26.06.2021

Die Coronapolitik ist sein Hobby

Josef Rechsteiner ist der Kopf hinter der Innerrhoder Covid-Initiative. Wer ist er und was treibt ihn an?

Von Claudio Weder
aktualisiert am 03.11.2022
Die letzten Sonnenstrahlen fallen auf die Kirche St. Mauritius in Appenzell. Im Abendlicht wirkt das Gemälde an der Südseite des Turmes noch heroischer: Es zeigt den heiligen Mauritius, den Namensgeber der Kirche und Landespatron von Appenzell Innerrhoden, mit Heiligenschein, Schwert und Lanze.Schräg gegenüber der Kirche, im Restaurant Gass 17, sitzt Josef Rechsteiner bei einer Stange Bier. Zum «heiligen Moritz» schaut der 60-Jährige oft hinauf. Das Schicksal des römischen Hauptmannes bewegt ihn: Gemäss einer Legende starb Mauritius den Märtyrertod, weil er sich weigerte, einen Befehl des römischen Kaisers auszuführen.Den Märtyrertod würde Rechsteiner wohl nicht wählen. Dennoch ist auch er einer, der sich nur ungern einer Mehrheitsmeinung unterordnet, wenn er diese nicht nachvollziehen kann – insbesondere wenn es um das Thema Corona geht. Seine kritische Haltung gegenüber den «unverhältnismässigen» Massnahmen äusserte er schon mehrfach in Leserbriefen. Gleichzeitig nimmt Rechsteiner an Coronademos teil und kämpft mit einer umstrittenen Initiative gegen eine Zweiklassengesellschaft in Innerrhoden. Doch wer ist Josef Rechsteiner?Schreinermeister und Hobby-HistorikerAls 20-Jähriger wanderte Josef Rechsteiner nach Bremerhaven aus, weil es ihm in Appenzell zu eng war. Später fand er wieder zurück in seine Heimat. Seit 1990 ist er Inhaber einer Schreinerei in Meistersrüte. Der dreifache Vater ist gläubig und geschichtsinteressiert. Besonders faszinieren ihn die Reformation sowie die Landteilung. Über Letztere hat er 1997 ein Buch veröffentlicht. Zudem hält Rechsteiner Vorträge und macht Dorfführungen zu diesem Thema.Doch auch die Coronapolitik sei mittlerweile zu einem Hobby geworden, sagt Rechsteiner und lacht. Andere lesen in ihrer Freizeit Krimis – er liest Zeitungsartikel, Bundesratsentscheide, Gesetzestexte und analysiert Statistiken. Und dies täglich während zweier Stunden.Das Fazit seiner Recherchen: «Bei der Coronapolitik geht es am Ende nur um die Aushebelung der Bürgerrechte.» Zudem werde die Wirtschaft geschädigt und die Gesellschaft gespalten. Dafür macht Rechsteiner aber nicht nur den Bundesrat verantwortlich. Auch den Kantonsregierungen stellt er ein schlechtes Zeugnis aus. Die Innerrhoder Regierung etwa reagiere viel zu vorsichtig. Wenn es nach Rechsteiner geht, hätte die Landsgemeinde im April problemlos durchgeführt werden können: «In Innerrhoden ist die Pandemie längst vorbei: Seit Dezember ist niemand im Kanton mehr mit oder an Corona gestorben.»Covid-Zertifikat ist ihm ein Dorn im AugeCorona hält Rechsteiner trotz weltweit über 3,8 Millionen Toten für eine «schwere Grippe». Er habe keine Angst vor einer Erkrankung, impfen lassen will er sich nicht, auf eine Maskenpflicht in seinem Betrieb verzichtet er.Was Rechsteiner an der Pandemie aber am meisten stört, sind nicht die Masken, sondern die «Beschränkung der freien Meinungsäusserung», wie er es nennt. Durch sein historisches Interesse sei er gewissermassen «sensibilisiert» darauf, wie in der Geschichte mit «Andersdenkenden» umgegangen werde: «Es gab eine Zeit, in der im Appenzellerland drei christliche Konfessionen friedlich nebeneinander leben konnten. Doch dann liessen sich 1588 die Kapuziner