20.10.2021

Die schreibende Spätzünderin

Die aus Plona stammende Barbara Heeb hat die Glückspille erfunden. Diese ist jedoch Romanfiguren vorbehalten.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Die 49-Jährige wuchs als jüngstes von fünf Kindern in Plona auf, begann ihre berufliche Laufbahn mit einer Bürolehre und arbeitet seit 2019 im niederländischen Almelo an einem Gymnasium – als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache. Im Mai erschien ihr erster Roman. Sein Titel: «Die Sublimen». Das Buch ist der dystopischen und utopischen Literatur zuzurechnen, packt bei den Alltags­beschreibungen und Dialogen aber mit wohltuender Lebensnähe.Das Thema: Geschmackssache. Die Szenen: anschaulich. Die Sprache: präzis, bildhaft. Der Schreibstil: süffig, knapp. Zugabe: philosophische Gedanken. (Seite 184: «Sehnen wir uns nach Liebe, um sicher zu sein, dass jemand sich für unser Überleben interessiert, unseren Tod beweint? Hätten wir es ohne Liebe überhaupt so weit gebracht, über diese Frage nachzudenken?»)Die Sprachbilder: treffend. Der Buchtitel: sperrig. (Die Autorin widerspricht, räumt aber ein, für die Überschrift einen vagen, selten benützten Ausdruck verwendet zu haben.)Gute Laune als das Allerwichtigste«Die Sublimen»: Im Roman sind das die Menschen, die sich – dank eines «Glücksprogramms» – darauf beschränken dürfen, glücklich zu sein. Was sich natürlich nicht als wahres Glück erweist. Auf Seite 59 heisst es: «In der Welt der Sublimen war niemand mehr auf wärmende Sonnenstrahlen angewiesen, um gute Laune zu haben, und gute Laune zu haben, war das Allerwichtigste.»Der andere Teil der Bevölkerung, die Klasse der «Schlichten», erledigt die Arbeit «und auch viel Drecksarbeit», wie Barbara Heeb sagt. Die «Schlichten» sind «vom schönen Leben ausgeschlossen».Lernen war in der Sek ausgeschlossenBarbara Heeb, die je zwei ältere Schwestern und Brüder hat, las immer gern. Es war für sie «das Selbstverständlichste der Welt». Sie schreibt auch seit der Jugendzeit – Geschichten und Gedichte. Sie erinnert sich, wie an der Lehrabschlussfeier ihr Aufsatz vorgelesen wurde, dass sie ziemlich stolz war, und die Eltern auch. Das sind Vater Robert (83) und Mutter Margrit (84), die in Plona leben. Der Vater hatte ihr von den Geschäftsreisen häufig Bücher mitgebracht. Die Mutter, sagt sie, könne sehr gut dichten.Barbara Heeb war als Kind viel draussen, oft im Wald, ihrer Fantasie überlassen. Der Schulweg war einsam und lang. Statt nach der Schule mit den anderen zu spielen, hiess es, loszutrotten. Mit der aufgezwungenen Entbehrung war die Befürchtung verbunden, nicht wirklich dazuzugehören. Weil sie in der Sek umso mehr eine der Coolen sein wollte, «war Lernen schon mal völlig ausgeschlossen, denn Lernen war per definitionem uncool».Als Jugendliche kannte sie nur zwei GefühleObschon sehr fantasievoll, kreativ sowie mit einer Schreib- und Leselust gesegnet, war Barbara Heeb eine schulische Spätzünderin. Matura mit 27, Typus B Latein, ein Studium in Philosophie sowie den Nebenfächern Filmwissenschaft und neuzeitlicher Geschichte mit dreissig plus. Als die Autorin um die zwanzig war, hatte ein Freund ihr Allgemeinwissen als «doch eher bescheiden» bezeichnet. Sie erinnert sich: «Das hat gesessen.» Und es brodelte in ihr, bis sie nach Jahren den Mut