25.05.2022

Die Schnellstrasse kommt noch langsamer

Die Verbindung zwischen den beiden Autobahnen beidseits des Rheins ist in der Schwebe: Wien prüft neue Varianten, St. Gallen sistiert die Planung folglich bis Ende 2022.

Von Marcel Elsener
aktualisiert am 02.11.2022
Die S18, die Vorarlberger Schnellstrasse als leistungsstarke Verbindung zwischen den Autobahnen A14 und A13 auf beiden Seiten des Rheins, ist längst zum Synonym einer unendlichen Geschichte geworden. Seit bald 60 Jahren wird die Ost-West-Achse zwischen dem Vorarlberger und dem St. Galler Rheintal bereits geplant. Während die grenzüberschreitende Region mit ihrer Bevölkerung von über 320  000 Personen unbestritten zu den dynamischsten Regionen Europas gehört, rollen Tausende Lastwagen täglich nach wie vor durch die Dörfer, als wäre die Zeit in den 1960ern stehen geblieben.Und immer, wenn der Bau der S18 einmal greifbar erscheint, passiert eine Wendung, die das Projekt wieder zum Phantom werden lässt. Zuletzt schien eine Realisierung im Herbst 2020 in Sicht, als die österreichische Strassenbaugesellschaft Asfinag nach langen Untersuchungen einen Variantenentscheid fällte. Gebaut werden sollte jene Strecke, die von Dornbirn-Süd am östlichen Siedlungsrand von Lustenau nach Höchst und St. Margrethen führt – und nicht jene, die von Dornbirn-Nord mitten durchs Riet verliefe. Somit werde das Naturschutzgebiet weniger beeinträchtigt und seien die Genehmigungschancen gross.Kopfschütteln über Stopp der Ministerin in WienZwar hatten die Vorarlberger die andere Variante bevorzugt, doch akzeptierten sie den Entscheid und erwarteten, dass die Planerei mit dem 1,5 Milliarden-Euro-Projekt endlich fruchten würde. Allerdings war der Aufschrei just in Lustenau gross: In der Gemeinde, die am meisten über den Ortsverkehr stöhnt, protestierten sowohl der ÖVP-Bürgermeister als auch die Grünen sowie eine Bürgerinitiative gegen die «Hiobsbotschaft», die noch mehr Verkehr bringe.Ein halbes Jahr später, im Sommer 2021, pfiff Wien die Planer zurück: Die grüne Umwelt- und Mobilitätsministerin Leonore Gewessler beurteilte die gewählte Variante negativ und wollte Alternativen wie eine kürzere Autobahnverbindung über die Rheininsel in Diepoldsau prüfen lassen, im Nationalrat fand sich eine Mehrheit für einen sogenannten Entschliessungsantrag. In Vorarlberg war man konsterniert, in Wirtschaftskreisen gar entsetzt – von Verzögerungs- und Verhinderungstaktik war die Rede. Zu befürchten sei, dass die S18 am Ende wie die umstrittene Wiener Aussenring-Schnellstrasse mit dem Lobautunnel abgesagt werde.«Wir hängen seit zehn Jahren in Evaluierungen und man fragt sich, was da noch evaluiert werden soll», sagt der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner gegenüber dem Wiener «Kurier». «Wir sollten keine Zeit verlieren. Denn die Verbindung der beiden Autobahnen ist ein langjähriges Interesse der Bevölkerung im gesamten Rheintal. Es gibt Tausende Menschen, die auf eine Entlastung warten. Ein Stopp wäre ein schwerer Schlag ins Gesicht für die Bevölkerung, der man die Belastung nicht mehr länger zumuten kann.»Schweizer sistieren Projekt im mittleren RheintalDerweil in dieser Woche der erste Workshop des Planungsteams auf der Suche nach Alternativen stattfindet, ist die Konsternation auf den unerwarteten Bescheid aus Wien auch auf Schweizer Seite spürbar. Vor einem Jahrzehnt habe man im konsensorientierten Planungsverfahren «Mobil im Rheintal» rund 25 mögliche Korridorvarianten für eine wirksame Verbindung der beiden Rheintal-Autobahnen geprüft, sagt Reto Friedauer, Präsident Verein Agglomeration Rheintal und St. Margrether Gemeindepräsident. «Ich kann mir nicht vorstellen, wie plötzlich eine neue bessere Variante auftauchen soll.» Auch Kantonsingenieur Marcel John vermutet eine «Alibiübung», zumal «alle Prüfungen längst gemacht worden» seien. Das Liebäugeln des Wiener Ministeriums mit einer Autobahnverbindung im mittleren Rheintal bezeichnen die Schweizer als «Missverständnis», denn die habe «praktisch keinen Einfluss» auf den Verkehr im Raum der geplanten S18. Der Hauptstrom fahre auf der Achse Zürich-St. Gallen-München und würde einen Umweg über Diepoldsau nicht in Kauf nehmen.Für seine Planung im Mobilitätskorridor Mittleres Rheintal musste der Verein Agglomeration Rheintal aufgrund der verwischten Projektgrenzen nun einen Zwischenhalt mit Ende 2022 einlegen, wie er im März mitteilte. Bei den untersuchten Varianten im Raum