nieder und in Innerrhoden durfte nur noch wohnen, wer katholisch war.»Gemäss Rechsteiner droht aktuell ein Rückschritt in eine Zweiklassengesellschaft. Nur dass es nicht um Fragen der Konfession gehe, sondern darum, ob man gegen Covid-19 geimpft sei oder nicht. Aus diesem Grund ist ihm das Covid-Zertifikat ein Dorn im Auge. «Über Auffahrt machte ich mit meiner Familie einen Ausflug ins Vorarlbergische. In den Restaurants bekamen wir jedoch kein Essen, weil wir uns vorher nicht testen liessen.» Aus Angst davor, dass das «Vorarlberger Modell» auch in der Schweiz Schule machen könnte, habe er die Initiative «Für eine Landsgemeindeteilnahme ohne Covid-Zertifikat» eingereicht. Mit dieser will Rechsteiner erreichen, dass alle Personen an der Landsgemeinde teilnehmen dürfen – auch Ungeimpfte oder solche, die sich nicht vorher testen lassen wollen. «Es kann nicht sein, dass man sich mit einer Impfung gewisse Freiheiten erkaufen muss.»Die Innerrhoder Parteien und Verbände kritisieren die Initiative: Sie sei «unnötig», weil noch nicht klar sei, ob das Covid-Zertifikat für die Landsgemeinde überhaupt zum Einsatz kommen werde.Er geht an Demos und organisiert KundgebungenSeit vergangenem Herbst nimmt Rechsteiner regelmässig an Coronademos teil, er war in Liestal und Anfang Juni auch in Appenzell. In seinem Heimatdorf organisiert er zudem im Dreiwochenabstand kleinere Kundgebungen, die er «Spaziergänge durch Appenzell» nennt. «Mittlerweile ist die Gruppe der Teilnehmenden auf 40 Personen herangewachsen», erzählt Rechsteiner. Das Ziel: Ein Zeichen setzen für Versammlungsfreiheit, Gewerbefreiheit, Handelsfreiheit, Singfreiheit und gegen Impfprivilegien.Dass man in der Schweiz für die Grundrechte auf die Strasse gehen müsse, sei nicht normal, so Rechsteiner. Man sei sich das nicht gewohnt, vor allem nicht in Appenzell Innerrhoden. Dennoch bekomme er viele positive Reaktionen. «Auch wenn es Leute gibt, die nicht mehr mit mir über Corona sprechen wollen.» Auch auf seine kritischen Leserbriefe erhalte er meist positives Feedback. In einem dieser Briefe kritisierte Rechsteiner Bundesrat Alain Berset, der die Grundrechte «mit Füssen» trete. Ebenso forderte er einst den Rücktritt des Ausserrhoder Gesundheitsdirektors Yves Noël Balmer nach der Entlassung des stellvertretenden Kantonsarztes Rainer Fischbacher, der die Politik des Bundesrates kritisierte.Innerrhoder seien von Natur aus kritischSkepsis gegenüber der Coronapolitik ist in Innerrhoden weit verbreitet. Bei der Abstimmung am 13. Juni verzeichnete der Kanton mit 60,8 Prozent schweizweit die höchste Ablehnung des Covid-Gesetzes. Eine gewisse kritische Haltung sei den Innerrhodern schon immer eigen gewesen, meint Rechsteiner, das sei durch die Landsgemeindetradition entstanden: «Wer an der Landsgemeinde seine Hand hochhält, muss sich seiner Meinung sicher sein und sich vorab kritisch mit den Vorlagen auseinandersetzen.»Als Coronaskeptiker oder Coronaleugner will Rechsteiner aber nicht bezeichnet werden. Er habe Mühe damit, dass man sofort «gebrandmarkt» werde, nur weil man nicht der «Mehrheitsmeinung des Bundesrats» folge. Aber was ist Rechsteiner dann? Er sieht sich als «Forscher und Entwickler», der den Sachen auf den Grund gehen will. «Viele Leute sind einfach zu bequem und zu formbrav, sie glauben alles, was man ihnen auftischt. Ich ticke da halt ein bisschen anders.»

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