08.06.2022

«Die Risiken haben zugenommen»

Inmitten struber Zeiten hat das Verwaltungsratspräsidium der Rheintaler SFS Group von Heinrich Spoerry zu Thomas Oetterli gewechselt.

Von Interview: Thomas Griesser Kym
aktualisiert am 02.11.2022
Herr Spoerry, mit Ihrem Rücktritt als Verwaltungsratspräsident der SFS Group hat Ihre langjährige Karriere im Unternehmen geendet. Mit welchen Emotionen?Heinrich Spoerry: Es ist nicht einfach, loszulassen, deshalb schwingt etwas Wehmut mit. Aber ich verspüre eine grosse Gelassenheit und Dankbarkeit, denn ich weiss, SFS ist in guten Händen beim Verwaltungsrat unter dem Präsidium meines Nachfolgers Thomas Oetterli und beim Managementteam um Konzernchef Jens Breu.[caption_left: Bleibt SFS «freundschaftlich und als Aktionär» verbunden: Heinrich Spoerry. (Bild: Reto Martin)]Was haben Sie Thomas Oetterli mit auf den Weg in sein neues Amt gegeben?Spoerry: Ich habe ihm geschildert, was wichtig ist aus meiner Sicht. Dazu zählt unsere Unternehmenskultur. Sie ist einfach, unkompliziert, ehrlich, offen, transparent und kundenorientiert, aber auch fehlertolerant. Auf diesen Grundsätzen fusst die innere Stärke von SFS. Aber Ratschläge meinerseits braucht Thomas Oetterli nicht. Schliesslich ist er seit elf Jahren Mitglied unseres Verwaltungsrats, und dieser tagt jeweils intensiv.Thomas Oetterli: Ein Vorteil ist auch, dass ich seit dem Börsengang von SFS im Mai 2014 Leiter des Audit Committees bin. So bin ich noch stärker im Verwaltungsrat eingebunden und habe vertieft Einblick ins Unternehmen. Zudem habe ich ein sehr gutes Einführungsprogramm in mein neues Amt durchlaufen. Dabei habe ich während vier, fünf Monaten viel von Heinrich Spoerrys reicher Erfahrung und Historie aufgesogen.Was hat Sie denn bewogen, das Verwaltungsratspräsidium zu übernehmen?Oetterli: Ich habe über die Jahre SFS als fantastisches Unternehmen kennen gelernt. Die hohe Kompetenz, das Kunden- und Leistungsversprechen, das un­ternehmerische Denken – es ist diese Unternehmenskultur, die ich so sehr schätze.Drei Monate nach der SFS-Ankündigung im Oktober 2021, Sie als neuen Präsidenten zu nominieren, sind Sie als Chef des Lift- und Fahrtreppenherstellers Schindler zurückgetreten. Umgehend kamen Vermutungen auf, Sie seien entlassen worden, was Sie dementiert haben. Warum sind Sie gegangen?Oetterli: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, und die Übernahme des SFS-Präsidiums war auch mit dem Schindler-Verwaltungsrat abgesprochen. Nach vielen Jahren in der Schindler-Konzernleitung, davon sechs Jahre als CEO, habe ich mir aber die Frage gestellt, ob ich noch genug Energie aufbringe, um ein weiteres Transformationsprogramm zu lancieren und die Leute dafür zu motivieren. Ich habe diese Frage für mich mit Nein beantwortet. Das jüngste Schindler-Programm soll bis 2023/24 laufen, und ich bin zur Überzeugung gelangt, dass ein Wechsel an der Konzernspitze besser am Anfang des Programms steht statt in der Mitte.Analysten urteilten, Schindler habe sich seit längerem unterdurchschnittlich ent­wickelt und schlechter als Konkurrenten wie Kone oder Otis. Vieles deute auf tiefer sitzende Probleme hin. Was sagen Sie dazu?Oetterli: Ich finde, Schindler hat sich sehr gut entwickelt. Aber natürlich ist das Unternehmen schwer getroffen worden vom Umfeld mit steigenden Rohmaterialpreisen oder Problemen in den Lieferketten. Zumal China ein sehr wichtiger Markt ist.Hat Ihr Abgang bei Schindler Vorteile für Ihr Amt als SFS-Präsident?Oetterli: Ich habe mich intensiver auf das SFS-Präsidium vorbereiten können.