aufbrachte, sich und anderen zu sagen: «Jetzt hole ich die Matura nach. Ich kann das.»Erschwerend war in ihrer Jugendzeit dazugekommen, dass Barbara Heeb sich unsterblich in jemanden verliebte, der sie «leider nicht zurückliebte». Das erlebte sie «als grosses Unglück», warf sie «sicher für zwei Jahre aus der Bahn». Als Jugendliche kannte sie nur zwei Gefühle: Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. «Sehr anstrengend», ist heute ihr Kurzkommentar.Die Angst, nicht dazuzugehören, konnte die Rheintalerin ablegen, als sie ins Ausland ging – zunächst, mit zwanzig, für ein halbes Jahr nach Amerika, als Au-pair.In ihrer Gegend steckt ein bisschen RheintalMit 35 ging es plötzlich schnell: Mann kennengelernt, Geburt der Tochter Stella, Geburt des Sohnes Malte, Umzug nach Italien – das alles in drei Jahren. Vor dem 40. Geburtstag schloss die Plonerin die erste Masterarbeit an der Uni Zürich ab. Sie schrieb jetzt intensiv, 2014 übersiedelte die Familie nach Holland, wo von 2015 bis 2017 der nun publizierte Roman «Die Sublimen» entstand. (Die zweite Masterarbeit – Höheres Lehramt für Deutsch als Fremdsprache – schloss sie 2019 in Amsterdam ab.)In Holland verspürte Bar­bara Heeb anfangs Heimweh. Nach den Bergen. «Der Hohe Kasten stand ja bei uns quasi im Garten.» Immer wieder stellt sie fest, wie unkompliziert das Leben im Rheintal doch ist. Irgendwo ein Feuer zu entfachen und eine Wurst zu braten, sowas «gibt es weder in Italien noch in den Niederlanden». Barbara Heeb lebt in einer Gegend, deren Bewohnerinnen und Bewohner sie ein bisschen an daheim erinnern. Eigenwillig, bodenständig seien sie, sehr herzlich – «und wahnsinnig stolz auf Dialekt und Herkunft».99 Gründe, glücklich zu seinZur Frage nach literarischen Vorbildern und früher bevorzugten Romanen meint Barbara Heeb: «Ich würde gerne sagen, ich hätte als Zwölfjährige schon Dostojewski verschlungen.» Tatsächlich war die Detektivin Trixie Belden ihre Heldin, auch an der Buchreihe «Die fünf Freunde» fand sie Gefallen. Doch ihr «absolutes Lieblingsbuch», das war «Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer» von Michael Ende. Später gefielen ihr Camus, Frisch, Dürrenmatt.Der Witz in den satirischen Dürrenmatt-Stücken führte dazu, dass sie sich totlachen konnte, heute bringt sie als Autorin selbst zum Lachen, jedenfalls zum Schmunzeln – mit ihrem Blog Larapalara. In diesem Blog ist der siebenundzwanzigste von neunundneunzig Gründen, glücklich zu sein, das Werk des Schriftstellers Tom Robbins. Barbara Heeb schreibt: «Früher wohnte er in einem Baumhaus in Seattle und ich denke manchmal: Himmel Herrgott, wenn ich in einem Baumhaus in Seattle leben würde, könnte ich vielleicht auch so schreiben!» Projekte hat sie mehrere; eine Roadstory sieht sie im Vordergrund.Viel Wissen, das Barbara Heeb sich angeeignet hat, war nicht direkt verwertbar. Indem ein Wunsch für ihre Kinder sich darauf bezieht, spannt dieser Wunsch auch einen Bogen zum Roman. Sie sagt: «Ich hoffe, dass meine Kinder später den Mut finden, zu tun, was sie glücklich macht, und nicht, was die Gesellschaft von ihnen erwartet.» Vielleicht werden sie einmal in einem Baumhaus wohnen.HinweisBarbara Heeb: «Die Sublimen». Roman. 276 Seiten. Books on demand. Als Taschenbuch oder e-Book. 

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