Diepoldsau-Hohenems handle es sich um Kantons- oder Landesstrassen und beschränkte man sich in der bautechnischen Studie für einen Tunnel auf den Grundwasserschutz. Verkehrstechnische, städtebauliche und umweltrechtliche Aspekte wurden nicht untersucht. Die Netzergänzungen im mittleren Rheintal könnten eine leistungsfähige Autobahnverbindung nicht ersetzen, heisst es.Das zweite grosse Infrastrukturprojekt im Rheintal ist der Ersatz der Rheinbrücke zwischen Au und Lustenau, die am Ende ihrer Lebensdauer ist. Zwar berührt die neue S18-Alternativenprüfung auch Inhalte des Brückenersatzprojekts, doch müsse diese Planung weiterlaufen. Der Bürgermeister von Hohenems betont jedoch immer wieder, dass die Brücke mit täglich 14  500 Fahrzeugen, darunter über 1000 Lastwagen, nicht ohne entlastende Massnahmen geplant werden dürfe.Derzeit könne man nur zuwarten, was die von Wien geforderte Alternativenprüfung ergebe, sagen Friedauer und John. Oder wie es in der Mitteilung des Vereins heisst: «Ende 2022 herrscht grössere Klarheit darüber, wie die beiden Rheintalautobahnen A13 und A14 verkehrswirksam miteinander verbunden und die Ortsdurchfahrten entlastet werden können. Das laufende Projekt Mobilitätskorridor Mittleres Rheintal wird deshalb sistiert.» Der Prozess sollte bis Ende Jahr abgeschlossen sein, bestätigt das Asfinag. Parallel dazu laufen die Arbeiten zur gewählten S18-Variante «in Richtung eines einreichfähigen Projekts» weiter. Damit sei eine «ergebnisoffene Evaluierung gewährleistet».Die Schnellstrasse und das HochwasserprojektFreude herrscht derzeit nur bei Umweltpolitikern und bei der Bürgerinitiative «Lebensraum Zukunft Lustenau», die eine Alternativenprüfung einer kurzen Autobahnverbindung mit begleitenden Massnahmen im niederrangigen Strassennetz als «lobenswerten ersten Schritt zur jahrzehntealten S18» begrüsst. Ganz anders die Industriellenvereinigung (IV) Vorarlberg, deren Präsident Martin Ohneberg der «Frau Ministerin Gewessler» eine verzögernde und verunsichernde Politik vorwirft: «Ihr Handeln schadet nicht nur dem Vorarlberger Wirtschaftsstandort, sondern auch dem Klimaschutz, unter dessen Deckmantel sie ihr Vorgehen rechtfertigt.»Auf Schweizer Seite ärgern sich vor allem SVP-Politiker über den Entscheid in Wien. Aufgrund des «unheilvollen Wirkens der Mobilitätsministerin» herrsche das «nackte Planungschaos», wettert der Rheintaler Nationalrat Roland Rino Büchel im Magazin «Leader». Allerdings habe Gewessler das «Desaster» nicht allein zu verantworten: «Für Unvernunft braucht es keine Grünen. Ineffizienz schaffen wir auch ohne die, scheint das Motto bei den Bürgerlichen auf beiden Seiten des Rheins zu sein. Seit Jahrzehnten, übrigens.»«Dass ein solch wichtiges Projekt wie die S18 in einer führenden Wirtschaftsregion Europas seit Jahrzehnten politisch verzögert wird, ist äusserst bedauerlich», stellt Büchels Fraktionskollege Mike Egger in einer Interpellation fest. Während beim Hochwasserschutzprojekt Rhesi die Planung voranschreite, gibt es bei der Planung der S18 «einmal mehr praktisch keine Fortschritte». Egger fragt den Bundesrat, ob er bereit sei, die Verhandlungen mit Österreich über den Staatsvertrag zum Hochwasserschutzprojekt mit dem Projekt S18 zu verknüpfen.Der parteilose Agglo-Rheintal-Präsident Reto Friedauer hält dies für «eine sehr schlechte Idee». Man dürfe die beiden «hochkomplexen Projekte» nicht verknüpfen: «Rhesi und S18 gehören nicht zusammen.» In ähnlichem Sinn hat die St. Galler Regierung unlängst eine Interpellation der SVP-Kantonsräte Walter Freund und Markus Wüst beantwortet: «Das Ausbauprojekt der IRR und das Projekt ‹Bodensee Schnellstrasse S18› werden unabhängig voneinander realisiert. Allfällige Schnittstellen wurden und werden laufend bereinigt. Eine Verknüpfung der beiden Projekte ist weder sinnvoll noch erforderlich.» Jedoch werde sich die Regierung in den Gesprächen mit dem Bund und mit dem Land Vorarlberg dafür einsetzen, dass beide Projekte «möglichst rasch» umgesetzt würden.Einstweilen bleibt beim 60-jährigen Stummel in St. Margrethen nur das Warten auf den Anschluss. Für das nördliche Alpenrheintal sei die S18-Nachfolgelösung zentral, betont Reto Friedauer noch einmal: «Sie ist tragender Pfeiler eines funktionierenden Verkehrssystems in diesem Raum.» Allein die Federführung liegt beim Land Vorarlberg – und hängt von der Regierung in Wien ab, wie man jetzt weiss.

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