Mit einer Fusion sind zwangsläufig Gefühle verbunden. Das ist immer so, wenn aus kleineren Gemeinden ein neues, grösseres Gebilde werden soll. In Marbach und Rebstein geht es bei der Volksabstimmung vom 25. November um die Frage, ob die beiden politischen Gemeinden sich zu einer neuen Gemeinde Rebstein-Marbach zusammenschliessen und ob zudem die Schulen eingebunden werden sollen.Unter den Behörden aller fünf beteiligten Gebilde (politisch Rebstein, politisch Marbach, Oberstufe Rebstein-Marbach, Primarschule Rebstein, Primarschule Marbach) schert der Marbacher Primarschulrat aus. Er empfiehlt, die Integration der eigenen Schule in ein neues grösseres Gebilde abzulehnen.Nennen Fusionsbefürworter die Vorteile eines Zusammengehens, lassen sie gern Euphorie mitschwingen. Mit positiv besetzten Schlagworten beschwören sie den visionären Geist, den sie mit einer Fusion verbunden sehen.Tatsächlich bedarf es keiner besonderen Vorstellungskraft, um Vorteile in einer Fusion zu erkennen. So ist es etwa ein erheblicher Unterschied, ob in Zeiten allgemein schwindender Mitwirkungsbereitschaft knapp 60 Behördenmitglieder oder 20 nötig sind. Und die Möglichkeit eines Verwaltungsangestellten, sich auf ein bestimmtes Aufgabengebiet zu beschränken (statt sich mit allerlei anderem auch noch herumschlagen zu müssen), ist sicher wünschbar – auch darum, weil der Bürger seinen Anspruch hochgeschraubt hat.Manche gewichtige Vorteile haben jedoch eine Schattenseite. So ist eine «professionalisierte» Verwaltung im zunehmend dichteren Gesetzesdschungel tendenziell teurer, vielleicht weniger persönlich und eher weiter weg von ihrer Bürgerschaft.Bisherige Studien, die finanzielle Folgen von Fusionen beschreiben, kommen zu keinem einheitlichen Schluss. Gemeindefusionen hätten kaum einen Spareffekt, ihr Nutzen sei wissenschaftlich nicht nachgewiesen, war 2016 in der Studie Studerus/Schaltegger (Uni St. Gallen) zu lesen; demgegenüber kommt eine andere (von den Universitäten St. Gallen und Bern unterstützte) wissenschaftliche Studie des kantonalen Gemeindereformers Bruno Schaible zum Ergebnis, die geplanten Verbesserungen hätten sich bei bisherigen Fusionen weitgehend erreichen lassen, die organisatorischen Voraussetzungen seien stark verbessert worden. Dass manche Aufgaben sich mit vereinter Kraft leichter erfüllen lassen, steht ausser Frage. Ein gutes Beispiel ist die rasant fortschreitende Digitalisierung; mit ihr Schritt zu halten, fordert Kleingemeinden übermässig.Im Gegensatz zur Welt der Daten steht die analoge Welt. Das Zusammenleben von Menschen.In einer kleinen Schulgemeinde sind die Eltern den Schulräten besonders nah. Das ein wenig belächelte Argument der Nähe ist vielen Eltern wahrscheinlich besonders wichtig. Nimmt eine Mutter, ein Vater rege am Dorf- und am Schulleben teil, begegnet er «seinen» Schulräten laufend. Es finden Gespräche statt, es gibt den regen Austausch. Das kann jeder erleben, der Kinder hat und sich nicht daheim einigelt.Man denke bloss an die in jedem Dorf aufkeimenden kleinen Ärgernisse und Probleme, die einen beschäftigen können. Schulwege, gefährliche Stellen, ein Pfosten am falschen Ort. Man sieht seine Bedenken, Wünsche, Ideen im Alltag mit Schulrätinnen und Schulräten geteilt.Wer sich als Schulrat einsetzt, nimmt wahr, was in seiner Umgebung geschieht, fühlt bei Problemen vielleicht mit und ist bereit, auch die kleinen Aufgaben unkompliziert anzupacken, die unscheinbaren Probleme zu lösen und sich bei Konflikten irgendwelcher Art mit Verve um eine einvernehmliche Lösung zu bemühen.Solche Nähe ist eine nicht zu unterschätzende Qualität. Sie ist aber nicht immer und nicht unter allen Umständen ein Vorteil. Und eine geringere Zahl von Behördenmitgliedern schliesst ein enges Verhältnis zur Schule und ihren Vertretern natürlich nicht aus. Was das Administrative betrifft, sind die Öffnungszeiten des Marbacher Schulsekretariats auf zwölf Stunden pro Woche beschränkt; mit dem Angebot einer fusionierten Gemeinde kann es nicht mithalten.Lüchingens Schulbürgerschaft hat einen Zusammenschluss mit Altstätten