Monika von der LindenEs ist der Tag vor Heiligabend. Der Föhn zieht durchs Rheintal und reisst die Wolken auseinander. Es ist mild, die Sonne zeigt sich zaghaft. Auf dem Friedhof hinter der Montlinger Pfarrkirche wischt Herbert Kühne Laub. Als er fertig ist, vermittelt der Gottesacker den Eindruck, dass sich jemand gekümmert hat. Herbert Kühne verlässt den Friedhof. Lange Jahre war er der Bestatter der Gemeinde. Vor zwei Jahren übergab er das Amt. Kristina Herrsche und ihr Mann Tristan sind seither die Bestatter in den Dörfern Montlingen, Eichenwies, Oberriet, Kriessern und Kobelwald. Sie sargen Verstorbene ein, begleiten deren Angehörige und Freunde durch die Zeit des Abschiednehmens. Die letzte Begegnung würdevoll gestaltenDie Trauergemeinde versammelt sich in einer Stunde um den Sarg. Bis dahin bereitet das Ehepaar die Abdankung vor. «Wir gestalten den Trauernden die letzte Begegnung mit dem Verstorbenen würdevoll», sagt Kristina Herrsche. «Wir hören den Hinterbliebenen zu, trösten sie und sprechen ihnen Mut zu, Abschied zu nehmen.»Letzteres ist gerade jetzt nötig, Nähe nur eingeschränkt erlaubt. Ist ein vertrauter Mensch einer Coviderkrankung erlegen, dürfen ihn selbst Nahestehende nicht berühren, ihm nicht über die Wange streicheln oder einen Abschiedskuss geben. Einzig bleibt ihnen ein Blick durch die Scheibe der Kühlkammer in der Aufbahrungshalle. «Ich rede mit den Verstorbenen, begleite sie auf ihrem letzten Weg, damit ihre Seele in den Himmel kommt», sagt die Christin.Die Bestatter schützen sich ebenso vor dem Coronavirus wie Pfleger. Bei jedem Kontakt mit dem Leichnam tragen sie Schutzkleidung – beim Waschen, Ankleiden und Einsargen. «Es fehlt mir, den Angehörigen mein Beileid über Berührungen mitzuteilen», sagt Kristina Herrsche. Stattdessen sucht sie engen Blickkontakt. «Ich gebe meine Energie über die Augen.» Jeder Handgriff der beiden ist routiniert und doch liebevoll. Vor der Abdankungshalle stellt Tristan Herrsche Stühle für die Familie bereit. Seine Frau drapiert ein Tuch auf einem Tisch. Auf ihm liegt später ein Herz aus Blumen. Auf den Schleifen sind Worte des Abschiedes und der Verbundenheit geschrieben. In der Abdankungshalle ist der Leichnam im Sarg gebettet. Nahestehende der verstorbenen Person hatten Gelegenheit zu einem ungestörten Besuch. Nun ist es Zeit, den Sarg aus dem Katafalk herauszunehmen und zu verschliessen. Kristina und Tristan Herrsche schieben ihn auf einem Roller aus der Aufbahrungshalle hinaus. Zu zweit heben sie den gewichtigen Sarg auf den Wagen.Eine schwere Arbeit. Manchmal trifft das auch im übertragenen Sinn zu. «Ich war auch schon zu Tränen gerührt», sagt Kristina Herrsche. «Jeder Todesfall ist traurig. Manchmal fühle ich mehr mit als sonst. Ich darf die Trauer aber nicht zu nah an mich heranlassen», sagt Tristan Herrsche. Das Paar redet viel miteinander und verarbeitet gemeinsam, was es bei der Arbeit erlebt. Besonders nahe geht es dem Bestatter, wenn junge Menschen sterben. In deutlicher Erinnerung sind ihm die Bestattung eines Zwanzigjährigen und die eines Babys. Als schön bezeichnet es Tristan Herrsche, dass er auch Bekannte und nähere Verwandte auf ihrem letzten Weg begleiten darf. Erst kürzlich tat er sowohl seinem Onkel als auch dem seiner Frau «noch einmal etwas Gutes».Der eigenen Seele Sorge tragenKristina Herrsche zeigte schon früh Interesse an diesem Beruf. Ihre Freundin war Herbert Kühnes Tochter. «Ich war neugierig und habe ihn begleitet», sagt sie. Als die Pensionierung des Bestatters näher rückte, fragte er die junge Frau als seine Nachfolgerin an. Das Paar überlegte, ob sie den Schritt wagen sollten. «Zuerst habe ich gedacht, ich kann das nicht», sagt Tristan Herrsche. «Doch dann habe ich das Talent in mir entdeckt.» Zwei Jahre später konnte es sich das Paar vorstellen. Zunächst unterstützten die beiden Herbert Kühne und bald wussten sie, sie fühlten sich auch der psychischen Belastung gewachsen. Kristina und Tristan Herrsche hatten ihre Liebe zum Beruf entdeckt. Seither empfinden sie ihn als erfüllend. Beide befürchten nicht, dass sie im Laufe der Jahre abstumpfen könnten. «Mit der Liebe und dem Gefühl wird es nicht weniger», sagt sie. «Manchmal habe ich Angst, dass meine Seele die Belastung über die Jahre nicht verkraften könnte.» Dann wird sie sich wieder ihrer Überzeugung bewusst, dass ihr Schöpfer ihr die nötige Kraft gibt, damit sie ihren Beruf ein Leben lang gut ausführen kann. Beide fühlen sich in die Menschen ein, ohne sich von der Trauer mitreissen zu lassen. «Sollte ich schlecht träumen, höre ich auf», sagt Tristan Herrsche. «Wir sind lebensfrohe Menschen», sagt Kristina Herrsche, «und machen mit den Verstobenen auch einmal einen Spass.» Sie spürten, was helfe und was störe. «Wir sehen das Leben als lebenswert an, haben täglich mit dem Tod zu tun.» Bestatter zu sein hat etwas Unberechenbares. Rund um die Uhr ist das Paar zum Einsatz bereit. Es wurde schon mitten in der Nacht zu einem polizeilichen Einsatz gerufen. «Wir sind auch dann gern für die Leute da», sagt Kristina Herrsche. Im November starben doppelt so viele Menschen wie sonst in einem Monat. Es ist schwer, bei wenigen Todesfällen von diesem Beruf zu leben. Eine Nebenbeschäftigung gleicht dies aus.Kirchenglocken machen den Abschied hörbarDie Totenglocke schlägt. Hörbar ist die Zeit des Abschieds da. Diakon und Ministranten schreiten von der Kirche zur Aufbahrungshalle. Die Trauergemeinde erweist dem Verstorbenen ihre Ehre, erinnert sich an Berührungspunkte mit ihm und spricht Gebete. Die Abdankung ist zu Ende. Die Glocken läuten zum Gottesdienst und ermuntern, den Blick auf das Leben zu richten. Währenddessen bereiten Kristina und Tristan Herrsche die Abdankung nach. Sie schieben den Sarg in den Leichenwagen und fahren zum Krematorium nach St. Gallen.