03.03.2021

Die Not macht diese Unternehmer erfinderisch

Die Pandemie nahm vielen Aufträge und Arbeit. Manche Unternehmer machen daraus das beste – und ziehen sogar ein neues Business auf.

Von seh
aktualisiert am 03.11.2022
Vom Messegelände in den StallRaphael und Simon Büchel Seit November gehen im Verkaufslokal in Kriessern regelmässig Pakete über die Theke von «Ferdinand Beef». Gefüllt sind sie wahlweise mit zweieinhalb, fünf oder zehn Kilo Rindfleisch von Tieren, die auf dem wenige hundert Meter entfernten Altwies-Hof gehalten und von einem Metzger in Heiden verarbeitet wurden. Die Pakete enthalten aber nicht nur Filet oder Entrecôte, sondern fast alles, was das Rind hergibt. «Nose to tail» heisst das Konzept der Gebrüder Büchel, «von der Nase bis zum Schwanz», was bedeutet, dass das komplette Tier verwertet wird.  Kurze Wege, tierfreundliche Haltung, bewusster Fleischkonsum, gepaart mit einem hippen Branding: Die Idee treibt die Brüder schon lange um, doch erst mit Beginn der Pandemie liess sich das Business konkretisieren, zumal sowohl Zeltbauer Raphael Büchel als auch Rhema-Messeleiter Simon Büchel von heute auf morgen keine Arbeit mehr hatten – abgesehen von ihren kleinen Pensen auf dem familieneigenen Altwies-Hof. Der Name des Fleischlabels rührt auch daher, erklärt Simon Büchel: «Unsere Familie mütterlicherseits nennt man liebevoll ‹d’Ferdinändler›, dies in Anlehnung an unseren Urgrossvater Ferdinand Hutter. Ferdinand steht aber auch für die Sehnsucht nach der guten alten Zeit – und tönt halt einfach besser als ‹Büchel Beef›.» Nachdem Personen aus dem Umfeld zu den ersten Abnehmern zählten, ist die Kundschaft innerhalb weniger Wochen gewachsen, und das bis über die Kantonsgrenzen hinaus. Von den jährlich mehreren Dutzend Rindern, die der Altwies-Hof grossen Viehvermarktern verkauft, wurden inzwischen vier Tiere unter dem Label «Ferdinand Beef» direktvermarktet. Hauptsächlich über den Ladentisch, seltener über den Onlinehandel. Noch investieren die Brüder die Einnahmen in Kühlschränke, Etiketten und Verpackungen. Als Marketing-Fachmann spricht Simon Büchel aber schon jetzt von einer ganzen «Ferdinand-Welt»: Rezepte, Gewürzmischungen und Beef Jerky als Ergänzung des Sortiments seien nur der Anfang. Erst kürzlich haben die Brüder eine Wild-Linie lanciert, und so Corona will, möchten sie mit den Produkten bald Messen, Märkte und Food-Festivals besuchen. Denn obschon Raphael und Simon Büchel spätestens dann wieder in ihren alten Jobs tätig sein werden, soll das Fleischgeschäft irgendwann vom Hobby zum Nebenerwerb wachsen.Tanzkurse vor dem BildschirmArina Bertényi Jeden Donnerstagabend stellt Arina Bertényi den Laptop auf einen Stapel Bücher, sodass die Webcam ungefähr Kniehöhe erreicht. Die Musik dreht sie besonders laut, damit sie durch das Mikrofon bis zu den Teilnehmerinnen ihres Online-Tanzkurses dringt. Je nach Niveau sind es zwischen zehn und 70, die sich in die Zoom-Klasse einwählen und über die Videokonferenz die neuste Choreografie lernen.Den Spiegelsaal hat Arina Bertényi vor einem Jahr gegen den Keller ihres Elternhauses getauscht – kurz nachdem sie sich als Tanzlehrerin und Influencerin selbstständig gemacht hat. «Auch für Kinder, die ich sonst unterrichte, habe ich zu Beginn der Krise Videos aufgenommen. Ich merkte aber schnell, dass das Interesse verflog.» Bis heute Bestand hat hingegen die Shuffle-Lektion, die sie sonst in der Widnauer Aegeten-Halle unterrichtet. Shuffle ist ein Tanzstil zu elektronischer Musik wie beispielsweise House; konzentriert man sich auf die Beine der Tänzer, so gleichen die Schritte