[caption_left: «Fantastisches Unternehmen»: Verwaltungsratspräsident Thomas Oetterli über die SFS Group. (Bild: Reto Martin)]Wo wollen Sie als Präsident erste strategische Impulse setzen?Oetterli: Ein Thema ist, dass ich im Verwaltungsrat meine Managementerfahrung aus meiner Schindler-Zeit in Deutschland und China verstärkt einbringen möchte, etwa mit Inputs betreffend landesspezifische Eigenheiten im Umgang mit Kunden und anderen Geschäftspartnern. Beides sind sehr wichtige Märkte für SFS. Ein zweites Thema ist, die Strukturen von SFS punktuell zu ergänzen. Mit der Übernahme der deutschen Werkzeughändlerin Hoffmann SE erreicht die SFS Group eine Grösse, bei der das eine oder andere weiter professionalisiert werden muss. Ich denke etwa an die Rekrutierung von Fachkräften oder die Entwicklung des Managementnachwuchses. Wir haben so viele Leute, da kann man nicht mehr alle persönlich kennen. Deshalb wird es immer anspruchsvoller und wichtiger, Talente identifizieren und fördern zu können.Spoerry: Nächstes Jahr wird Hoffmann SE erstmals für ein volles Jahr konsolidiert. Dann wird der Umsatz der SFS Group, der vergangenes Jahr rund 1,9 Milliarden Franken betrug, in der Grössenordnung von 3 Milliarden Franken liegen. Das ist ein enormer Wachstumssprung. Dafür muss SFS die Strukturen richtig aufstellen und auch Doppelspurigkeiten vermeiden.Keine Bedenken, dass bei der Hoffmann-Integration etwas schieflaufen könnte?Spoerry: Nein. SFS und Hoffmann pflegen seit über 20 Jahren eine Partnerschaft. Wir kennen das deutsche Unternehmen gut, die Firmenkulturen passen zusammen. Der grosse Vorteil ist: SFS ist mit ihrer Division Distribution und Logistik auf die Schweiz fokussiert, mit Hoffmann können wir das Handelsgeschäft internationalisieren und mit einer starken Position in Europa besser absichern. Zumal Hoffmann in Nürnberg in ein Logistikzentrum der Weltklasse investiert hat.Zur Finanzierung der Hoffmann-Übernahme hat SFS eigene Aktien und Barmittel verwendet, aber auch zwei Anleihen über 400 Millionen Franken ausgegeben. Wie will man mit diesen Schulden verfahren?Spoerry: Unser Ziel ist es, diese Fremdmittel wieder abzubauen und die Anleihen zurückzuzahlen. Schon beim Kauf der asiatischen Unisteel im Jahr 2012 hatten wir uns erheblich verschuldet. Mittlerweile haben wir den Kaufpreis dieser übrigens sehr erfolgreichen Akquisition wieder eingespielt. Bei Hoffmann sind die Risiken geringer als bei Unisteel, weil uns Hoffmann als deutsches Unternehmen nähersteht und uns bekannter ist.Wie beurteilen Sie den Zustand von SFS und die Aussichten?Spoerry: SFS war nicht immer ganz krisenfrei, aber wir haben die vergangenen Jahre gut durchlaufen. Momentan ist natürlich das externe Umfeld problembehaftet, mit drohenden Handelskriegen, den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs, gestörten Lieferketten oder dem Anstieg vieler Kosten und der Inflation. Kurz: Die Situation ist herausfordernder, als wir noch im vergangenen Herbst angenommen haben.Im März zeigte sich SFS-Chef Jens Breu noch zuversichtlich für das SFS-Geschäft. Ist diese Gelassenheit inzwischen etwas gewichen?Oetterli: Dazu sehen wir noch keinen Anlass. Das kann sich natürlich ändern, Prognosen sind noch nie so schwierig gewesen wie in diesen Zeiten. Trotz Erschwernissen rechnet SFS ohne Hoffmann für dieses Jahr weiterhin mit einer betrieblichen Marge auf Stufe Ebit von 13 bis 16 Prozent des Umsatzes. Vor Konsolidierung von Hoffmann erwarten wir unverändert ein Umsatzwachstum von 3 bis 6 Prozent. Zusätzlich wird aus der Konsolidierung von Hoffmann für die letzten acht Monate des laufenden Jahres ein Umsatzeffekt