28.02.2021

Die Poesie aus dem Schrank holen

Die Nationalbibliothek will das William-Wolfensberger-Archiv von der Kirche übernehmen und sichtbar machen.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Monika von der Linden Der Name William Wolfensberger dürfte manchem Passanten im Städtli auffallen. Eine Quartierstrasse trägt seinen Namen. Ausserdem ist dem Dichter auf der vom Rhytor ausgehenden Fischmeile ein im Boden eingelassenes Wappentier Rheinecks gewidmet.William Wolfensberger war 1916 als reformierter Pfarrer nach Rheineck gekommen. Der damals 26-Jährige hatte seine Pfarrstelle im Münstertal fluchtartig verlassen. Er hatte sich in vielerlei Hinsicht für die Gemeinde verdient gemacht und trug ihr Ehrenbürgerrecht. Als der Theologe sich aber für die Einführung der Steuerprogression einsetzte, mit der die kleine Gemeinde ihre hohen Schulden hätte tilgen können, ging das den Menschen dort zu weit. Der Pfarrer starb an der Spanischen Grippe«William Wolfensberger war in Rheineck ein geschätzter Seelsorger», sagt sein Grossneffe Peter Wolfensberger. «Er war ein total revolutionärer Pfarrer und bekämpfte den Amtsschimmel lebenslänglich.» Der Theologe brachte seine Gedanken mit volksverbundener Poesie zu Papier. «Leider schaute er aber zu wenig zu sich selbst und starb am Samichlaustag 1918 an der Spanischen Grippe. Peter Wolfensberger aus Chur und Peter Kamm aus Schwanden, ein weiterer Grossneffe, befassen sich mit der Hinterlassenschaft des Dichters. Sie besteht aus dem Literaturarchiv und der persönlichen Bibliothek. Letzteres enthält die Notizen des Dichters und ist in Peter Kamms Besitz. William Wolfensberger publizierte zu Lebzeiten nur einige Geschichten. Die Hauptausgaben des literarischen Werkes veröffentlichte die St. Gallerin Berta Reiser nach seinem Tod. Sie war Vertraute und werdende Mäzenin des Dichters und beerbte ihn. Sie wiederum vermachte der Reformierten Kirchgemeinde Rheineck das literarische Archiv. Es lagert in einem Stahlschrank im Kirchgemeindehaus. «Es ist nicht schön strukturiert und teilweise in einem desolaten Zustand», sagt Peter Wolfensberger. Es müsse restauriert und katalogisiert werden.Die Grossneffen möchten die Verbreitung des gesamten WW-Werkes fördern und haben in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Bern einen möglichen Partner gefunden. Die Nationalbibliothek hat Interesse bekundet, die getrennten Werke William Wolfensbergers zu vereinigen, fachgerecht zu konservieren und aufzubewahren. Ausserdem will sie das Inventar digital erfassen und für alle Interessierten sichtbar machen. Der auf nationaler Ebene zu Unrecht in Vergessenheit geratene Dichter könnte zurück ins Blickfeld der Forschung rücken.Die Leistungen der Nationalbibliothek bräuchte die Kirchgemeinde nicht zu bezahlen. «Der ideelle Wert ist so gross, dass das Literaturarchiv der Eidgenossenschaft die Kosten zu hundert Prozent tragen würde», sagt Peter Wolfensberger. Im Gegenzug müsste die Kirchgemeinde jedoch das Eigentum übertragen und das Archiv abgeben. Es würde in den Bundesbestand aufgenommen und dort gelagert. Die Nationalbibliothek stellt in Aussicht, vereinzelte Faksimiles (Manuskripte und Briefe) sowie die Leihgaben von Doppeln (Buchex-emplaren) herzustellen. Diese könnten in Rheineck museal ausgestellt werden. Peter Wolfensberger und Peter Kamm würden den «WW-Pool», ein privater Fonds in Höhe von etwa 10000 Franken, beisteuern.Eigentümerin trägt die VerantwortungDas Projekt ist so weit vorbereitet, dass die Vorsteherschaft es der Gemeinde an der Bürgerversammlung Ende März unterbreitet. Die Stimmbürger befinden, ob der Vorstand mit der Nationalbibliothek einen Vertrag aushandelt. Dieser würde der Gemeinde als Eignerin des Archivs erneut zur Abstimmung vorgelegt.«Die Kirchgemeinde sollte abwägen, ob das WW-Werk katalogisiert und sichtbar wird, oder es in ihrem Eigentum verbleibt», sagt Peter Wolfensberger. Die von der Nationalbibliothek signalisierte Bereitschaft sei eine einmalige Gelegenheit. Sollte die Kirchgemeinde den Antrag des Vorstandes ablehnen, bewahrte sie das literarische Archiv in Rheineck. Sie behielte aber auch die Verantwortung und müsste es aufarbeiten, pflegen sowie die Kosten tragen. «Was heute nicht digital sichtbar ist, ist unsichtbar», sagt der Grossneffe. Denkbar wäre auch ein touristischer Nutzen. Man könnte eine Tafel auf der Fischmeile mit einem QR-Code versehen und zum WW-Werk in der Nationalbibliothek verlinken. HinweisDie Vorversammlungen sind am Freitag, 19. März, 19 Uhr und am Sonntag, 21. März, 9.30 Uhr, im Kirchgemeindehaus. Eine Anmeldung ist nötig. Peter Wolfensberger stellt das Projekt vor. Die Bürgerversammlung ist am Sonntag, 28. März, um 11 Uhr in der Turnhalle Kugelwis.

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