03.05.2022

Die Heilige Maria Bernarda: Ein ganzes Leben für die Armen

Seit 500 Jahren gibt es das Kloster Maria Hilf in Altstätten. Es hat in dieser Zeit viele Stürme überstanden. Mit der Heiligsprechung ihrer ehemaligen Oberin, Schwester Maria Bernarda Bütler, im Jahr 2008 erlebte die Klostergemeinschaft einen Glanzpunkt.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 02.11.2022
Maria Bernarda ist die erste Schweizer Frau, die heiliggesprochen wurde. Im Kloster Maria Hilf in Altstätten wird sie in höchsten Ehren gehalten. Es gibt auf dem Altstätter Forst einen Maria-Bernarda-Weg. Und dennoch ist sie in Altstätten oder in der Schweiz keine allgemein bekannte Volksheilige. Die engagierte Schwester liess ihre Heiligkeit während ihres 21-jährigen Wirkens in Altstätten lediglich in Ansätzen aufscheinen. Ihre heiligmässige Entfaltung zeigte sich deutlich an ihrem späteren Wirkungsort in Südamerika. Dort offenbarte sie ein geradezu einmaliges Organisationstalent, blieb dennoch demütig, bescheiden und – wie die heilige Theresa von Kalkutta –den armen Menschen nahe und eng verbunden.Von den Alpen in die AndenMit 19 Jahren kam die Aargauerin im Jahr 1867 zu den Kapuzinerinnen nach Altstätten. Das Kloster war ihr empfohlen worden. Sie bekam den Ordensnamen Maria Bernarda und legte im Jahr 1869 die Gelübde ab, mit der festen Absicht, nun ein Leben lang in diesem Kloster zu leben und zu wirken. Sie wurde Novizenmeisterin und mit 32 Jahren bereits Oberin des Klosters. Doch dann kam alles anders. Im Jahr 1888 folgte sie dem Ruf des Bischofs Peter Schu­macher und sicher auch dem Ruf Gottes, sich voll und ganz der missionarischen Tätigkeit zu widmen. Mit sechs weiteren Schwestern verliess sie Altstätten und liess sich in Ecuador nieder. Hier sorgte sie sich mit ihren Mitschwestern mit dem buchstäblichen missionarischen Eifer vor allem um arme und sozial benachteiligte Menschen.Die neu angekommenen Schweizerinnen hatten die Sprache zu lernen, mussten das feuchte Klima ertragen und stiessen in der Kleinstadt Chone auf ein schwieriges Glaubensumfeld. Es erging ihnen so wie es einst Franz von Assisi ergangen war: Sie hausten in einer armseligen Hütte, ohne Möbel, sie assen und schliefen auf dem Boden, sie lebten von Almosen. Rundum war das Klima kirchenfeindlich. Auf Maria Bernarda hatte hier eigentlich niemand gewartet. Dennoch kamen ein Jahr danach weitere Schwestern aus Altstätten nach Ecuador und packten mit an. Einige Schwestern zogen weiter nach Kolumbien, unter ihnen die aus Kaltbrunn stammende Schwester Charitas Brader, die im Jahr 2003 selig gesprochen wurde. [caption_left: Dieses Bild in der Klosterkirche von Maria Hilf in Altstätten erinnert an die heilige Maria Bernarda. (Bild: Christoph Mattle)]Geplant war, dass Maria Bernarda ein Filialkloster von Altstätten gründen würde. Es kam aber anders. Sie gründete ein neues Institut, die Kongregation der Franziskaner Missionsschwestern von Maria Hilf. Die junge Kongregation lockte einheimische Frauen an. Die Schwesterngemeinschaft wuchs stetig und es kam zur Gründung neuer Niederlassungen und sogenannter Tochterklöster in Ecuador. Maria Bernarda trotzte vielen antichristlichen Wi­derständen, die sie mitansehen oder selber erleben musste. Als im Jahr 1895 gewaltsame Verfolgungen ausbrachen, verliess Maria Bernarda mit 15 Mitschwestern das Land und zog nach Kolumbien.Immer mehr junge Frauen schlossen sich ihr anDer Bischof von Cartagena vernahm die Kunde von den vertriebenen Schwestern und lud sie ein, sich in einem Flügel des Frauenspitals von Cartagena in Kolumbien niederzulassen und im Spital, in der örtlichen Seelsorge und in der Betreuung der Armen zu wirken. Die Schwestern entfalteten im franziskanischen Geist, in Demut und Bescheidenheit, selber arm lebend, eine grosse Wirkung. Zum einen wuchs die Klostergemeinschaft, indem sich immer mehr junge Frauen der Kongregation anschlossen, zum andern auch, weil Maria Bernarda weitere Filialgründungen vornahm. Aufgrund der nimmermüden Initiative der Schweizerin kam es zur Errichtung von Missionsstationen, von Niederlassungen und von Tochterklöstern, unter anderem in Brasilien und auch in Österreich. So kehrte der Segen, der aus Altstätten kam, zurück in unsere Gegend, indem zwei neue Niederlassungen in Vorarlberg, in Gaissau und in Frastanz, entstanden. Im kleinen Weiler Maria Ebene, zwischen Frastanz und Tisis gelegen, wirken bis heute Schwestern der von Maria Bernarda gegründeten Kongregation. Die Provinzoberin der Missionsfranziskanerinnen hat hier im Bernardaheim ihren Sitz. Auch im Franziskusheim in Oberriet wohnen Missionsfranziskanerinnen, die früher in Kolumbien tätig waren. Sie zählen zur Gemeinschaft von Mutter M. Charitas Brader, Missionsfranziskanerinnen Maria Immaculata.Insgesamt ist die von Maria Bernarda gegründete Kongregation heute in elf Ländern auf drei Kontinenten tätig. 