17.04.2021

Die fragile Freiheit nach dem Piks

Die so gut wie abgeschlossene Impfkampagne in den Alters- und Pflegeinstitutionen im Appenzellerland bringt Freiheiten zurück.

Von Mea Mc Ghee
aktualisiert am 03.11.2022
Die Regierung des Kantons St. Gallen hat per 1. April die allgemeine Besuchseinschränkung für Betagten- und Pflegeheime gelockert. Basis dafür ist die Impfkampagne in den Heimen. Im Appenzellerland sind rund 70 Prozent und damit die meisten Bewohnerinnen und Bewohner, die eine Impfung gegen Covid-19 wünschen, vollständig immunisiert. Der Kanton Appenzell Ausserrhoden überlässt es den Heimen, ob sie die bisherigen Restriktionen zum Schutz der Bewohner lockern. «Die Impfkampagne in den Alters- und Pflegeheimen ist praktisch abgeschlossen», sagt Yvonne Blättler-Göldi, Leiterin der Ausserrhoder Abteilung Pflegeheime und Spitex. In einer Institution werde aktuell vor Ort nachgeimpft, da diese im Januar von einem Coronaausbruch betroffen war. Auch vereinzelte Bewohnerinnen und Bewohner lassen sich nach längerem Abwägen noch impfen. Diese Impfungen werden von Hausärzten in der jeweiligen Institution oder in den kantonalen Impfzentren durchgeführt.In Ausserrhoden legen die Alters- und Pflegeheime in ihren Schutzkonzepten die Vorgaben für Besuchende eigenständig fest. Sie entscheiden dabei anhand eines Stufenkonzeptes, abhängig von der epidemiologischen Lage in der Region und der aktuellen Situation der Institution. Massnahmen für die Bewohnenden können langsam und unter Einhaltung der Schutzkonzepte gelockert werden, erklärt Blättler-Göldi. Und zwar für Geimpfte und Ungeimpfte. Sie betont: «Es darf keine Diskriminierungen von Nicht-Geimpften geben.»Ende März erhielten die Institutionen ein neues Faktenblatt mit Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Darin heisst es, geimpfte Personen sollen beim Eintritt ins Heim einmal getestet werden, Ungeimpfte nach dem Eintritt innert einer Woche noch zweimal. Drei Institutionen nehmen am kantonalen Pilotprojekt der seriellen Tests teil. Eine Einrichtung hat bereits ein- von dreimal von den teilnehmenden Mitarbeitenden Speichelproben für gepoolte Tests genommen. «Dabei wurde keine positive Probe festgestellt», sagt Yvonne Blättler-Göldi erfreut.Die bisherigen Pooltests waren negativDie Rede ist vom Betreuungszentrum Heiden. Dessen Geschäftsleiterin Ursina Girsberger sagt: «Mit einem Testungsintervall von zweimal pro Woche erreichen wir gegen 90 Prozent der Mitarbeitenden.» Jeweils vier Proben werden zu einem Pool zusammengefügt und getestet. Wäre ein Pool positiv, würden die betroffenen vier Personen nochmals getestet. Die Tests zu planen und durchzuführen, sei recht aufwendig, es lohne sich aber, ist Girsberger überzeugt. «Die Mitarbeitenden erhalten ein Stück Sicherheit, waren sie doch in den vergangenen Monaten gerade in Pflegesituationen mit körperlicher Nähe stets unter Druck und in Sorge, die Bewohnenden unbemerkt anzustecken.»Im Januar wurde ein Grossteil der Bewohnerinnen und Bewohner des Betreuungszentrums Heiden geimpft. Im Februar habe es einige Neueintritte gegeben, die auf die zweite Impfung warten, sagt Girsberger. Dennoch wurden aufgrund des Impfstands stufenweise mehr Lockerungen möglich. So müssen sich Besuchende etwa nicht mehr anmelden, wohl aber registrieren. «Neu ermuntern wir Angehörige, vor einem Besuch einen Selbsttest durchzuführen.» Besucher, in der Regel zwei Personen pro Tag und Bewohner, können unter Einhaltung des Schutzkonzeptes wieder in den Bewohnerzimmern oder im Parterre empfangen werden. So würden Begegnungen in öffentlichen Bereichen vermieden.Anfang März wurde zudem die Gruppengrösse in der Aktivierung von fünf auf bis zu zehn Personen angehoben. Besondere Freude bereite den mobilen Bewohnenden, dass sie wieder ohne Einschränkungen gemeinsam an ihren Tischen Essen können. «Das ist vom sozialen Aspekt her sehr wertvoll», sagt Ursina Girsberger. Man habe förmlich gespürt, wie alle Bewohner durchgeatmet hätten. Auch die «Dorfschwalben», das sind freiwillige Helfende aus dem Dorf, können seit Ostern wieder Besuche im Betreuungszentrum Heiden wahrnehmen.Neues Konzept für die AktivierungEine wichtige Rolle spielten auch die Angehörigen, sagt Ilir Selmanaj, Geschäftsleiter des Hauses Vorderdorf in Trogen, und windet ihnen ein Kränzchen. «Sie tragen die Situation mit und sind verständnisvoll und flexibel.» Besonders zahlreich seien die Besuche an Ostern gewesen. Die Räumlichkeiten inklusive Garten im Haus Vorderdorf liessen es zu, dass Bewohner wieder mehrere Personen auf einmal empfangen können, so der Heimleiter.