15.12.2018

Die frommen Spassverderber

Von Ingrid Grave
aktualisiert am 03.11.2022
Meistens sind die frommen Spassverderber auch humorlose Moralapostel. Überall, wo Menschen sich lustvoll am Leben freuen, beanstanden sie die Liederlichkeit oder beklagen sich über den mangelnden Ernst des Lebens.Manchmal kommt mich mitten im Dezember die Versuchung an, den ganzen Weihnachtrummel auf den Mond zu schiessen. Gleichzeitig befürchte ich, nun selbst so ein Moralapostel zu sein, der sich an der vorweihnachtlichen Lichterfülle nicht freuen kann, weil sie eine unnötige Energieverschwendung darstellt. Und dann die vollgestopften Schaufenster mit Geschenkideen für Menschen, die schon alles haben! Aber dürfen die Menschen sich nicht mehr freuen über ein gewisses Zuviel an Glanz und Glimmer? Vielleicht dürfen sie. Ich weiss es nicht. Ich kann die Frage nur für mich selbst beantworten. Zu dem inneren Zwiespalt kommt mir eine Bibelstelle in den Sinn, wo Menschen ähnliche Fragen stellen. Es handelt sich um einen bestimmten Johannes, der am Jordan steht und den Menschen Busspredigten hält (Lk 3, 10 – 18). Es scheint, die Leute sind in Scharen hinausgezogen, um sich den Spinner entweder anzuschauen oder weil sie wirklich ein Problem haben mit der Zwiespältigkeit ihrer Lebensweise. Sie suchen die eine Antwort auf die Frage: Was sollen wir tun?Den gut Betuchten gibt Johannes den Rat: Wer zwei Hemden hat, gebe dem eines, der keines hat. Bezogen auf uns heute, hätten wir bald eine ganze Kleidersammlung beisammen. Besser wäre es wohl, wir würden uns gar nicht erst so viel anschaffen.Es kommen auch waffentragende Soldaten an den Jordan. Was sollen sie tun? Den Kriegsdienst verweigern? Und dann als Arbeitslose herumlungern? Die Antwort des Busspredigers: «Seid menschlich, misshandelt niemanden, raubt die Wehrlosen nicht aus und seid zufrieden mit eurem Sold.»Eine dritte Gruppe sind die Zöllner. Sie kennen die Steuersätze der römischen Besatzungsmacht, im Gegensatz zu den vielfach ungebildeten Leuten. So konnte problemlos einiges in der Privatkasse der Zöllner verschwinden. Sollen sie ihren Brotberuf aufgeben? Nein. Johannes appelliert an ihre Ehrlichkeit: «Treibt nicht mehr ein als vorgeschrieben ist.» Was hat das mit dem Weihnachtsrummel zu tun? Wir können uns ja kaum ausklinken aus diesem «Geschäft». Uns würde Johannes sagen: Haltet Mass und orientiert euer Leben an dem, dessen Geburtstag ihr an Weihnachten begeht. Das wird die Welt zum Besseren wenden.Ingrid GraveDominikanerin in Zürich

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