16.03.2021

Der nachdenkliche Draufgänger

Gabriel Zweifel, 21-jähriger Boardercrosser aus Au, beendet seine Rennsportkarriere. Er setzt auf die Berufsbildung und Sport im Dorfverein.

Von Yves Solenthaler
aktualisiert am 03.11.2022
Die Schweizer Meisterschaft am Sonntag hätte das Abschiedsrennen von Gabriel Zweifel sein sollen. Aber der Schneefall an der Lenk führte zur Absage. «Das war nicht der Abschied, den ich mir wünschte», sagt Zweifel. Weil aber bereits das nationale Championat des letzten Jahres – wegen Corona – nicht durchgeführt wurde, tritt der Auer als Schweizer Vizemeister ab: 2019, an den letzten Titelkämpfen der Elite, hatte er die Silbermedaille gewonnen. Es war sein grösster Erfolg als Einzelsportler in einer elf Jahre währenden Karriere im Snowboardcross. Wenige Tage später gewann er am Teamevent der Junioren-WM zusammen mit Sina Siegenthaler ebenfalls Silber.[caption_left: Gabriel Zweifel (vordere Reihe in der Mitte) wird von seinen Teamkolleginnen, -kollegen und den Trainern verabschiedet.  Bilder: pd]Einige Schutzengel gehabt beim Horrorsturz im MaiGabriel Zweifels Rücktritt hatte sich angekündigt. Schon vor einem Jahr dachte er ans Aufhören. Aber sein ganzes Umfeld – seine Eltern, die Trainer, die Teamkollegen – hielten ihn davon ab: «Sie sagten, und sagen noch heute, dass ich das Potenzial habe, um an die Weltspitze vorzudringen», sagt Zweifel.Die Saison 2020/21 endete für ihn mit den neunten Gesamtrang im Europacup, zum zweiten Mal hintereinander war er in der zweithöchsten Stufe der beste Schweizer. Der Auer hörte nicht auf, weil er aus dem Team gefallen wäre. Als B-Kader-Athlet hätte er im nächsten Winter die fünfte Europacupsaison nacheinander bestreiten können, immer noch als einer der Jüngeren in der Mannschaft. Das wurde ihm zu eintönig und so setzte er um, was er schon vor der Saison angekündigt hatte: «Wenn ich den Sprung ins A-Kader und somit ins Weltcupteam nicht schaffe, höre ich auf.»[caption_left: Im Europacup schaffte Zweifel (vorne) in seiner letzten Saison zweimal den Sprung in den Halbfinal.]Am Sonntag verkündete Gabriel Zweifel auf Instagram seinen Rücktritt, er hatte diesen Entschluss bereits Ende Januar gefasst: «Damals war klar, dass ich nicht die Saison fahre, mit der ich mich für den Weltcup aufdränge.»Den einen Grund für den Rücktritt von Gabriel Zweifel gibt es aber nicht. Einige Faktoren führten zu seinem Entscheid. Eine Rolle spielt auch sein Horrorsturz vom Mai im Training in Crans-Montana: «Die Trainer, die mich bei diesem Sprung in der Luft und schliesslich herunterkrachen sahen, befürchteten: ‹Er kann nie mehr laufen›.» Die Verletzung war schwer, aber nicht derart gravierend: Schien- und Wadenbeinbruch sowie eine Rippenfraktur.Bereits fünf Monate später konnte er wieder auf dem Board trainieren, für Zweifel eine lange Zeit, die Ärzte sprachen jedoch von Wunderheilung. Allerdings führte die nur eingeschränkte Vorbereitung wohl auch dazu, «dass die letzte Saison zwar nicht schlecht, aber auch nicht richtig gut war.»