22.10.2018

Die Büezer gaben den Ton an

Die Novemberrevolution 1918 führte auch in der Region zu Streiks. Drei Tage kämpfte die Arbeiterschaft in Rorschach für besseren Lohn und die Achtstunden-Schicht. In der Region verliefen diese Auseinandersetzungen friedlich.

Von Ramona Riedener
aktualisiert am 03.11.2022
«Der Sack bleibt da.» Nach diesem Befehl von Johann Högger kapitulierte am 12. November 1918 Caveli, der Verleger der «Rorschacher Zeitung».  Zuvor sollte der 15-jährige Ausläufer Ernst Walser den Sack mit den Zeitungen zur Post bringen. Dieser aber wurde von zwei Streikenden in der Signalstasse abgefangen. Der Maschinensetzer Ernst Gruber nahm dem Jungen den Sack weg und brachte ihn in die Druckerei zurück. Darauf machte sich der Verleger Cavelti mit dem Setzerlehrling Langenauer persönlich auf den Weg. Auch diese werden von der Auslieferung der Zeitung abgehalten. 700 Arbeiter zogen vom Hafenplatz los Einige Stunden vorher versammelten sich an diesem Dienstagmorgen auf dem Hafenplatz in Rorschach rund 700 Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Nachricht vom Generalstreik ist auch in die Ostschweiz angekommen. Nachdem die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs die arbeitende Bevölkerung in tiefe Not geführt hat, steuerte die Schweiz auf ihre grösste Wirtschaftskrise zu. Während es in einigen Städten bereits brodelte und zu Protestaktionen und Warnstreiks gekommen war, lief es in Rorschach vorerst noch in geordneten Bahnen. Deshalb wurde in der Arbeiterstadt am See nur drei, statt dreieinhalb Tage gestreikt.  Nach der Ansprache von Johann Högger, dem Präsidenten der Arbeiterunion, bewegte sich der Demozug der Streikenden vom Hafenplatz zur Druckerei Löpfe-Benz und Verleger Cavelti, wo es zur dokumentierten Geschichte mit dem Postsack kam.  Die Streikenden zogen nun von Betrieb zu Betrieb und forderten von den Patronen die Betriebsschliessung. So auch im grössten Rorschacher Textilbetrieb Feldmühle. Dort ging Streikführer Högger direkt zu Direktor Loeb ins Chefbüro. Er müsse schliessen, sonst könne man für nichts garantieren, soll der unterschwellige Drohratschlag des Streikführers gewesen sein. Loeb kapitulierte und schloss die Pforten seiner Fabrik. Arbeiterinnen folgten dem Streikzug Wirkung zeigte dieser Satz auch im Stickereibetrieb Zürn, wo es der Chef den Arbeiterinnen überliess, ob sie bleiben oder dem Streikzug folgen wollen. Beeindruckt von den Worten «In der ganzen Welt findet eine Umwälzung statt. Man will mehr Lohn und den Achtstundentag», legten die Stickerinnen ihre Arbeit nieder.  Der zweite Streiktag beginnt wieder mit einer Ansprache von Högger auf dem Hafenplatz. Empörung unter den Streikenden breitet sich aus, weil in vielen Betrieben in der Umgebung immer noch gearbeitet wird. Das möchte man ändern und setzt den Demozug über die Stadtgrenze hinaus fort, zu Betrieben wie der Sägerei Stürm, Marmorsäge Schmid und Zuber, Stickerei Union und Textilwerke Blumenegg. Mit mehr oder weniger Widerstand willigen die Betriebe schlussendlich in die Schliessung ein. Drei Tage lang gaben in Rorschach die Büezer den Ton an. Die Entschlossenheit der Streikenden hatte genügt, die Stadt im Streik lahmzulegen. Dies geschah, im Gegensatz zu anderen Städten, ohne Gewalttätigkeiten und ohne Militäreinsatz. Trotzdem wurden später acht Streikende wegen Nötigung vor Bezirksgericht angeklagt. Dieses verurteilte am 8. Mai 1919 vier von ihnen zu einer Busse von 30 Franken. Die anderen Angeklagten wurden wegen Mangel an Beweisen freigesprochen. Keine Kapitulation, sondern Erfolg auf Raten Am 16. November geben die Christlich Sozialen und die Kommission der Freisinnigen, konservativen Demokraten den Arbeitgebern von Rorschach in der «Rorschacher Zeitung» Empfehlungen mit auf den Weg, wie sie mit allfälligen Streikenden verfahren sollen. Insgesamt legten rund 250000 Arbeiterinnen und Arbeiter in der ganzen Schweiz die Arbeit nieder. Als das Oltener Aktionskomitee in der Nacht auf den 14. November unter Druck den Streikabbruch beschloss, sah es wie eine Kapitulation aus, denn zu diesem Zeitpunkt wurde auf keine der neuen Forderungen eingegangen. Während das Frauenstimmrecht und die AHV noch einige Jahrzehnte Zeit brauchten, wurde bereits 1919 der Achtstundentag und somit die geforderte 48-Stunden-Woche eingeführt. Früchte trug der Generalstreik auch für die Sozialpartnerschaften und die sozialen Reformen.

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