03.11.2020

Die Fadenjagd hat begonnen

In Lüchingen hat am Montag die Fadenjagd fürs Analoge Altstätter Fadennetz begonnen.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
An der Rietstrasse war Adrian Schmid anzutreffen. Auf dem Dach eines im Rohbau fertigen Hauses hatte der Widnauer eben erst eine Schnur gespannt, um die Dachrinnenhaken zu setzen. Ja, er habe vom Projekt gehört, meinte Schmid lachend, und er sei auch gern bereit, etwas Schnur abzutreten, aber etwas später, weil er mit der Arbeit sonst von vorn beginnen müsse.Unterwegs waren ausser den Künstlerzwillingen Frank und Patrik Riklin aus St. Gallen der Altstätter Stadtpräsident Ruedi Mattle, die Stadträte Ruedi Dörig, Andreas Broger und Daniel Schelling, ausserdem Staablueme-Vertreter Roger Graf. Graf hat bereits eine Minisammelstelle zu Hause: Alle Schnurreste landen fürs Projekt in einer Schachtel.«Eine Solarleitung wäre gescheiter»Das Analoge Fadennetz soll die Haushalte miteinander verbinden. In einer ersten Phase werden die Fäden (respektive Schnüre) gesammelt, später findet die Verlegung statt, natürlich unter Einbezug vieler Helferinnen und Helfer, möglichst auch von Vereinen und Schulen.An Lüchingens Rietstrasse waren die Menschen am Montag bereits im Bilde. Aus der Zeitung hätten sie vom Projekt erfahren, meinte das Ehepaar Oehler. Peter Oehler scherzte, eine Solarleitung wäre gescheiter, seine Gattin spendete zwei Wollknäuel und wirkte amüsiert. Auch nebenan, an der Rietstrasse 25, spendete eine Lismerin reichlich Wolle, schliesslich gebe es beim Lismen immer Reste.Unverhofft kommt ein Bekannter vorbeiAdrian Schmid hatte inzwischen die auf dem Dach gezogene Schnur wieder entfernt und liess sie zu Boden gleiten. Obschon aus Widnau, hatte auch er von der Sache erfahren, «nur am Rande», meinte er. Was er sich dachte, als er vom Projekt erfuhr? Ganz einfach: «Mache loo.» Nun ist er selbst Teil des Projekts geworden.Schon bei den ersten Häusern hatten Riklins Komplizen (wie sie die Helfenden nennen) viel zu tun. Bei sicher Dutzenden von Metern Schnur gab es viel zu wickeln. Peter Oehlers Spruch «Uf dä Gmeind händ er’s nöd so streng» lag da nahe. Als ein Rentner mit dem Hund – wie jeden Tag – die Rietstrasse entlang spazierte, wandte sich Patrik Riklin erstaunt an den Mann: «Bisch du nöd Pöschtler gsi z’St. Galle?» Doch, das treffe zu. Den Künstler freut die unerwartete Begegnung, in gewissem Sinn Vernetzung. Ein anderer Lüchinger, der nicht direkt an der Rietstrasse, sondern zurückversetzt wohnt, hat einen Berner Dialekt. Vor fünfeinhalb Jahren zog er hierher.Wichtig, dass man sich «nicht fremd» wirdEine langsam vorbeifahrende Frau rief freundlich aus dem Auto: «Tönd ehr d’Hüser vernetzte? Han i glese.» Stephan Schumacher im Roosen nennt die Idee des Analogen Fadennetzes originell und kommentiert: «In einer Zeit der zunehmenden Digitalisierung ist es wichtig, dass die Menschen sich nicht fremd werden.» Während sich die Künstler bei seiner Schnur bedienen dürfen, spricht er auch von einer erfreulichen Verbundenheit unter den Altstätterinnen und Altstättern – und somit auch den Menschen in den dazugehörigen Dörfern. Dass, nebenbei bemerkt, der Stadtpräsident höchstpersönlich bei der Fadenjagd in Lüchingen dabei sei, «isch doch en Ehr».Dank Homeoffice am Montag daheimNeu ist die am Montag spasseshalber geäusserte Idee einer Anschlussgebühr fürs Analoge Fadennetz. Das Projekt, so verrückt es scheinen mag und vielleicht sogar ist, macht jedenfalls sichtlich Spass. Die Erheiterung beginnt, sobald es nicht bloss aufgrund eines Zeitungstexts in der eigenen Vorstellung stattfindet, sondern es – zum Beispiel auf der Fadenjagd – zur Begegnung mit Menschen kommt. Dabei beginnt der Sinn des Kunstprojekts sich zu entfalten.Oberstufenschüler Mirco Keller, wohnhaft im Roosen, will mehr über die Sache erfahren, während er Riklins zusammen mit dem Vater (trotz wartenden Zmittags) ein langes Stück Schnur überlässt. Und Dominic Buschor, der gegenwärtig im Homeoffice arbeitet, hat extra ausgestempelt, um sich für zehn Minuten den Besuchern zu widmen. Während seine Schnur auf eine Spule aufgewickelt wird, fragt ihn jemand nach dem Beruf. Er ist, was für ein hübscher Zufall, ein Entwickler.HinweisDer Autor dieses Beitrags ist im Vorstand des Vereins Staablueme aktiv und insofern am Projekt beteiligt.

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