21.05.2022

Die Herisauer Herden-Sheriffs

Rechtzeitig auf Beginn der Alpsaison konnte Schafhalter Stefan Enzler zwei Herdenschutzhunde beziehen. Die Haltung der kräftigen Tiere ist anspruchsvoll und erfordert Verständnis von Nachbarn und Wanderern.

Von Karin Erni
aktualisiert am 02.11.2022
Karin Erni«Jade, Velino!», ruft Stefan Enzler den Hang hinauf. Doch die beiden weissen Hunde sitzen majestätisch am Waldrand und machen keine Anstalten, ihren Aussichtspunkt zu verlassen. Erst als ihr Meister eine Hand voll Futterwürfel auf den Boden streut, setzen sich die vierbeinigen Riesen in Bewegung und preschen im Galopp heran. Mit unmissverständlicher Körperhaltung machen sie den ebenfalls antrabenden Schafen klar, dass diese Leckerei ihnen allein gehört. Jade und Velino sind Herdenschutzhunde (HSH) der Rasse Montagne des Pyrénées und seit Anfang März in Herisau zu Hause. Sie sind die Ersten, die für diesen Zweck in Ausserrhoden zugelassen wurden.Stefan Enzler besitzt im Weiler Wiesen einen Hof mit 17 Hektaren Land. Hier hält der gelernte Metzger zwischen 250 und 300 Schafe. Den Sommer verbringen die Tiere zusammen mit solchen von anderen Höfen auf der Alp Hofeld im Säntisgebiet. Das sei der Grund, warum er sich um die Herdenschutzhunde beworben habe, sagt Enzler. «Letztes Jahr haben wir auf der Alp 40 Schafe durch den Wolf verloren. Ohne Hunde ist die Alpung praktisch unmöglich geworden.»So werden Jade und Velino Anfang Juni gemeinsam mit «ihren» Schafen den Viehtransporter besteigen und auf die Säntisalp fahren. «Eigentlich sind zwei Hunde zu wenig für so eine grosse Herde, aber wir probieren jetzt einfach mal, ob es etwas nützt.» Allenfalls kämen noch zwei Hunde des Alpmeisters zur Unterstützung dazu, hofft Enzler. «Als zusätzliche Sicherheitsmassnahme muss der Hirt die Schafe möglichst nahe beisammenhalten, damit die Hunde sie besser schützen können.» Seine Schafe hätten sich schnell an die Hunde gewöhnt, sagt Stefan Enzler. «Am Anfang haben sie panisch reagiert, doch sie haben schnell gemerkt, dass die Hunde ihnen nichts tun.»Langwieriges BewilligungsverfahrenWer einen offiziellen Herdenschutzhund braucht, erhält ihn nicht einfach so, wie Sven Baumgartner vom Landwirtschaftlichen Zentrum in Salez erklärt. «Es braucht ein aufwendiges Verfahren, in das verschiedene Ämter und Organisationen involviert sind.»Baumgartner übernimmt diese Abklärungen im Auftrag des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Es braucht ein Gutachten, welches die Eignung zur Hundehaltung bestätigt. Zudem muss eine geeignete Unterbringung der Tiere gewährleistet sein. Die Organisation Agridea, welche die Hunde vermittelt, verlange ein Sicherheitsgutachten, so Baumgartner. «Und das alles immer vom Heim- und vom Alpbetrieb. Insgesamt kommen so über hundert Seiten Berichte zusammen.» Schliesslich gehen die Akten an den Kanton, der einen Mitbericht verfasst und beim Bundesamt für Umwelt (Bafu) einreicht. So kann es bis zu zwei Jahren dauern, bis der Nutztierhalter seinen beantragten Herdenschutzhund erhält.Knapp genügend Hunde vorhandenEin Landwirt bekommt für Haltung und Einsatz von offiziellen HSH vom Bund jährlich einen Beitrag von 1200 Franken. Auch die Alpverantwortlichen werden für den Mehraufwand für die Hunde mit Beiträgen entschädigt. Diese gelten als Nutztiere und es muss keine Hundesteuer für sie entrichtet werden. Es steht jedem Schafhalter frei, nicht offiziell anerkannte Herdenschutzhunde einzusetzen. Dann entfallen aber sämtliche Unterstützungsgelder.Letztes Jahr waren im Sömmerungsgebiet der Schweiz rund 300 offizielle Herdenschutzhunde im Einsatz. Der Bund subventioniert deren Zucht und Ausbildung. Zugelassen sind zwei Rassen: Montagne des Pyrénées und Maremmano-Abruzzese, die aus geprüften Zuchten stammen müssen. Im Rahmen des Bundesprogramms Herdenschutz werden pro Jahr etwa 70 Hunde in spezialisierten Betrieben ausgebildet. Abgegeben werden sie nach bestandener Eignungsprüfung im Alter von rund zwei Jahren zum Preis von 1200 Franken pro Stück. Dieser Preis ist stark subventioniert, denn allein die Ausbildung des Tieres kostet rund 6000 Franken. Für die Finanzierung der Herdenschutzmassnahmen in den von Grossraubtieren wiederbesiedelten Gebieten wurde vom Bafu für die Periode 2018–2021 ein Budget von jährlich durchschnittlich 2,9 Millionen Franken vorgesehen. Dabei werden rund 85 Prozent dieser Summe von der nationalen Koordinationsstelle Herdenschutz Schweiz bei Agridea verwaltet.Kurse in Konfliktmanagement nötigAuch der neue Halter musste sich weiterbilden. Stefan Enzler holt einen Ordner und zeigt seine Ausbildungsbestätigungen. In drei Kursen habe er sich Kenntnisse in Hundehaltung, rechtlichen Grundlagen und Konfliktmanagement erworben. Letzteres ist wichtig, denn Konflikte sind vorprogrammiert: Die Hunde haben trotz ihrer Körpermasse einen enormen Bewegungsdrang. Sie müssen dauernd beschäftigt sein. Ihr Futter erhalten sie erst am Morgen, denn ihre Arbeitszeit ist in der Nacht. Dann müssen sie wach und aufmerksam sein. Das kann zu Problemen mit der Nachbarschaft führen. Im abgelegenen Weiler sei das aber kein Thema, sagt Enzler. «Ich habe mit den Anwohnern das Gespräch gesucht und sie haben Verständnis für meine Situation gezeigt.»Wegen der Hunde muss der Wanderweg Richtung Dietenberg jeweils im Frühjahr für sechs und im Herbst für drei Wochen gesperrt werden. Die betroffenen Wanderwege führen in der Weideperiode Frühling und Herbst durch die Schafweiden hindurch. Dies verträgt sich nicht mit dem Einsatz von Herdenschutzhunden. Die Wegsperrungen und eine geeignete Umleitung werden im Gelände markiert und sind mit den Fachstellen für Fuss- und Wanderwege von Gemeinde und Kanton abgesprochen.

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