Michael Jacksons Moonwalk, die Bewegungen des Oberkörpers wirken zufällig und trotzdem aufeinander abgestimmt. Arina Bertényi ist nicht nur landesweit eine Shuffle-Koryphäe, sie veranstaltet auch in Deutschland und Österreich Workshops, die vor allem bei jungen Frauen ankommen. Fast 60000 Personen folgen ihr auf Instagram, wo sie Ausschnitte ihrer neusten Choreografien veröffentlicht und die Lektionen bewirbt. «Shuffle ist ein anstrengendes Workout, gleichzeitig macht die Musik gute Laune», erklärt Arina den Erfolg des Tanzstils. Die Zoom-Klasse, die anfangs nur für ihre Schülerinnen in Widnau gedacht war, hat sie deshalb für alle Shuffle-Fans geöffnet. «Es ist schön, dass so viele mitmachen – gleichzeitig ist die Umsetzung etwas mühsamer als gedacht.» Mühsam vor allem deshalb, weil die Tanzlehrerin übers Internet nicht auf einzelne Teilnehmer eingehen kann und sich die Übertragung selbst bei der besten Internetverbindung zeitlich verzögert. Auch ein einfaches Bezahlsystem, das den Zugang zur Lektion nach der Überweisung der zehn Franken Kurskosten automatisch generiert, besitzt sie bisher nicht, was viel Bürokratie bedeutet. «Demnächst lösen wir das Problem auf meiner Website. Das wird die Arbeit enorm erleichtern.»Kaffeerösterei in der GarageMichael Kohler Einmal pro Woche steht  Michael Kohler in der Garage seiner Grosseltern in Widnau und röstet Kaffeebohnen von Farmen aus der ganzen Welt. Bis zu 400 Kilogramm füllt er dann jeweils gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern – Bruder Kevin Kohler und Gattin Jasmin Kohler – in recycelbare Verpackungen ab. Zu den Kunden von Blum Kaffee gehören vor allem Gastrobetriebe, die auf Kaffeekultur setzen. Denn der Ingenieur, der vor der Gründung seines Unternehmens in der Entwicklung eines Kaffeemaschinenherstellers gearbeitet hatte, vertreibt nicht nur Bohnen, er stellt für Gastronomen ganze Getränkekonzepte zusammen, die über den bekannten Café crème oder Cappuccino hinaus gehen. «Das können beispielsweise Kaffee-Cocktails sein, oder aber der cremig-kalte Nitro-Kaffee. Wir schulen das Personal auch in der Zubereitung», erklärt der Kaffee-Aficionado. Zusätzlich verkauft das Start-up über einen Partnerlieferanten im Wallis Kaffeemaschinen und ist somit auch Ansprechpartner, was die Technik angeht.  Gestartet ist Blum Kaffee Anfang 2020 – und das ziemlich vielversprechend. Doch die Schliessung von Restaurants machten ihm wie vielen anderen bald einen Strich durch die Rechnung. Auch der Onlineshop für private Konsumenten oder das Espresso-Tasting-Mobil, das er im Lockdown mit einem Studenten gebaut hat und damit im Sommer Events und Hochzeiten besuchte, vermochten die rückläufigen Bestellungen durch Restaurants nicht wirklich wettzumachen. Kohler blieb also nichts anderes übrig, als die schwierigen Monate zu überbrücken und sein Geschäftsmodell für die Zeit nach der Krise weiterzudenken. «Wir suchten nach einem System, mit dem wir den Kaffeesatz wieder in den Kreislauf bringen können», erklärt der Gründer.Inzwischen steht ein Prototyp: In den Kunststoffboxen, in denen die Kaffeepackungen geliefert werden, sollen Gastronomen den Kaffeesatz sammeln, aufbewahren und trocknen; anschliessend holen Kohlers  die gefüllten Kisten ab und züchten auf dem gewonnen Nährboden Pilze, die von den Restaurants wiederum zu Fleischersatzprodukten weiterverarbeitet werden können. «Falls es uns wirklich gelingt, eine kleine Pilzfarm aufzubauen, dürfte es in der Garage meiner Grosseltern bald etwas eng werden», gibt sich Kohler optimistisch.

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