Als Jugendliche glaubte ich, die Eisheiligen seien bewegliche Feiertage wie Pfingsten oder Ostern. Mir war nämlich aufgefallen, dass der letzte Bodenfrost jedes Jahr an einem anderen Zeitpunkt stattfand. Als Erwachsene stellte ich fest, dass die Eisheiligen nicht besonders berggängig sind. In meinem früheren Garten auf 1500 Meter über Meer trafen sie jedenfalls immer erst mit Verspätung ein, da gab es oft noch im Juni Frost ...Im St. Galler Rheintal machen sich die Eisheiligen dagegen oft besonders früh vom Acker. Die aussergewöhnlichen Frostnächte 2017 fanden hier nicht Mitte Mai, sondern Ende April statt und im Jahr 2018 blieb der Frühjahrsfrost praktisch ganz aus. Nur letztes Jahr zogen Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und die Kalte Sophie am 15. Mai hier eine letzte Runde, wie es der Lehrmeinung entspricht.Dass die Eisheiligen in Zeiten des Klimawandels immer unpünktlicher werden, ist nicht besonders schlimm, denn es gibt Alternativen. Viele Pflanzen verhalten sich nämlich wie Zugvögel: Sie wissen genau, wann ihre Zeit gekommen ist. Der Schwarze Holunder öffnet seine Blüten mit 99-prozentiger Sicherheit zum Beispiel erst, wenn es keinen Bodenfrost mehr gibt. Die Holunderblüten sind sozusagen die besseren Eisheiligen. Das Schöne daran: Der Holunder ist ans lokale Klima angepasst. Im Berggebiet blüht er später als im Tal, an sonnigen Lagen früher als auf der kühlen Nordseite eines Gebäudes. Dass auf den Holunder Verlass ist, ist kein Zufall: Heimische Pflanzen verhalten sich in der Regel so, wie es für sie am besten ist. Haben sie frostempfindliche Blüten, werden sie sich hüten, zu früh zu blühen. Die Natur ist nämlich knallhart: Wer sich ständig falsch verhält, wird eliminiert und kann seine Gene nicht mehr weitergeben. (Meteorologen haben es da wesentlich besser: Sie können falsche Prognosen abgeben, ohne gleich um ihren Kopf bangen zu müssen.) Pflanzen sind zwar keine echten Wetterpropheten, aber man kann sie verwenden, um den richtigen Zeitpunkt fürs Gärtnern abzuschätzen. Ein Blick auf den Entwicklungsstand der Pflanzen ist folglich hilfreicher als ein Blick auf einen fix defnierten Kalendertag. Denn das Gärtnern findet draus-sen statt.Eveline DuddaHinterforstwww.spriessbuerger.ch