von verschiedenen Verbänden betrieben wurde, nur das Negative in den Fokus stelle. In Diepoldsau werde viel getan, um benachteiligte Kinder zu unterstützen, nicht erst seit Mitte März , aber seitdem besonders.(siehe Zweittext).