28 Schwestern leben in Österreich, davon sind sieben Schwestern in Gaiss­au im Pflegeheim der St. Anna­stiftung. In der Schweiz wirken zwei Schwestern in Auw AG, in der Heimatpfarrei der Gründerin, und etwas über 500 Schwestern sind es in Kolumbien, Venezuela, Ecuador, Peru, Bolivien und auf  Kuba. Die Schwestern sind hauptsächlich in den Armenvierteln tätig, ebenso in Schule und Erziehung, in der Ausbildung von Frauen und Mädchen sowie in der Pflege von alten Menschen und von Behinderten. Der Welthauptsitz von Maria Bernardas Gründungswerk befindet sich in Bogotá.Bescheidenheit als grösste TugendSchwester Maria Bernarda Bütler war ein Organisationstalent, eine Art Managerin. Sie pflegte ein riesengrosses Beziehungsnetz. Über 2000 Briefe von ihr sind erhalten, davon ganz wenige im Kloster Maria Hilf in Altstätten. Überhaupt existieren in Altstätten nur spärliche Erinnerungsgegenstände an die einstige Schwester und Oberin der Gemeinschaft. In Erinnerung blieb immer ihr bescheidenes Leben, ihre Bereitschaft zu jedem Dienst, ihre Liebe zu Jesus, zu den Armen, ihr inniges Beten, aber auch ihre Liebe zur Landwirtschaft. Wann immer möglich, arbeitete sie während ihrer Tätigkeit in Altstätten auf dem Feld. Sie war und blieb zeitlebens die Bauerntochter aus dem aargauischen Auw. Sie hatte viel zu leiden, teilweise unter Vor­gesetzten, vor allem aber unter Krankheiten. Die 36 Jahre, die sie in Lateinamerika wirkte, waren voll von Krankheiten, die sie geduldig ertrug. In jedem Leiden sah sie ihre persönliche Nachfolge des Gekreuzigten und der leidenden Gottesmutter Maria. In Altstätten und am neuen Wirkungsort fand sie Zuflucht und Ruhe im Gebet. Ihre eigenen Leiden befähigten sie, sich in die Rolle der von ihr betreuten Armen und Kranken einzufühlen.In Lateinamerika erreichte die Heilige grosse Berühmtheit; aber nicht etwa allein wegen ihrer beeindruckenden Expansionspolitik, sondern vor allem wegen ihrer Vorbildwirkung als einfache, fromme, bescheidene Schwester, die sich um die Menschen am Rande der Gesellschaft kümmerte. Heute würde man ihr Mutter-Theresa-Qualitäten attestieren.Das Volk verehrte sie und die Kirche folgteAls Maria Bernarda, 76-jährig, am 19. Mai 1924 in Cartagena starb und der Priester in der Kathedrale ihren Tod verkündete, sagte er wörtlich: «Heute  ist eine Heilige gestorben.»Sie wurde in Cartagena zu Grabe getragen. Das Geleit zu ih­rem Grab sei einem Triumph­-zug gleichgekommen. Angesehene Männer trugen den Sarg, ihm folgten der Erzbischof, die Stadt- und Schulbehörden, viele Ordensschwestern und Priester, 700 weiss gekleidete Mädchen und eine unübersehbare Volksmenge. Schon bald wurde die Grabstätte in Cartagena von vielen Gläubigen aufgesucht, die am Grab von Maria Bernarda beteten. Von rund 60'000 Pilgern jährlich war die Rede. Maria Bernarda wurde damit gewissermassen vom Volk als heilig angesehen und verehrt. Die Kirche folgte nach, als Papst Johannes Paul II. sie im Jahr 1995 selig sprach. Damit durfte sie am Altar verehrt werden. Papst Benedikt XVI. schliesslich sprach sie am 12.Oktober 2008 auf dem Petersplatz in Rom heilig. Maria Bernarda ist damit die erste Heilige der Schweiz. Die heilige Wiborada aus St. Gallen, die im Jahr 1047 als erste Frau vom Papst heiliggesprochen wurde, wurde in diesen Rang erhoben, als es die Schweiz noch nicht gab.Nie in die Schweiz zurückgekehrtIn Lateinamerika ist Maria Bernarda allgemein bekannt. Sie ist vielen Menschen mit ihrer Mildtätigkeit und mit ihrer Sorge um Arme ein Vorbild. Ein einheimischer Taxifahrer sagte, dass es kaum ein Taxi gebe, in dem kein Bild der heiligen Maria Bernarda angebracht sei. Ihre Aufgabe sei es, die Menschen zu schützen.Nachdem Maria Bernarda Altstätten verlassen hatte, kehrte sie nie mehr dahin oder in die Schweiz zurück.Zum Jubiläum «500 Jahre Kloster Maria Hilf, Altstätten» werden in loser Folge mehrere Beiträge erscheinen. Sie beschreiben die Geschichte, schildern das Wirken der heiligen Maria Bernarda und geben einen Einblick in das Leben der Schwestern sowie in die geplante Zukunft. Das Klosterjubiläum wird mit mehreren Anlässen während des Jahres begangen, am 29. Mai auch mit einem Tag der offenen Tür. 

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