«Das Unterhaltungs- und Beschäftigungsprogramm ist im vergangenen Jahr nie ganz ausgefallen, seit einigen Wochen ist aber dank der Immunisierung wieder deutlich mehr möglich: Ausflüge, Spaziergänge oder Jassrunden.» Ilir Selmanaj erzählt von einem Männerausflug zur Waldegg, inklusive Bier- und Sonnengenuss auf den Rollatoren. «Es war schön, die Freude der Männer zu spüren.» Die Leiterin der Aktivierung habe zudem ein neues Konzept erarbeitet mit Anlässen für Kleingruppen. Auch die wenigen ungeimpften Bewohner nehmen daran teil. Einzig bei Pflegeleistungen, die länger als 15 Minuten dauern, würden bei diesen Bewohnern spezielle Schutzmassnahmen angewendet. Der Heimleiter ist froh, dass dank der Impfung Lockerungen im Alltag möglich sind. So kommen Coiffeur, Physiotherapeut und Fusspflege wieder ins Haus. An Jassrunden dürften wieder Gäste teilnehmen, stets unter Einhaltung der Schutzmassnahmen. Die Gestaltung von Aktivitäten und Feierlichkeiten – etwa ein 100. Geburtstag Anfang April – verlangen Kreativität und Umsicht. «Für die Jubilarin wurde eine Art Thron aufgestellt, wo sie ihre Besucher in Gruppen empfangen konnte», erzählt Ilir Selmanaj.Für die Mitarbeitenden gibt es jeden Morgen eine Lagebesprechung, an dieser werden auch neue Ideen besprochen. Der Heimleiter sagt: «Dass wir nicht singen dürfen, ist eine grosse Einschränkung. Deswegen haben wir auf Anregung der Lernenden eine Musikbox angeschafft und spielen nun alte Lieder ab Spotify.» Manch ein Bewohner summe die bekannten Melodien von früher mit. Für die Mitarbeitenden sei es anspruchsvoll, stets müssten sie schauen, dass alles zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner unternommen werde, so Ilir Selmanaj. Doch die Pandemie habe auch etwas Gutes: «Mir scheint, als sei durch die Umstände mehr Nähe zu den Bewohnern entstanden.» Noch vorsichtiger ist man im Betreuungszentrum Risi in Schwellbrunn, das im Januar von einem grösseren Coronaausbruch betroffen war. Hier können einige Bewohner erst im Mai geimpft werden. «Bis Mitte April lockern wir nicht», sagt Institutionsleiter Urban Büsser. Besuchende müssen sich weiterhin anmelden und registrieren. Für Besuche gibt es einen speziellen Raum und die Gäste dürfen eine Stunde bleiben.In Innerrhoden sind auch Gottesdienste wieder möglichIn Appenzell Innerrhoden sei man bestrebt, in Altersinstitutionen möglichst rasch Lockerungen zuzulassen, sagt Katja Nanzig, Leiterin Marketing und Kommunikation Kantonales Spital und Pflegezentrum Appenzell, auf Anfrage. Aufgrund der aktuellen Durchimpfungsrate habe der kantonsärztliche Dienst verschiedene Einschränkungen aufgehoben. Konkret sind wieder gemeinsame Mahlzeiten in verschiedenen Einheiten möglich. Auch Gruppenaktivitäten und Gottesdienste dürfen wieder angeboten werden.Angehörige können in Einzelzimmern der Bewohnenden oder in dazu vorgesehenen Räumlichkeiten besucht werden. Auch können Bewohner ihre Familien besuchen. Immune werden bei der Rückkehr nicht getestet, nicht immune Personen hingegen schon. Alle Lockerungen gelten unabhängig davon, ob eine Person geimpft ist oder nicht. «Seit einigen Wochen werden bei den Mitarbeitenden wöchentlich Spucktests durchgeführt, um asymptomatische Spreader zu entdecken. Diese Massnahme ist sinnvoll», sagt Katja Nanzig. Zudem wurde das Besuchsverbot am Spital Appenzell aufgehoben, unter der Voraussetzung, dass sich Besuchende vor Ort einem Schnelltest unterziehen.

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