23.03.2021

Der Opa sah Bourbaki-Soldaten

Vor 150 Jahren kam die Bourbaki-Armee in die Schweiz. Damals wurden Steuern teils in der Beiz bezahlt.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Im vorletzten Jahrhundert wurde jeweils recht kurzfristig in der Zeitung bekannt gegeben, wo welche Steuern abzuliefern waren.Zum Beispiel in Marbach die Brandsteuer – am 9. Februar 1886, von 8 bis 12 Uhr im Rathaus. Es war «nur dieser Bezugstag festgesetzt». Rückstände wurden «ohne Bezugsgebühren sofort von Haus zu Haus eingezogen». (Da fragt man sich: Wieso sich hinbemühen, wenn der Kassier auch zu einem nach Hause kommt?)In Balgach war am gleichen Tag in der Wirtschaft zur Sonne die Polizei- und Armensteuer zu entrichten. Wer nicht erschien, hatte die Steuer mit einem Zuschlag zu bezahlen.Mohrenköpfe zwischen Blut- und LeberwürstenDen «wärmsten Dank» erhielt (per Inserat) aber nicht der Steuerzahler, sondern ausgerechnet die Feuerwehr, was Peter Seitz aus Balgach belustigt. Er hat bei einem Schopfabbruch alte Zeitungen gefunden, unter anderem den «Rheintalischen Allgemeinen Anzeiger» vom 6. Februar 1886. Dabei handelt es sich um einen Vorläufer der «Rheintalischen Volkszeitung», die ja ihrerseits im Jahr 2011 mit dem «Rheintaler» zusammenging.In der von Peter Seitz aufmerksam gelesenen Zeitung sind weitere Kuriositäten zu finden: Altstättens Einwohner werden als «verehrliche Einwohnerschaft von Stadt und Umgebung» angesprochen, und inmitten vieler Inserate für Blut- und Leberwürste wirbt ein Konditor für «Indianer-Kugeln, sogenannte Mohrenköpfe».Eine «grosse brillante Vorstellung des weltberühmten oberbaierischen Herkules und Preisringkämpfers Dietrich, König der Athleten» versprach das Gasthaus zu Drei-König. Es hiess, der Herkules «arbeitet mit 22 Zentnern, schaufelt mit 70-pfündigen Steinen und hebt unter anderem einen Stein im Gewicht von fünfeinhalb Zentnern mit einem Finger frei von Boden.» (Der Eintritt war übrigens frei.)Schweiz empfing 1871 die Bourbaki-ArmeeWeil der «Rheintaler» ein grosses Jubiläum feiert (175 Jahre), erscheinen dieses Jahr in loser Folge Beiträge, die sich auf Zeitungstexte von früher beziehen. Peter Seitz ist nur einer von mehreren Leserinnen und Lesern, die auf die Serie reagiert haben.Der Vizepräsident der Bernecker Museumskommission, Erich Gubelmann, erkundigte sich kürzlich, wann der nächste Beitrag erscheine, und der Altstätter Ueli Bietenhader schickte uns einen Text zur Bourbaki-Armee, die im Februar 1871 mit dem Einverständnis des Bundesrates in die Schweiz kam. Ueli Bietenhader schreibt, vor 125 Jahren (1896) habe der «Rheintaler» einen Bericht zum 25-Jahr-Gedenken des Einzugs der Bourbaki-Armee über die Schweizer Grenze im Februar 1871 veröffentlicht.Die Armee des französischen Generals Bourbaki habe sich nach erfolgloser Mission «in einem mehr als erbärmlichen Zustand» befunden.Die Bourbaki-Armee war losgezogen, um im Deutsch-Französischen Krieg die deutschen Truppen bei Belfort anzugreifen. Sie wurde aber zurückgeschlagen, zog sich zurück und wurde bei Pontarlier eingekesselt. Unter grossen Verlusten erreichte die Armee die Schweizer Grenze und erhielt militärisches Asyl. 87000 Soldaten kamen mit 12000 Pferden ins Land, nachdem sie Waffen, Munition und Material abgeben hatten.Ueli Bietenhaders Opa war dabeiFür Sonntag, 5. Februar 1871 war vom Hauptquartier in Neuenburg die Ankunft von 2000 Franzosen in der Stadt St. Gallen angezeigt. Die Kunde hiervon verbreitete sich schnell, und die Bevölkerung der Landschaft und des benachbarten Kantons Appenzell strömte in grossen Scharen daher, Tausende und Tausende, und wurde nicht müde, sechs, sieben und mehr Stunden der Ankunft der Franzosen am Bahnhof entgegenzuharren. Erst um 22 Uhr kamen sie endlich in einer Stärke von zirka 1000 Mann. Der Bahnhof war weit herum durch Militärmannschaft abgesperrt.Im Lesebuch für die zweite Stufe der Sekundarschulen des Kantons St. Gallen von 1904 war zu lesen: «Als die Internierten (...) sich anschickten, den Marsch gegen die Reitschule und die Kavalleriestellung anzutreten, da erscholl aus der zahlreichen Menschenmenge ein lautes: ‹Vive la France!›, dem ein guter Teil der unglücklichen Gäste nur ein dankbares ‹Vive la Suisse!› in gedämpftem Tone erwidern konnte. Viele Tränen herzlichen Mitleides sind da geflossen, und mancher Beutel wurde leer, und sein Inhalt wanderte in die Hände der armen Franzosen, die ihn mit Dank entgegennahmen.»Grossvater hätte gern Bourbaki-Gaul gehabtUeli Bietenhader bekam von seinem Grossvater, Ulrich Freund aus Bühler AR, erzählt, wie er in jenen Tagen als Bub an der Landstrasse gestanden und die vorbeiziehenden französischen Soldaten bewundert habe. Der Grossvater habe sich damals sehnlich gewünscht, einen Bourbaki-Gaul – eines der massiven Pferde – auf dem Bauernhof in der Göbsi zu haben, aber der Vater habe nichts davon wissen wollen, weil damals im Dorf Bühler kein Bauer mit einem Pferd gearbeitet habe.Ueli Bietenhader schreibt: «Da genügten noch Kühe, um einen Karren oder eine Mistbäne zu ziehen.»

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