26.05.2021

Der Wolf kann überall auftauchen

Der Herdenschutzbeauftragte Sven Baumgartner sagt: «Ohne Grundschutz sind Risse überall möglich.»

Von Interview: Reto Wälter
aktualisiert am 03.11.2022
Der Wolf geht um. Im St. Galler Rheintal in Altstätten und den angrenzenden Gebieten in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden wurden im vergangenen November elf Schafe und eine Ziege von Wölfen getötet sowie fünf weitere Schafe verletzt. In Innerrhoden kamen seit März der Wolfsriss einer Geiss und einer Hirschkuh dazu. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass unterschiedliche Wölfe dafür verantwortlich waren. In St. Gallen ist Sven Baumgartner Herdenschutzbeauftragter, seit der Wolf im Kanton ein Thema ist. Im Interview erklärt er, wie Nutztiere geschützt werden.Sven Baumgartner, bisher waren die Wölfe im Rheintal und Vorderland vor allem in bergnahen Gebieten aktiv, sozusagen in den schwach bewohnten Ausläufern des Alpsteins. Muss man annehmen, dass er bald auch vermehrt im Flachland anzutreffen ist und durch die Gemeinden des Rheintals streift?Der Wolf ist bereits überall anzutreffen und konnte im Rheintal nicht nur in den bergnahen Gemeinden, sondern beispielsweise auch in St. Margrethen nachgewiesen werden. Man kann das unter www.kora.ch nachsehen. Diese Stiftung überwacht unter anderem die Entwicklung der Raubtierpopulation in der Schweiz. Dazu kommt, dass er sich nicht auf bergige oder waldnahe Gebiete beschränkt, sondern sich auch auf Strassen und Wegen bewegt, sich in Dörfer und Städte wagt und um Häuser und Gärten streicht – sogar schon in Hauseingängen wurde er gesichtet. Auch in der Stadt St. Gallen trieben sich übrigens schon Wölfe herum.Ist vor allem Kleinvieh wie Schafe und Ziegen gefährdet oder müssen auch grössere Tiere, etwa Kühe oder Pferde, geschützt werden?Bisher rissen die Wölfe vor allem Kleinvieh, in St. Gallen ausschliesslich. Es gab in anderen Kantonen aber schon Fälle, in denen er Kälber riss. Das Verhalten, etwa von Kühen, ist aber anders. Die Gegenwehr ist grösser oder sie brennen im Notfall auch durch.Wie werden die Tiere heutzutage geschützt?Für den Grundschutz reicht ein 90 Zentimeter hoher Elektrozaun, der mit 3000 Volt unter Strom gesetzt werden muss. Noch besser ist trotzdem, wenn der Zaun höher ist: 1,05 bis 1,08 Meter. Wenn der Wolf an einem Ort zugeschlagen hat, werde ich aufgeboten und dann wird die Situation vor Ort beurteilt und entsprechende Massnahmen werden umgesetzt.Der Wolf scheut Strom und springt bisher nicht über Zäune. Er drückt sie nieder oder kriecht unten durch. Wie war die Situation bei den Rissen hier in der Region?Die Weiden waren, in Bezug auf den Wolf, nicht gesichert.Der Wolf tritt einzeln, in Kleingruppen oder Rudeln auf und legt sehr weite Strecken zurück. Dazu ist er ein sehr lernfähiges Tier, also schwierig einzuschätzen. Eine probate Schutzmassnahme, eigentlich weltweit, ist der Herdenschutzhund. In der Schweiz wird er eher selten eingesetzt. Wieso?Man kann die Länder nicht einfach miteinander vergleichen. Die Bedingungen sind überall unterschiedlich.Es ist klar, dass etwa Italien mit über 4000 Wölfen eine andere Ausgangslage hat als die Schweiz mit nicht einmal 100 Tieren. Trotzdem wäre der Einsatz von Herdenschutzhunden doch eine verhältnismässig einfache Lösung.Das stimmt für die Schweiz definitiv nicht: Damit das funktioniert, müssen viele Voraussetzungen gegeben sein. Das fängt schon beim Besitzer an, der bereit sein muss, einen beträchtlichen Mehraufwand auf sich zu nehmen. Nicht nur er muss es mit Hunden können, auch für die Nachbarn muss es stimmen. Führt etwa ein Wanderweg oder eine Strasse durch den Hof oder an ihm vorbei, wird es schon schwierig. Dann hat auch nicht jeder Landwirt an grossen Hundehaufen auf seinem Land Freude. Weiter gibt es viele Auflagen von Gesetzesseite her, die erfüllt sein müssen. Von der Beratung bis zum Einsatz der Herdenschutzhunde dauert es in der Regel zwei Jahre.Muss in Zukunft eher mit einer Verschärfung der Probleme mit dem Wolf gerechnet werden?Meine Aufgabe ist es, die Nutztiere jetzt zu schützen, und das wird gemacht. Einerseits, indem die Landwirte informiert werden, und andererseits mit den erwähnten Massnahmen. Es ist natürlich wichtig, diese laufend der Entwicklung anzupassen, damit sich das Problem in Bezug auf die Nutztiere eben nicht verschärft.

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.