Christlich vor 2 Stunden

Die Geschichte einer Ziege und die Zufriedenheit

Oft sehnen wir uns nach Veränderung, wenn uns der Alltag erdrückt. Doch manchmal liegt die Lösung im Bleiben. Eine jüdische Geschichte und der Rat Benedikts zeigen: Herausforderungen können neue Qualitäten offenbaren.

Von Peter Legnowski, Kaplan
aktualisiert vor 2 Stunden

Eine jüdische Geschichte erzählt: Ein Mann kommt zum Rabbi und beschwert sich über seine Wohnung. Sie sei einfach zu klein, zu dunkel und zu unpraktisch. Eine neue Wohnung finde sich nicht. Der Rabbi hört dem Mann aufmerksam zu. Am Schluss gibt er dem Mann den Rat, er solle sich einen Ziegenbock auf den Balkon stellen. Der Mann befolgt den Rat des Rabbis. Einige Zeit später begegnen sich die beiden wieder. Der Mann beschwert sich, dass der Rat des Rabbis noch nicht viel gebracht hätte.

Es sei immer noch schwierig mit der Wohnung. Der Rabbi gibt diesmal den Rat, den Ziegenbock ins Wohnzimmer zu holen und dort anzubinden. Wieder vergeht einige Zeit bis zum nächsten Treffen. Jetzt beschwert sich der Mann, dass die Situation in der Wohnung nahezu unerträglich sei. Zu Dunkelheit und Enge käme noch der Gestank des Ziegenbocks. Der Rabbi rät dem Mann, den Ziegenbock wegzugeben. Nach einer weiteren Weile trifft der Rabbi den Mann und fragt ihn wieder, wie es ihm mit seiner Wohnung geht. Zur Überraschung des Rabbis sagt der Mann: «Die Wohnung ist wunderbar!» Anscheinend hatte der Mann entdeckt, dass auch seine Wohnung ihre Qualitäten hat.

Oft wollen wir nur noch weg

Wie oft haben wir das Gefühl, dass unsere aktuelle Lebenssituation nicht zu uns passt. Der Beruf macht uns zu schaffen; im Bekanntenkreis gibt es Konflikte oder es ist langweilig. Wir wollen nur noch eins: Möglichst weit weg von hier sein und etwas ganz anderes machen.  Die beginnenden Ferien laden uns ein, wegzugehen, Abstand zu gewinnen. Vielleicht ergibt sich ja etwas ganz Neues.

Aus der christlichen Tradition gibt es dazu eine Stimme, die auf den ersten Blick vielleicht irritiert: Benedikt von Nursia, der Vater der Nonnen und Mönche im Abendland, fordert seine Schüler zum Bleiben auf. Auch wenn es mir schwerfalle, mit meiner derzeitigen Situation zurecht zu kommen, so rät Benedikt, solle ich erst einmal bleiben und mich der Herausforderung stellen.

Bleibe ich, kann ich mich bewähren

Wenn ich mich der Situation stelle, die für mich schwierig ist, und mich bewähre, kann der Ort, an dem ich lebe, die Situation, die mich umgibt, eine ganz neue Qualität bekommen. Ich spüre vielleicht eine gewisse Verbundenheit, die mir vorher nicht bewusst war.  nd auf einmal beginnt das, was mir vorher schwierig und störend erschien, mich zu tragen.

Diese Erfahrung gilt natürlich nicht für jede schwierige Lebenssituation. Aber, wie oft wollen wir Veränderung und Wandlung, dann doch hinterher festzustellen, dass das, was wir haben, besser ist als wir dachten.

Deshalb lohnt es sich auch heute, über Benedikts Ratschlag nachzudenken.


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