Bei der Hitze der letzten Tage erinnert man sich kaum noch an den Sommer 2013. Damals regnete es über Wochen, an manchen Tagen nahezu ohne Unterbruch. Die Böden hatten so viel Wasser aufgesaugt, wie sie vermochten. Dann, in der Nacht auf den 5. Juni, rutschte im Oberweidist der Hang auf einer Fläche von fast sieben Hektaren zum Brendenbach hin ab. Schier unvorstellbare 800 000 Kubikmeter Erdreich waren in Bewegung geraten.Danach schien das Unterste zuoberst gekehrt: metertiefe Spalten durchzogen die Weide, andernorts hatte sich hinter einem aufgeschobenen Erdwulst ein kleiner See aufgestaut, Obstbäume lagen am Boden, ein Weidstall hing plötzlich schräg im Hang, und weiter unten am Bach lagen Waldbäume, die zuvor am Hang über dem Bach gestanden hatten, kreuz und quer übereinander wie hingeworfene Mikadostäbchen. Ein surrealistischer Anblick.Der Hang ist bis heute nicht zur Ruhe gekommenZwar hat man ein Jahr nach dem Rutsch die Gräben zugeschüttet und einen Teil der früheren Weiden wieder ausgeebnet, so gut es ging. Ungeschehen machen konnte man das Ereignis aber nicht. Auf vernässten Stellen wachsen Seggen, andernorts wächst wenig bis gar nichts, weil sich noch kein neuer Humus gebildet hat. Die Narben, die der Rutsch im Hang hinterlassen hat, sind nicht verheilt. Der Hang wird auch nach wie vor überwacht – denn ganz zur Ruhe gekommen, ist er bis heute nicht.Die Hangüberwachung wurde nur Tage nach dem Rutsch eingerichtet. Dies möglichst rasch nach einem Ereignis zu tun, sei wichtig, sagt Roger Spiess, nur so bekomme man rasch verlässliche Informationen über weitere Bewegungen. Der Bauingenieur von der Grundbauberatung-Geoconsulting AG in St. Gallen beurteilt im Auftrag der Stadt Altstätten den Hang regelmässig.Zum einen hat man an drei Stellen Bohrungen vorgenommen, um den Bodenaufbau zu untersuchen und eine Verschiebungsmessung zu installieren, sogenannte Inklinometer, mit denen sich allfällige weitere Verschiebungen im Erdreich nachweisen lassen. Dies hat bereits zu einer überraschenden Erkenntnis geführt – nämlich, dass man im Oberweidist auf Höhe des Brendenwegs erst in einer Tiefe von rund 70 Metern auf kompaktes Gestein stösst und dass dort die Gleitfläche der Rutschung am tiefsten Punkt 48 Meter unter Terrain liegt.Damit war auch klar, dass sich der Hang mit Verbauungen nicht stabilisieren lässt – deren zusätzliches Gewicht würde im Gegenteil die Bewegung verstärken.Von den Inklinometern sind noch zwei funktionstüchtig. Eines wurde durch die anhaltende leichte Bewegung des Hangs abgewürgt. Ausserdem hat man 28 Messpunkte für geodätische Messungen (für Messungen mit Vermessungsgeräten) eingerichtet, die einmal im Jahr ausgemessen werden.Wesentlich häufiger kontrolliert und von Hand ausgemessen werden – von Mitarbeitern des Altstätter Bauamts – einige der insgesamt 19 Kontrollpunkte, wo Risse im Gelände und in Wegen festgestellt worden sind, aber auch am Stall der Familie Sonderegger unweit über der Abrisskante des Rutsches von 2013.Mehrere Zentimeter pro JahrDie Messreihen ergeben: Im Durchschnitt bewegt sich der Hang um etwa zweieinhalb Zentimeter pro Jahr. Innerhalb der Geländekammer gibt es aber auch Züge, die sich mehr bewegen. So verschiebt sich der Fahrweg beim Stall Sonderegger um durchschnittlich fast fünf Zentimeter im Jahr, und einige Meter weiter zum Brendenbachtobel hin senkt sich der Fahrweg an einer Stelle sogar um gut drei Zentimeter im Monat.In einem trockenen Jahr wie 2018 sind die Bewegungen im Gelände deutlich geringer. Wenn sich Spannungen im Boden ausgleichen, könne es aber auch dann zu spontanen Verschiebungen kommen, sagt Roger Spiess. In der Regel sind die Bewegungen aber bei länger anhaltendem Regen ausgeprägter.Weil die Stabilität des Hangs wesentlich vom Regen abhängt, wird der Niederschlag permanent mit einer für die Überwachung speziell eingerichteten Regenmessstation erfasst. Bei einer kritischen Niederschlagssumme wird die Stadt automatisch alarmiert. Kommt es dann zu einem Starkniederschlag über dem Gebiet, löst die Regenmessstation zusätzlich einen Alarm aus, auf den hin Mitarbeiter der Stadt das Rutschgebiet kontrollieren.Bei seiner jährlichen Begehung letzte Woche stellte Roger Spiess fest, dass der Hang momentan ruhig ist – was ihn wegen der Trockenheit diesen Sommer nicht wundert. Wirklich stabil dürfte der Hang aber kaum je werden, stellt er klar.Der Hang ist seit mindestens 40000 Jahren in BewegungEr ist es wohl nie gewesen: Roger Spiess liess an den bläulich verfärbten Überresten eines Baumstammes, den der Rutsch freigelegt hat, eine Radiokarbonanalyse vornehmen – die Altersbestimmung ergab, dass der Baum vor mehr als 40 000 Jahren verschüttet worden war. Bereits damals dürfte sich hier also ein grösserer Rutsch ereignet haben.