29.10.2018

Der treue Herr Matheisl

Karl Matheisl feiert ein bemerkenswertes Jubiläum. Vor einem halben Jahrhundert übernahm er die Leitung des katholischen Kirchenchores. «Ohne das Verständnis meiner Frau hätte ich es nicht machen können.»

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Hildegard BickelDer 72-Jährige ist zwar im Ruhestand, doch der Tag beginnt für ihn früh. Die zwei Hunde wollen an die frische Luft. Später, bei einer Tasse Kaffee in der Küche zu Hause in Lustenau, schaut er auf seine prägende Tätigkeit als Chorleiter in Balgach zurück. Das Geheimnis, Rezept, oder wie auch immer man dazu sagen will, wie solch eine treue Verbundenheit entsteht, beantwortet Karl Matheisl in einfachen Worten: «Es war und ist immer ein Dürfen.»Sein Weg führte früh zur MusikSchon als Kind fühlte sich Karl Matheisl mit der Kirche musikalisch verbunden. In Bludenz aufgewachsen, war er als Sechsjähriger Sängerknabe, mit neun Jahren lernte er Klavier und bereits mit zwölf Jahren durfte er Lieder im Gottesdienst am Harmonium begleiten. Es dauerte nicht lange, da beherrschte er auch das Or­gelspiel. Täglich übte er in seinen Jugendjahren. «Andere spielten Fussball oder waren auf dem Besen», sagt Karl Matheisl und grinst.Er verfolgte andere Pläne. Ein Musikstudium schwebte ihm vor. Er bezeichnet es als grosses Opfer seitens seiner Eltern. «Als jüngstes von vier Kindern in den Nachkriegsjahren war es nicht selbstverständlich, studieren zu dürfen.» Man sagte ihm, Musiker sei ein Hungerleiderberuf. «Lern zuerst etwas Gescheites.» Diese Weisung der Eltern befolgte er und absolvierte nach der Schule eine Elektrikerausbildung. Danach wechselte er nahtlos an die Akademie für Kirchenmusik und Musikerziehung nach Regensburg.1968 begann die Balgacher ÄraNach dem Studienabschluss erwies sich das Jahr 1968 als wegweisend für die Zukunft Karl Matheisls. Der 22-Jährige, der damals auch noch den Militärdienst zu leisten hatte, heiratete seine Frau Maria Luise. Im selben Jahr erreichte ihn eine Anfrage von ennet dem Rhein, aus Balgach. Dort suche man einen Nachfolger für den abtretenden Dirigenten Robert Steinmann.Vermittelt hat der ehemalige Direktor der Musikschule Lustenau, der dem damaligen Kirchenratspräsidenten Ludwig Oehler und dem Chormitglied Kurt Oesch mitteilten konnte, dass einer fertig geworden sei mit dem Musikstudium, die Gelegenheit wäre günstig. Karl Matheisl erinnert sich, dass er direkt aus der Kaserne zum Gespräch erschien. Die Chemie stimmte: «Wir waren uns gegenseitig nicht abgeneigt.» Nach einer «Schnupperprobe» im Sommer konnte sich die Zusammenarbeit entfalten. Von Anfang an wurde Karl Math­eisl als Fachkraft geschätzt. Er habe zwar stürmisch und streng mit den Proben losgelegt, gibt er zu. Manch ein Mitglied war nicht bereit, den Wechsel des Chorleiters mitzumachen.Pflichtbewusst über den Rhein gependeltDoch der junge Musiker strebte nach Erfolg. Der Gedanke, mit den Sängerinnen und Sängern ein Werk zu gestalten und zu entwickeln, treibt ihn bis heute an. Er verlangt viel. Aufmerksamkeit, Präzision und Durchhaltevermögen. Wöchentlich wird in Balgach geprobt.Früher, als junger Ehemann und Familienvater, erlaubte er sich nicht, danach noch einzukehren und die Geselligkeit zu pflegen. «Erstens hatte ich dafür kein Geld übrig und zweitens wartete zu Hause meine Frau auf mich.» Nur dank ihrem Verständnis konnte er sich die häufige Abwesenheit zu Hause leisten und seiner Leidenschaft nachgehen.Die Balgacher wiederum dankten es auf ihre Weise. Als Karl Matheisl noch kein eigenes Auto hatte, holten und brachten sie ihn jeweils über den Rhein. Durch dieses Wohlwollen und Vertrauen wuchsen die Chormitglieder und ihr Dirigent wie zu einer Familie zusammen. Trotzdem herrschte noch lange eine gewisse Distanz, weil man einander mit «Sie» ansprach. Für Herr Matheisl war das dazumal normal, heute jedoch kaum denkbar.Das Hobby zum Beruf gemachtHauptberuflich unterrichtete er ab 1968 als Musikpädagoge an der Rheintalischen Musikschule Lustenau, zu deren Direktor er 1987 ernannt wurde.Viele hätten bei seiner Pensionierung zu ihm gesagt, er habe keinen Beruf gehabt, nur ein Hobby. «Was kann einem Schöneres passieren.» Das würden auch die Menschen spüren, mit denen er zusammenarbeitet. Für Karl Matheisl war es nie eine Busse, abends in die Chorprobe zu gehen. Auch wenn es vorkam, dass er manchmal müde von der Arbeit war, zeigte er stets vollen – «150-prozentigen» – Einsatz.Das Jubiläum feiern mit einem LieblingswerkNoch mehr mit Balgach verbunden ist er seit 1995. Damals suchte der evangelische Kirchenchor einen neuen Dirigenten. Karl Matheisl übernahm kurzfristig und blieb. Ein Glücksfall für den Chor. So konnten sich die Katholischen und Reformierten als gemeinsamer Chor von Zeit zu Zeit an die Aufführung grösserer Werke wagen. Solch ein Zeitpunkt ist nun zum 50-Jahr-Jubiläum von Karl Matheisl gegeben.Er wünschte sich «Das Lied von der Glocke» nach Fried­- rich Schiller einzustudieren. Ein Werk, das ihn sehr stark berührt, mit grossen Themen des Lebens wie Liebe, Erfolg, Leid, Tod. Der Chor überlässt ihm seit den 50 Jahren seiner Tätigkeit totale Freiheit bei der Wahl der Literatur. «Weil sie wissen, dass ich nichts verlange, was sie nicht schaffen können», sagt Matheisl. Das gehöre zum Erfolgsrezept. Nur dann stimme das Gesangserlebnis für die Einzelnen. Und das Publikum. Denn unter der Leitung des Vorarlbergers hat sich der Balgacher Kirchenchor einen Namen über die Gemeindegrenzen hinaus gemacht.Hinweis«Das Lied von der Glocke», am Sonntag, 11. November, 17 Uhr, in der katholischen Kirche, Balgach. Vorverkauf: Raiffeisenbank Mit­telrheintal, Balgach, und Alpha Rheintal Bank, Balgach.

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.