25.01.2022

Die Geschichte der Anna K.

Der Erstlingsroman «Das Korsett» der Walzenhauserin Ruth Weber ist inspiriert vom Leben ihrer Grossmutter.

Von Interview: Iris Oberle
aktualisiert am 02.11.2022
Interview: Iris Oberle2018 gewann Ruth Weber aus Walzenhausen am Schreibwettbewerb «Literaturland» vom Amt für Kultur Appenzell Ausserrhoden den Publikumspreis. Zwei Jahre später erschien ihr Lyrikband. Nun hat Ruth Weber einen Roman geschrieben. «Das Korsett» erscheint am 1. März im orte Verlag.Ruth Webers Leidenschaft für das Schreiben ist noch jung. Vor sieben Jahren nahm sie an einem Schreibwochenende teil. Schnell war ein Feuer für Gedichte und Kurzgeschichten entfacht. Lag ihr zu Beginn der Schreibkarriere der Gedanke an ein eigenes Buch noch fern, keimte er während des Schreibens auf. Auf der Suche nach ihren eigenen Wurzeln und dem Wunsch nach Antworten auf Fragen aus der Vergangenheit ist ein Roman entstanden. Ruth Weber, wann hatten Sie erstmals den Gedanken, ein Buch zu schreiben?Ruth Weber: Ich habe einen Lehrgang über literarisches Schreiben besucht. Um diesen abzuschliessen, musste ich eine Diplomarbeit abgeben. Es war schwierig, mit Gedichten genug Text zusammenzubringen. Also nutzte ich die Gelegenheit, einmal einen längeren Text zu schreiben. Zuvor hatte ich mir das nicht zugetraut – jetzt musste ich einfach. Dieser Druck war gut für mich. Während ich die Arbeit schrieb, wurde ich für ein Aufenthaltsstipendium in der Franz-Edelmaier-Residenz in Meran in Südtirol ausgewählt, um mich voll dem Schreiben zu widmen. Das hat mich sehr gefreut, also bin ich im Frühling alleine nach Meran in die Wohnung gefahren und habe zwei Wochen lang nur geschrieben. Ich konnte mich total auf den Text einlassen, war in Gedanken nur bei meiner Geschichte. Wie lang haben Sie am Buch gearbeitet und wie sind Sie dabei vorgegangen? Ich hatte schon vor der Reise nach Meran damit angefangen, insgesamt waren es etwa neun Arbeitsmonate. Viel Zeit hatte ich zuvor in die Recherche gesteckt. Die Hauptperson meines Romans ist meine Grossmutter. Bei meinen Grosseltern, die in Speicher gelebt haben, war ich als Kind oft in den Ferien. Trotzdem weiss ich nicht viel von ihnen. Ich habe auf der Gemeinde recherchiert, im Kantonsarchiv nachgefragt, Protokolle und Zeitungsberichte zusammengetragen. Aus diesen gesammelten Informationen ist die Geschichte entstanden. Dem Ende des Romans näher gekommen bin ich dann an einem viertägigen Schreibseminar am Genfersee. Es war traumhaft: Fünf Frauen in einem Schloss mit Schriftsteller Peter Stamm (lacht). Nach den Sommerferien war ich dann damit fertig. Ist es Ihnen leicht gefallen, über Ihre Grossmutter und die eigene Familie zu schreiben? Schliesslich ist es ja ein Roman. Da ist vieles dazugedichtet, ausgeschmückt. Es ist nicht eins zu eins unsere Familiengeschichte. Auch die Namen sind alle erfunden. Eine Biografie wäre für mich nicht in Frage gekommen. Trotzdem habe ich in diesem Roman vieles aus meiner Kindheit verarbeitet. Eingepackt in eine Gesichte macht alles wieder Sinn, auch negative Ereignisse. War Ihnen von Anfang an klar: wenn ein Buch, dann kein Märchen? Meine Grossmutter ist vor zweieinhalb Jahren 106-jährig verstorben, mein Vater schon davor. Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich sehr wenig über meine Grosseltern weiss, obwohl ich viel Zeit bei ihnen verbracht habe und immer gern da war. Das hat mich sehr beschäftigt. Und im Alltag gerät man manchmal in Situationen, in denen man sich fragt, weshalb man so und nicht anders reagiert. Auch solche Fragen habe ich mir gestellt und die Antworten in der Vergangenheit gesucht. Das war der Auslöser: Ich wollte verstehen, wer Anna war und wer ihre Nachkommen sind. Bei den Nachforschungen haben Sie nicht nur Erfreuliches erfahren. Was haben die Erkenntnisse bei Ihnen bewirkt? Es hat mich teilweise sehr betroffen gemacht, gerade die Recherchen über die Weltkriegsjahre. Mir war das total fremd, doch Anna war geprägt von beiden Kriegen. Sie hat viel durchgemacht, etwa auch Hunger, die Spanische Grippe und grosse persönliche Verluste. Ich verstehe nun, weshalb sie nie darüber gesprochen hat. Über solche Sachen zu schreiben, war nicht immer einfach. Doch heute verstehe ich vieles besser, habe mehr Verständnis für gewisse Dinge. Es ist mir wichtig, dass unsere Kinder davon erfahren, ihre Geschichte kennen lernen.Hinweis«Das Korsett» handelt von Anna, die 106-jährig im Altersheim stirbt. Ihr Leben war geprägt von Schicksalsschlägen, die Spuren hinterlassen haben. Sie klagte aber nie, redete kaum über Vergangenes. Betroffen vom Tod sucht ihre Enkelin Lena nach Antworten. Der Roman ist im Buchhandel erhältlich, beim orte Verlag oder bei der Autorin. ISBN: 978-3-85830-302-8.

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