28.09.2018

Der unverbesserliche Gassendealer

Was tun mit einem 48-Jährigen, der seit Jahrzehnten harte Drogen zu sich nimmt, viele Male als Gassendealer verurteilt wurde und ein x-tes Mal vor Gericht steht? Härte oder eher Milde walten lassen?

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererEine Antwort hatte am Mittwoch das Kreisgericht Rheintal in Altstätten zu finden.Schon bevor die Verhandlung anfängt, sagt ausserhalb des Gerichtssaals der Angeklagte zu seinem Pflichtverteidiger: «I bi echli nervös.» Das sei normal, entgegnet dieser. Zum Journalisten meint der Angeklagte: «Schribet dänn nöd allzu schlecht über mi, en schlechte Mensch bin i nöd.»Der Mann, dessen ungesunde Vergangenheit sich ins Gesicht gefressen hat, blickt auf eine gute Kindheit zurück, auf drei abgeschlossene Berufslehren, auf zehn Jahre Angestelltentätigkeit am Stück. Aber auch auf Schicksalsschläge. Die erste Freundin, die seine Frau werden sollte, beging Selbstmord. Später fiel sein Jobverlust, an dem der Angeklagte keine Schuld trug, praktisch mit dem Tod der Mutter zusammen. «I ha nüt gwüsst, als wieder z’drögele.»Angefangen, weil er sich «für unzerstörbar hielt»Warum er überhaupt mit Drogen anfing, vor dem ersten Schicksalsschlag, als alles noch in Ordnung war und alles klappte? Damals, als junger Mann, der als Stammspieler in einer Fussballmannschaft spielte.Weil er es probieren wollte. Weil er sich «für unzerstörbar hielt». Er dachte, er vertrage das. In Zürich, auf dem Platzspitz, seien einem Drogen nicht verboten vorgekommen, sagt der Mann den Richtern, «denn da spritzten alle auf der Strasse». Das war in der Zeit bis 1992, sechs Jahre lang; bis zu 3000 Drogenabhängige hätten sich täglich auf dem Platzspitz aufgehalten, ist in der Ausgabe des Zürcher Tagesanzeigers vom 4. 2. 2017 zu lesen.Die Drogenkarriere des Angeklagten lässt sich so zusammenfassen: Start mit dem Drogenkonsum aus Neugier. Tod der Freundin, als der Angeklagte 24 Jahre alt ist. Erster grosser Absturz. Zwischendurch eine gewisse Erholung. Immer mindestens Marihuana am Konsumieren, nur Outdoor-Marihuana, wie der Angeklagte wiederholt betont. Tod der Mutter vor drei Jahren, erneut Absturz – und zur Finanzierung seiner Sucht verkauft der Angeklagte halt auch diesmal Drogen: 260 Gramm Heroin und 260 Gramm Kokain vom März 2017 bis im September dieses Jahres. Das ist der Hauptanklagepunkt.Der Angeklagte sagt: «Weil die verkauften Drogen verboten sind, stehe ich immer wieder an.» Dann zaubert er diesen Satz hervor: «Ich halte mich für intelligent genug, um zu wissen, dass das nicht das Leben ist, das ich führen will.» Nun sagt er auch den Richtern, ein schlechter Mensch sei er nicht. Bekomme er eine Chance, packe er die, fügt er hinzu, den Tränen nahe. Schon am Anfang der Verhandlung hatte er die Richter vorgewarnt; er sei «nah am Wasser gebaut».Der Staatsanwalt kennt kein Pardon. Unverbesserlich sei der Mann, sein Verschulden schwer. In 13 Jahren sei er 18-mal verurteilt worden, drei Jahre habe er insgesamt in Haft verbracht, von den weiteren Punkten im «beträchtlichen Vorstrafenregister» ganz zu schweigen. Im Verfahren habe er die Polizei und Gefängnispersonal beleidigt. Der Staatsanwalt verlangt: 27 Monate, alle absitzen, dazu eine Busse von 5000 Franken.Der Pflichtverteidiger spricht von der letzten Chance. Das heisst: 24 Monate auf Bewährung, bei einer Probezeit von fünf Jahren. Ohne Rückfall in dieser Zeit solle der Mann nicht ins Gefängnis. Dazu eine Busse von 3000 Franken, der Mann habe ohnehin bloss Schulden, dem Steueramt gegenüber.In jungen Jahren hatte er 50000 Franken auf der Seite, später, in seinem Angestelltenjahrzehnt, gelang es ihm, Schulden von 35000 Franken abzustottern, nun ist er auch finanziell wieder im Tief. Nun also wieder Schulden abbezahlen? Dazu meint der Angeklagte: «Ich kann es nochmals machen, aber natürlich nicht gern.» Er lebt zurzeit vom Sozialamt.Fürs nächste Jahr hat er einen Vertrag im Sack. Zusammen mit seiner heutigen Freundin, die zusammen mit einer Kollegin ein Geschäft betreibt, möchte er, als Betriebsleiter, sechs Monate auf der Alp verbringen. Um bis dahin ebenfalls Arbeit zu haben, hatte sich der Angeklagte für einen Job beworben, der ihm nicht zusagt. Warum er das tat? «Um vor Gericht gut dazustehen.» – «Ehrlich sind Sie», sagte Gerichtspräsident Mark Schärz.Das Kiffen aufzugeben, habe er nicht vorDie Zukunft sieht der Angeklagte zuversichtlich. «Es chunnt, wie’s chunnt, aber i gseh’s guet.» Den Rank finde er schon noch im Leben. Er werde sicher keine Kinder haben, sehe sich auf einem Bauernhof am Schweinezüchten, mit der Freundin, vorzugsweise in der Innerschweiz.Er kifft und hat nicht vor, mit Kiffen aufzuhören, ist im Methadonprogramm mit hoher Dosis. Auch in dieser Hinsicht ist er ehrlich: Manchmal schnupfe er halt trotzdem noch ein bisschen Heroin dazu. Auf Kokain verzichte er inzwischen ganz. Und doch: «Wenn jemand mir was hinhält, nehme ich auch das.»Das Gericht befindet, ohne Zeit hinter Gitter gehe es nicht. Aber es wertet die Kooperation des Angeklagten im Verfahren und seine Ehrlichkeit vor Gericht stark genug, um eine Gefängnisstrafe von «nur» 24 Monaten auszusprechen, was grundsätzlich den bedingten Vollzug möglich macht. Doch das Gericht ist sich «nicht sicher, wie ernst es dem Mann wirklich ist», weshalb es mit einem Schuss vor den Bug nicht getan, sondern ein Schuss in den Bug nötig sei.Für die Hälfte der zweijährigen Gefängnisstrafe gewährt das Gericht den «Bedingten», bei einer Probezeit von vier Jahren. Das andere Jahr muss der Beschuldigte absitzen. Die Verfahrenskosten von fast 21000 Franken hat er ebenso zu bezahlen wie eine Busse von 3100 Franken.Er akzeptiere das, sagt der Bestrafte. Er habe das Gericht nicht angelogen, sagt er und ergänzt: «Dass ich deliktfrei leben kann, muss ich beweisen», sonst hingegen müsse er niemandem etwas beweisen.Den Rat, sich mit einer Therapie helfen zu lassen, lehnt der Mann ab; er kenne niemanden, der mit einer Therapie drogenfrei geworden wäre. Worauf der Gerichtspräsident rhetorisch fragt: «Kennen Sie denn einen, der es ohne Therapie geschafft hat, clean zu werden?»

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