vor zehn Jahren klar abgelehnt. Mitgespielt hat ein gewisser Vorbehalt gegenüber der damaligen Altstätter Führung, der man sich nicht nahe wähnte, sondern die sich (anders als dies heute in Rebstein und Marbach der Fall ist) als unangenehm distanziert wahrnehmen liess.Finanziell ist Lüchingen im Kanton der Musterknabe – mit den tiefsten Kosten pro Schüler. In Rebstein und Marbach liegen die (von den Schulgemeinden nur bedingt beeinflussbaren) Kosten leicht über dem Durchschnitt. Lüchingen hat aber auch Glück. Die Zahl der Kinder war jahrelang so, dass die Bildung der Schulklassen mühelos möglich war. Schwerer als noch vor zehn Jahren fällt hingegen die Besetzung frei werdender Schulratssitze – und das Präsidium zu bestellen, schätzt der frühere Präsident als überaus anspruchsvoll ein.Verlockend ist das vom Kanton in Aussicht gestellte Geld. Eine Fusion zur neuen Gemeinde Rebstein-Marbach unter Einbezug aller Schulgemeinden brächte 6,5 Mio. Franken. Diese Summe ermöglicht eine Senkung des Steuerfusses von 119 Prozent (Rebstein) bzw. 128 Prozent (Marbach) auf künftig noch 110 Prozent. Die finanzielle Starthilfe aus St. Gallen hätte den Abbau von Marbachs Schulden (immerhin fast 3 Mio. Franken) zur Folge und insofern nachhaltige Wirkung.Ob derartige Kantonsbeiträge sich auch anders als für Fusionen einsetzen liessen (etwa zugunsten einer Finanzausgleichsreform, die auch finanzschwachen Gemeinden finanzielle Entwicklungsperspektiven erlaubt), ist eine Frage, die uns nicht speziell jetzt, sondern grundsätzlich beschäftigen sollte.Am Diskussionsanlass vom 22. Oktober in Marbach, den etwa 400 Interessierte besuchten, taten sich die auf dem Podium stehenden Behördenmitglieder schwer, die Vorteile einer Fusion so darzulegen, dass Skeptiker und Gegner sich gedrängt sahen, die eigene Haltung zu ändern.Fusionsbefürworter hoben die Notwendigkeit hervor, Bedenken und Befürchtungen der Gegner «ernst zu nehmen». Sie verwiesen auf die «emotionale Komponente» und stellten die Gefühle der Gegner unterschwellig als eine diffuse Angelegenheit dar.Wer Bedenken ernst nimmt, beweist dies vorzugsweise durch konkretes Handeln. Es gilt, Bedenken zu benennen und sie möglichst schriftlich zu entkräften. Wenn man beispielsweise weiss, dass eine Hauptsorge von Eltern den Schulstandorten gilt, hätte vielleicht eine schriftliche Absichtserklärung dunkle Ahnungen zerstreut – ein Papier, das sich später in eine verbindliche Vereinbarung umwandeln liesse. Im Rahmen der Diskussion in Arbeitsgruppen war dieser Aspekt natürlich zur Sprache gekommen. Im Schlussbericht eines der Teilprojekte ist denn auch festgehalten, dass u.a. folgende «Rahmenbedingungen für eine allfällige Einheitsgemeinde erwähnt wurden»: Erhalt der Schulen vor Ort; keine Optimierung der Klassengrösse um jeden Preis; lange Schulwege, Schulbusse sind zu vermeiden. Das ist zwar keine explizit unterbreitete, schriftliche Absichtserklärung. Dass keine Schüler ins andere Dorf geschickt werden sollen, ist aber bekundet.Dass nicht alle Fragen, die mit einer Fusion einhergehen, sich jetzt schon beantworten lassen, liegt auf der Hand. Wo welches neue Rathaus zu bauen wäre und was mit den bisherigen Liegenschaften geschähe, ist eines der Themen, die bei einem Zusammenschluss der Gemeinden gemeinsam zu klären wären. Das gilt ebenso für Schulkonzepte, die in naher Zukunft zu erneuern sind.Der schier unerschöpflichen Faktenmenge zum Trotz geht es bei der Fusionsabstimmung letztlich um eine Glaubens- und Vertrauensfrage.Dass sich eine Fusion auch längerfristig auszahlt, ist nichts Garantiertes, sondern eine Möglichkeit (vielleicht Wahrscheinlichkeit), die davon abhängt, wie eine neue Gemeinde Rebstein-Marbach ihre Chance nach einem Ja zur Fusion mit der Gestaltung der Strukturen nutzen würde.Die viel gepriesene «grosse Chance» gründet auf viel gutem Willen, auf Interpretationen und einer langen Liste von einleuchtenden Vorteilen, die zu einem schönen Teil den Nachteil haben, dass die Gegenargumente auch nicht aus der Luft gegriffen sind.Gert Bruderergert.bruderer@rheintalmedien.ch