26.05.2022

Der Wasserschmöcker aus Gais

Eine Wasserquelle fachgerecht zu fassen ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Der Landwirt Johannes Bodenmann – ehemaliger Wirt im «Unteren Gäbris» – hat das Handwerk vor 25 Jahren erlernt.

Von Karin Erni
aktualisiert am 02.11.2022
Bei der Suche nach einer Quelle komme ihm seine Strahlenfühligkeit zugute, sagt Johannes Bodenmann. «Ich habe als Kind unruhig geschlafen. Es hiess, ich sei halt ein Zabli.» Erst als er nicht mehr im Elternhaus übernachtete, habe er völlig ruhige Nächte erlebt. Eine Pendlerin habe dann tatsächlich unter seinem Kinderzimmer eine Wasserader festgestellt. Die Frau habe ihm gesagt, dass er auch pendeln könne, erinnert sich Bodenmann. Zuerst habe er es mit einem Ring an einer Schnur probiert, doch das Pendel sei für ihn zu klein und leicht gewesen. Mit einer defekten Taschenuhr an einer Kette habe er dann treffende Resultate erzielt, so der Wasserschmöcker.An diesem regnerischen Tag steht er auf einer Wiese oberhalb des Dorfzentrums. Er lässt die Uhr an der Kette baumeln und geht herum. An einer Stelle beginnt sie kraftvoll zu drehen. «Hier tritt das Wasser aus», sagt Bodenmann. Er fasse die Quelle nur bei «obsigendem» (aufsteigendem) Mond und wenn er im Sternzeichen Fische stehe, sagt er. Die entsprechenden Symbole finden sich in Bauernkalendern und zeigten der Landbevölkerung während Jahrhunderten an, wann welche Arbeiten am besten zu erledigen sind.Weniger Grabarbeit dank der Suche mit dem PendelInzwischen ist auch die Liegenschaftsbesitzerin Monika Seitz eingetroffen und bringt heissen Kaffee. Sie nutzt die Wiese zur Gewinnung von Ökoheu für ihre Pensionspferde. Beim Mähen sei aufgefallen, dass der Boden an einer Stelle durch austretendes Wasser durchweicht sei. Sie habe Johannes Bodenmann um Rat gefragt. Dieser hat mit dem Pendel zwei Orte definiert, an denen die Quelle gefasst werden könnte. Aus praktischen Gründen entschied man sich für den unteren Punkt. Etwa 20 Meter ob der nassen Stelle in der Wiese wird mit dem Bagger ein Graben ausgehoben. Tatsächlich befindet sich in etwa drei Meter Tiefe ein Felsbrocken, unter dem Wasser austritt. Eine sprudelnde Quelle stellt sich der Laie allerdings etwas anders vor. «Das täuscht», sagt Bodenmann. «Wenn eine Quelle nach so langer Trockenheit noch Wasser bringt, dann ist sie ergiebig und liefert zuverlässig.»[caption_left:Eine alte Taschenuhr mit Kette dient Johannes Bodenmann als Pendel. Wenn die Quelle lokalisiert ist, beginnt er mit der Fassung des Wassers. ]Monika Seitz sagt, sie habe das ausgetretene Wasser im Vorfeld bereits analysieren lassen. «Das Resultat war sehr gut. Das hat mich bewogen, die Investition auf mich zu nehmen und die Quelle fassen zu lassen.» Je nach Lage der Quelle und der verwendeten Materialien kann ein solches Unterfangen schnell mehrere Tausend Franken kosten. «Aber mit dieser Quelle werden wir unabhängig vom öffentlichen Leitungsnetz – und das ist in der heutigen Zeit ein wichtiger Faktor», so die Gaiserin.Eintrag von Schadstoffen verhindernBei der eigentlichen Quellfassung ist Handarbeit angesagt. Vorsichtig befreit Johannes Bodenmann die Quelle vom letzten Erdreich. Dann errichtet er einen halbkreisförmigen Wall aus Lehm darum herum. «Normalerweise forme ich einen Ring, das geht hier nicht, wegen des Steins», erklärt der Fachmann. Als Baumaterial verwendet er ungebrannte Lehmziegel. Diese bezieht er von der Ziegelei Fisibach im Kanton Aargau. «Der Lehm muss naturbelassen sein, sonst dichtet er nicht richtig», erklärt er, während er die Masse immer wieder zusammendrückt. «Früher habe ich alles von Hand mit einem Schlegel gemacht, heute benutze ich einen Motorstampfer.» Das Fassungsrohr wird genau eingepasst und abgedichtet.Schliesslich bringt der Bagger eine Schaufel voller Bollensteine. «Wir nehmen Furna-Geröll, aber es ginge auch mit anderen sauberen Steinen, ausser Sandstein, der löst sich auf.» Mit den Steinen wird das Quellbecken ausgelegt und anschliessend mit einem Vlies abgedeckt. «Ich will sicher gehen, dass kein Oberflächenwasser eindringt. Dieses kann Schadstoffe enthalten und das Wasser verunreinigen», erklärt Bodenmann. Zum Schluss wird das Ganze mit einem Deckel aus Lehm abgedichtet.Bereits über 200 Quellen gefasstNeugierig geht Johannes Bodenmann zum Ende der Röhre und begutachtet sein Werk. Nur leicht getrübt plätschert das Wasser ins Freie. Er wäscht sich darin die lehmigen Hände und holt einen Messeimer. Monika Seitz stoppt die Zeit. Während er seine Hände am Kaffee wärmt, stellt er fest: «Vier Liter pro Minute, das ist sehr gut.»Das Handwerk habe er beim Gaiser Förster Krüsi gelernt, erzählt Bodenmann. «Ich wollte von ihm eine Quelle beim Unteren Gäbris fassen lassen. Er meinte, ich müsse das selbst machen, er sage mir wie.» So habe er die ersten Fassungen unter Anleitung durchgeführt, danach machte er es selbstständig. Mittlerweile hat er schon weit über 200 Quellen gefasst. Seine Arbeit ist begehrt, er erhält Anfragen aus der ganzen Ostschweiz.Die Arbeit an einer Quelle sei für ihn eigentlich ungeeignet, da er auf die Strahlen empfindlich reagiere, sagt Bodenmann. «Ich nehme nun zu Hause gleich ein sehr heisses Bad, das hilft etwas. Trotzdem fühle ich mich jeweils ein paar Tage wie gerädert.»Warum er den harten und nassen Job doch immer wieder macht, kann er sich auch nicht so recht erklären. «Es ist fast wie eine Sucht. Ich will es einfach immer und immer wieder erleben, wie das Wasser sauber und klar aus dem Rohr fliesst.»

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.