von 720 bis 770 Millionen Franken erwartet.Obwohl auch bei SFS das Geschäft als Autozulieferer harziger läuft als erwartet und budgetiert?Spoerry: Das ist so. Dafür entwickeln sich die anderen Divisionen entlang der Erwartungen und kompensieren so die Einbussen der Division Automotive. Hier zeigt sich der Vorteil der breiten Diversifizierung von SFS mit Produkten und Kunden in verschiedenen Industrien.Oetterli: Dabei helfen SFS auch die Akquisitionen über die vergangenen 15 Jahre. Dank dieser Zukäufe ist SFS nicht nur stark in Europa, sondern auch in Asien und Amerika.Spoerry: Unsere Geschäftspolitik, Produktionsstandorte in jenen Märkten aufzustellen, die wir bedienen, bewährt sich. Nicht nur wünschen das viele Kunden, sondern es führt zu kurzen Transportwegen und damit zur Reduktion von Logistikproblemen. Natürlich hat eine dezentrale Produktion auch ihren Preis. Aber sie macht uns robuster.Oetterli: Eine lokale Produktion bietet Schutz vor geopolitischen Verwerfungen, auch vor Handelskriegen und Protektionismus. Unsere Lieferzuverlässigkeit ist hoch. Das ermöglicht uns auch, Preiserhöhungen wegen steigender Kosten etwa für Rohmaterialien oder Energie weiterzugeben.Spoerry: Einer unserer grössten Kunden in Asien hat einmal gesagt: SFS ist am teuersten, aber in puncto Schnelligkeit, Verlässlichkeit und Innovationskraft am besten.Am Hauptsitz in Heerbrugg hat SFS eine neue Produktionshalle für die Division Automotive gebaut. Rück­blickend ein Fehler angesichts der Lieferkettenprobleme der Autoindustrie?Oetterli: Keineswegs. Die neue Halle ist richtig und wichtig. Wir denken langfristig. Dank unserer Innovationskraft haben wir neue Präzisionskomponenten und Baugruppen entwickelt, und die sind von unseren Kunden bestellt worden. Für die neuen Produkte brauchen wir neue Maschinen und dazu den Platz in der neuen Halle.Spoerry: Die Probleme der Autoindustrie rühren ja beispiels­weise vom globalen Mangel an Halbleitern her. Oder dass als Folge des Kriegs die Kabelbäume aus der Ukraine fehlen. Deshalb kann die Autoindustrie weniger Autos produzieren, als geplant waren und nachgefragt sind, und deshalb können auch wir gegenwärtig weniger Teile liefern.Oetterli: Sobald das Geschäft zurückkommt, werden unsere Produktionshallen aus allen Nähten platzen. Aber klar: Eine Lösung gibt es nicht über Nacht. Dieses Jahr wird im Autogeschäft ein schwieriges Jahr.SFS baut momentan auch die Produktion im chinesischen Nantong weiter aus. Kritiker warnen, China könnte das neue Russland werden.Oetterli: Die Investitionssicherheit in China ist geringer als vor zehn Jahren, die Risiken haben zugenommen, das stimmt. Aber: Früher haben Firmen China vor allem als Produktionsstandort gesehen, um von dort in alle Welt zu exportieren. Das birgt grössere Risiken, als wenn man wie wir in China den Bedarf für den chinesischen Markt und für andere asiatische Länder produziert. So können wir die Risiken besser managen.[caption_left: Im Gleichschritt: Thomas Oetterli (links) und der langjährige SFS-Patron Heinrich Spoerry. (Bild: Reto Martin)]Herr Spoerry, wie bleiben Sie SFS verbunden?Spoerry: Freundschaftlich und als Aktionär. Ein grosser Teil meines Vermögens ist in SFS investiert, und das bleibt auch so.Und was machen Sie mit dem Mehr an Freizeit, dass Sie nun nach Ihrer SFS-Zeit zur Verfügung haben?Spoerry: Ich werde sehr viel mehr Sport treiben als früher, möchte im Sommer noch ein paar 4000er in den Alpen besteigen und vermehrt kulturelle Anlässe besuchen. Und dann bin ich auch noch Grossvater.

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