«Ich möchte auch mit 35 Jahren noch laufen können»«Angst vor Sprüngen habe ich auch nach diesem Erlebnis nicht. Ich bin der Draufgänger geblieben, der ich immer war», sagt Gabriel Zweifel. Aber der auch altersbedingte Reifeprozess führte dazu, dass er eher über mögliche Folgen eines schweren Sturzes nachdachte, auch weil er in seinem Sport von vielen Karrieren mitbekommen hat, die wegen schweren Verletzungen endeten: «Ich möchte auch als 35-Jähriger noch laufen und einen möglichst schmerzfreien Alltag geniessen können», sagt Zweifel. Das Verletzungsrisiko ist auch ein Grund dafür, dass er nun den Schlussstrich zieht.Gabriel Zweifel steckte sich als Teenager hohe Ziele, er wollte im Weltcup an die Spitze kommen und an Olympischen Spielen mit Medaillenchancen starten. Sieht er sich nun als Gescheiterter? «Das kann man so sehen, würde ich aber nicht sagen», sagt Zweifel, «ich habe Erfahrungen gesammelt, die auch für meine Berufskarriere nützlich sind.» Dazu zählen der Wille und der Biss, auch ungeliebte Tätigkeiten mit grosser Motivation auszuführen: «Und vor allem habe ich gelernt, dass es immer mehr als einen Weg gibt, der zum Erfolg führt.» Auch die sportliche Bilanz der letzten vier Jahre darf sich sehen lassen, zudem hatte er als Junior zwei Schweizer Nachwuchs- Meistertitel gewonnen.Im Sommer schliesst Gabriel Zweifel die kaufmännische Ausbildung ab, die er bei der United School of Sports in St. Gallen angefangen hat, danach besucht er die Berufsmittelschule (BMS) und möchte im Anschluss ein Studium beginnen: «Wahrscheinlich studiere ich Wirtschaft», sagt er im Wissen, dass er für diesen Entscheid noch Zeit hat: «Möglich wäre auch ein Studium in einem sozialen Gebiet.»Das würde zu ihm passen, weil er gut mit Menschen umgehen kann. «Ich habe mit allen Trainern und Teamkollegen bei Swiss Snowboard ein gutes Verhältnis, auch mit Konkurrenten aus anderen Ländern, vor allem den Franzosen, habe ich Freundschaften geschlossen», sagt Gabriel Zweifel, «ich blicke gerne und voller Dankbarkeit auf die elf Jahre als Snowboardcrosser zurück.» Wahrscheinlich werde er, wenn es die Pandemie zulässt, in der nächsten Saison seine Kollegen beim einen oder andern Wettkampf besuchen.Jetzt kann er die Freundschaften ausserhalb der Snowboard-Szene wieder pflegen. Als Mitglied des STV Au ist er immer noch sportlich unterwegs und er beabsichtigt, sich wieder dem FC Au-Berneck anzuschliessen. Bis er 15-jährig wurde, war er im FC, nun möchte er mit seinen Kollegen der zweiten Mannschaft in der 4. Liga spielen.Zweifel und sein bester Freund sind wie ein altes EhepaarIm Instagram-Post, in dem Gabriel Zweifel den Rücktritt verkündet, bedankt er sich bei seinen Eltern Jack und Patricia sowie seiner Schwester Rahel: «Sie haben mich immer unterstützt und mich auch mal gebremst, wenn es sein musste.» Gabriels Eltern sind auch begeisterte Schneesportler: «Vielleicht gibt’s in den kommenden Wochen noch einige Ski- bzw. Snowboardtage mit ihnen.»[caption_left: Gabriel Zweifel (hinten) und sein bester Freund Pascal Bitschnau: «Er munterte mich auf, wenn es mir schlecht ging.»]Einen besonderen Dank widmet Gabriel Zweifel seinem «Brother Pascal». Pascal Bitschnau ist zwei Jahre älter als Gabriel Zweifel: «Er hat mich an die Hand genommen, als ich vor vier Jahren in den Europacup gekommen bin.» Er ist zum wichtigsten Bezugspunkt geworden: «Die anderen sagten oft: ‹Pascal und Gabriel sind wie ein Ehepaar›», lacht Zweifel, «wir haben uns manchmal auch gestritten, einander angeschrien, aber am Abend war immer alles wieder gut.» Als Zweifel nach seinem schweren Sturz im letzten Frühling untätig zuerst im Spital in Sion und dann daheim lag, war es Pascal Bitschnau, der ihn am Telefon zum Lachen brachte: «Das tat gut, obschon das Lachen wegen der lädierten Rippen höllisch geschmerzt hat.»Unzählige Weggefährten reagierten mit warmen Worten auf Gabriel Zweifels Rücktrittsankündigung in seinem Instagram-Kanal, eine Teamkollegin schrieb: «Swiss Snowboard ohne Gabi isch nüme Swiss Snowboard.»

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